Slide Stefan Blättler 6

«Ich bin defintiv nicht ein humorloser Mensch»

Nach mehr als 15 Jahren als Kommandant der Kantonspolizei Bern hat Stefan Blättler Ende Dezember sein Büro am Waisenhausplatz 32 geräumt. Als Schweizer Bundesanwalt erwarten ihn am Guisanplatz 1 neue Aufgaben.

Ende 2021 beendeten Sie Ihre über 30-jährige Tätigkeit bei der Kantonspolizei Bern. Mit einem lachenden oder weinenden Auge?
(Überlegt) Schwierig zu sagen, vermutlich beides! Es war insgesamt eine sehr schöne Zeit, die unheimlich schnell verstrich. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Arbeitstag im Jahr 1989 und es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen! Ich werte das als gutes Zeichen.

Auf welche Errungenschaften Ihrer Tätigkeit sind Sie besonders stolz?
Es immer schwierig, sich selber Noten zu erteilen. Die Polizeilandschaft im Kanton Bern hat sich nachhaltig verändert, als wir den politischen Willen umgesetzt haben, nur noch eine Polizei zu haben. Es war eine jahrelange Arbeit, diesen Beschluss funktionsfähig umzusetzen, die kommunalen Einheiten zu einem Korps zusammenzuschliessen. Wenn ich feststellen darf, dass dies heute kein Thema mehr ist, dann darf ich sagen, dass es gut gelaufen ist.

Es ist ganz normal, dass man auch Baustellen hinterlässt. Was hätten Sie gerne noch erreicht?
Grosse Projekte sind vorgeplant, beispielsweise der Bau des Polizeizentrums in Niederwangen, was meinen Nachfolger intensiv beschäftigen wird. Das hat Konsequenzen struktureller, organisatorischer und prozessualer Art innerhalb der Kapo. In Niederwangen setzen wir einen lang gehegten Wunsch um, statt der 18 Standorte in Bern ein grosses Zentrum zu haben. Das ist im wahrsten und übertragenen Sinn eine Baustelle. In der Polizeiarbeit ist man nie fertig, weil sich die Gesellschaft ständig verändert. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass wir uns heute immer noch mit der Pandemie beschäftigen müssen. Das hatte auch Konsequenzen für die Arbeit der Polizei. Ich denke dabei nicht nur an die zahlreichen Demonstrationen, sondern es ging auch darum, andere Amtsstellen zu unterstützen, Testzentren aufzustellen oder eine kantonale Hotline zu betreiben. Ich bin durchaus der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger erwarten dürfen, dass die Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten die verschiedenen Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllt.

Am 29. September wurden Sie von der Vereinigten Bundesversammlung zum neuen Bundesanwalt gewählt. Betrachten Sie Ihre neue Funktion als Krönung Ihrer Berufskarriere?
Wenn ich eine Krönung gesucht hätte, hätte ich darauf hingearbeitet, was ich aber nicht getan habe. Aber ich sage auch offen, die Wahl ist Ausdruck einer Anerkennung, nicht nur für mich, sondern für die gesamte Polizeiarbeit. Dass ich meine Kenntnisse und meine jahrelange Führungserfahrung nun in der Bundesanwaltschaft einbringen darf, freut mich und das mache ich gerne.

Wer hat Sie dazu motiviert, sich drei Jahre vor dem Pensionsalter zu bewerben?
Ich wurde im Frühsommer 2021 von verschiedener Seite darauf aufmerksam gemacht. Ich habe mich vorher mit dieser Frage überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es ist nicht gerade naheliegend, dass ein Polizeikommandant Bundesanwalt wird! Ich hatte ja eine andere Aufgabe im Blickfeld: Ich war vorgesehen als Direktor des Schweizerischen Polizei-Instituts in Neuenburg. Als ich mich dann aber intensiv mit der Frage beschäftigte, kam ich zur Überzeugung, dass ich dieser anspruchsvollen Aufgabe eigentlich schon gewachsen bin; der Appetit kommt bekanntlich mit dem Essen!

Was sagt Ihre Frau zu Ihrer neuen Aufgabe?
Ich habe die volle Unterstützung meiner Frau. Sie kennt mich lange und gut genug! Ohne ihren Support hätte ich mich nie beworben.

Sie treten bekanntlich in schwierige Fussstapfen, die Erwartungshaltung von Politik und Gesellschaft ist gross. Laufen Sie zu Hochform auf, wenn Sie vor besonderen Herausforderungen stehen?
Ich scheue mich nicht vor Herausforderungen. Ich habe aber Respekt vor der Aufgabe. In den letzten Wochen hatte ich bereits verschiedene Kontakte mit der Leitung der Bundesanwaltschaft und einzelnen Staatsanwälten, da durfte ich feststellen, dass überall sehr gute Arbeit geleistet wird, worüber in der Öffentlichkeit kaum berichtet wird. Diese Arbeit wurde leider überlagert durch die bekannten Vorkommnisse, welche in der öffentlichen Wahrnehmung einen unverdienten Stellenwert erhielten.

Sie sagten in einem Interview, dass Sie den Job nicht mehr als etwa sechs Jahre ausüben könnten. Wird man da nicht gleich von Beginn weg als «Lame Duck» betrachtet?
Dafür sind sechs Jahre zu lang, um als lahme Ente bezeichnet zu werden. Ich habe theoretisch sechs Jahre vor mir, gute Gesundheit vorausgesetzt. In dieser Periode kann man sehr viel bewegen, so gesehen betrachte ich mich nicht bloss als Übergangslösung.

Welches sind Ihre Ziele für die Bundesanwaltschaft in den nächsten Jahren?
Ich habe gewisse Vorstellungen, aber diese möchte ich zuerst intern ausloten und kommunizieren. Die Mitarbeitenden sollen vor der Öffentlichkeit über meine Vorstellungen informiert werden. In zwei, drei Monaten werde ich konkrete Pläne kommunizieren können. Keine Revolution, aber es wird die eine oder andere eher evolutionäre Veränderung geben, resultierend aus vielen Gesprächen, die ich in den nächsten Wochen führen werde.

Wie werden Sie die in der Öffentlichkeit angeschlagene Reputation der Bundesanwaltschaft konkret zu verbessern versuchen?
Ich sehe es als eine meiner Aufgaben, darzustellen, was an guter Arbeit geleistet wird. Die Bundesanwaltschaft ist nicht einfach eine Behörde, die Akten hin und her schiebt, sondern sie arbeitet mit anderen Gremien zusammen, zum Beispiel mit kantonalen Polizeiorganen, mit kantonalen Staatsanwaltschaften. Es ist nie eine «Einmann-Show» einer einzelnen Behörde.

Wie gehen Sie mit Kritik um?
Nach mehr als 15 Jahren als Kommandant der Kapo Bern lernt man mit der Kritik zu leben! Bei fundierter Kritik rennt man bei mir offene Türen ein. Wenn Kritik von jemandem kommt, der keine ausreichende Kenntnis der Sachlage haben kann, dann nehme ich sie einfach zur Kenntnis, nicht mehr.

Aber sie lässt Sie nicht kalt?
Wissen Sie, das würde heissen, dass ich sie nicht kennen will. Ich muss ja auch jene Kritik kennen, die falsch ist. Ich muss sie einordnen können. Aber ich kann auch sehr gut abschalten und mal zwei Tage ohne Medienkonsum leben. Nach wenigen Tagen Abstand liest sich alles ganz anders. Aber Kritik gehört dazu, wenn man eine exponierte Aufgabe wahrnimmt. Schlaflose Nächte habe ich deswegen nicht.

In den 30 Jahren bei der Kapo Bern standen Sie selten im Rampenlicht. Die Funktion des Bundesanwalts ist exponierter. Wird man Sie mehr in der Öffentlichkeit sehen?
Es geht nie um meine Person, es geht um das Amt, um die Behörde, die man leitet. Ich habe immer darauf geachtet, dass die Öffentlichkeit die Behörde als Ganzes durch die verschiedensten Kommunikationskanäle wahrnimmt. Dies benötigt in den wenigsten Fällen den Kommandanten persönlich. Wenn ich Grundsätzliches zu sagen hatte, habe ich das auch gemacht und werde dies weiterhin tun. Es darf keine Selbstinszenierung sein, das geht nicht. Das wird wohl auch in meiner neuen Funktion in der Bundesanwaltschaft nicht anders sein. Ich bin mir bewusst, dass ich in Zukunft vielleicht etwas öfter in der Öffentlichkeit stehe. Aber ich praktiziere bewusst eine gewisse Zurückhaltung, die im Sinne der Sache notwendig ist, das ist mein Stil.

Sie gelten eher als nüchtern, als «Tröchni». Wie halten Sie es mit dem Humor am Arbeitsplatz?
(Lacht) Wir lachten bei der Kapo sehr viel. Ich bin definitiv nicht ein humorloser Mensch, habe durchaus die Gabe zur Selbstironie und kann über mich selbst lachen. Ich muss den Humor aber nicht in der Öffentlichkeit zelebrieren. Als Polizeikommandant war ich letztlich mit meiner Organisation ein Diener des Staates. Ich musste mit allen gesellschaftlichen Gruppierungen den Dialog pflegen können, das werde ich auch als Bundesanwalt nicht ändern.

Peter Widmer

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge