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«Ich, ein Feminist? Das würde ich so nie sagen. Ich bin ein Mann!»

Dieses Gespräch war wichtig: Barbara Krattiger, Leiterin der Berner Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann, sowie Stapi Alec von Graffenried reden mit dem Bärnerbär über Feminismus, Quotenfrauen und behördliche Zwängerei.

Ende März versandte der Bärnerbär Barbara Krattiger einen provokativen Aussagekatalog zu ihrer Tätigkeit respektive ihrem Amt. Sie lehnte ihn ab. Nun hat das Interview doch noch stattgefunden – in Anwesenheit von Stadtpräsident Alec von Graffenried. In kritisch-konstruktiver Atmosphäre. So, wie es eben sein muss.

Barbara Krattiger, worin besteht Ihr Hauptaufgabengebiet?
Die Fachstelle existiert seit 1996 mit dem Auftrag, die Gleichstellung innerhalb der Stadtverwaltung Bern sowie in der Bevölkerung zu stärken. Seit 2018 setzt sie sich auch für die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen ein (Lesbisch, Schwul, Bi, Trans, Inter, Queer, d. Red.). Die Fachstelle unterstützt die Verwaltung darin, diese Aufträge umzusetzen: beim Personal, beim Bauen und Planen, in der Feuerwehr wie auch im Tiefbauamt, z.B. für mehr Familienfreundlichkeit und für die Lohngleichheit.

Von Graffenried: Darum ist Gleichstellung durchaus Chefsache. Lohngleichheit ist wichtig – das war sie schon immer, diesbezüglich sind wir stadtintern sehr weit. Die Gleichstellung in der Arbeitswelt ist ein grosses Thema. Vielerorts klappt das in dieser Hinsicht gut.

Ist die Stadt Bern punkto Lohngleichheit denn besser aufgestellt als die Privatwirtschaft?
Von Graffenried: Die Lohngleichheit wurde stadtintern weitestgehend hergestellt, ja.
Krattiger: Die Stadt verlangt aber auch von den Betrieben, die städtische Aufträge oder Leistungsverträge erhalten, dass sie die Lohngleichheit einhalten. Lohndiskriminierung soll nicht mit Steuergeldern unterstützt werden.

Besteht Lohngleichheit auch in Kaderpositionen?
Von Graffenried: Dort geht es nicht um Lohnungleichheit, sondern darum, dass Frauen teilweise untervertreten sind. Sie rücken zwar von unten nach, schaffen es aber dann nicht in eine Chefposition. Weil sie nicht wollen, es sich nicht zutrauen oder aus anderen Gründen.

Dass in Kaderpositionen weniger Frauen vertreten sind, ist ein Fakt. Bloss: Wieso ist hier behördliche Anschubhilfe vonnöten? An der Uni etwa studieren schon seit Jahren mehr Frauen als Männer. Der weibliche Nachwuchs ist also vorhanden.

Von Graffenried: Da haben Sie teilweise recht. Wir müssen Frauen ermutigen, sich solche Jobs auch zuzutrauen.
Krattiger: Man weiss, dass sich Männer bereits auf eine Job-Ausschreibung bewerben, wenn sie schon nur sechzig Prozent eines Anforderungsprofils erfüllen. Sie werden in der Arbeitswelt oft als kompetenter wahrgenommen . Frauen müssen hingegen häufig die bessere Leistung erbringen, um gleich weit zu kommen und immer wieder beweisen, dass sie etwas können.

Es geht doch generell darum, gesetzlich gleiche Bedingungen für alle zu schaffen – Stichwort: Elternurlaub –, damit Mann und Frau gleiche Voraussetzungen vorfinden.
Krattiger: 
Genau hier hapert es. Die Mutterschaft ist einer der Gründe für Benachteiligungen. Eine neue Statistik zeigt, dass rund ein Drittel aller Mütter mit Kleinkindern die Stelle wechselt, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Ein solcher Wechsel ist mit beruflichen Nachteilen verbunden. Das passiert Vätern so nicht. In der Stadt haben Väter vier Wochen Vaterschaftsurlaub. Väter und Mütter können das Pensum nach der Geburt eines Kindes, oder wenn sie Angehörige pflegen, reduzieren. Bern weist im Städtevergleich übrigens die höchste Teilzeitrate bei Männern auf.
Von Graffenried: Abgesehen davon ein Thema, das von links bis rechts sehr breit abgestützt wird.

Wo besteht punkto Ungleichbehandlung denn der grösste Handlungsbedarf?
Von Graffenried: Innerhalb bestimmter Personengruppen. Namentlich Ausländerinnen und Ausländer, die teilweise aus sehr patriarchalen Strukturen stammen. In diesem Zusammenhang wollen wir Frauen beruflich integrieren und ihnen eine Ausbildung ermöglichen.

In unserem ursprünglichen Aussagekatalog stand Folgendes: «Ihnen geht es nur darum, feministische Interessen durchzusetzen.» Ganz ernsthaft: Männer brauchen im Berufsleben doch tatsächlich keine Nachhilfe.
Von Graffenried: Da bin ich, der in der Männerbewegung aktiv war, ganz anderer Meinung. So kümmern sich Männer im Gegensatz zu Frauen zu wenig um ihre Gesundheit. Männer haben eine kürzere Lebenserwartung, sie suchen in Krisensituationen weniger schnell Hilfe und weisen eine höhere Suizidrate auf. Frauen würden diese Tatsachen nicht einfach so hinnehmen. Männer müssen sich besser organisieren!

Reden Sie weiter.
Andererseits gibt es innerhalb der feministischen Bewegung verschiedene Schattierungen. Wenn Frauen – teilweise – eine starke Forderungshaltung einnehmen, zementieren sie eine Opferrolle. Diese Muster müssen ebenfalls untersucht werden.

Sind Sie denn ein Feminist?
Von Graffenried: Innerhalb der linken Partei finden sich viele Männer, die das von sich behaupten. Ich würde das so nie sagen, ich bin ja ein Mann. Für mich würde das eine Umkehrung der Geschlechterrollen bedeuten.

Feminismus bedeutet, sich für Frauenanliegen einzusetzen. Das können Männer ebenfalls tun.
Von Graffenried: Ich setze mich für Gleichstellung ein, aber eben auch für jene der Männer.

Das Problem des gegenwärtigen Feminismus ist doch, dass mittlerweile die extremen Stimmen das Sagen haben, die dann Männer ebenso wie die gesamte Bewegung an sich in ein schlechtes Licht rücken.
Krattiger: Je nach politischem Standpunkt kann man das so oder so sehen. Ich bin Feministin und setze mich für Frauenanliegen ein. Ich nehme für mich aber in Anspruch, dass wir als Fachstelle mit einer hohen fachlichen Expertise und nicht mit einem ideologischen Programm unterwegs sind.

Sind Sie eigentlich für oder gegen Quoten, Herr von Graffenried?
In der Stadtverwaltung setzen wir in Kaderpositionen eine Frauenquote von 35 Prozent um. In der Privatwirtschaft wäre eine moderate Quote in Verwaltungsräten mit relativ wenig Aufwand zu erreichen. Innerhalb von Geschäftsleitungen würde eine Quote in gewissen Branchen wegen der fehlenden Verfügbarkeit von Frauen hingegen oft zu Schwierigkeiten führen.

Seien wir ehrlich: Quoten diskreditieren Frauen in ihrem Wesen. Sie sind stark genug, um beruflich alles zu erreichen, was sie möchten. Der Rest ist Zwängerei.
Krattiger: Man könnte es umgekehrt formulieren: Wir haben jetzt eine ungeschriebene Männerquote, sonst sässen in bestimmten Gremien schon lange mehr Frauen. Mir kommt in diesem Zusammenhang immer Ruth Dreifuss in den Sinn: Sie sagte einst, sie sei eine reine Quotenfrau gewesen, sie habe deshalb ihren Job aber nicht schlechter gemacht als ihre Kollegen im Bundesrat. Bezüglich Quoten muss man festhalten: Bei Bewerbungen existieren Zielwerte, keine rechtlich-fixen Quoten. Die Qualifikation muss immer berücksichtigt werden.

Wie viele Personen arbeiten bei Ihnen auf der Fachstelle für die Gleichstellung für Frau und Mann?
Krattiger: Vier – alles Frauen, ausser bei den Lernenden und der Praktikumsstelle.

Das ist dann ebenfalls nicht gendergerecht.
Krattiger: Da gebe ich Ihnen recht (lacht). Es ist auch hier eine Frage der Qualifikation. Aber Sie dürfen sich gerne bewerben!

Yves Schott

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