Sie kannten sich zuvor nur vom Hörensagen. Und hatten sich dementsprechend viel mitzuteilen. Erst hart, dann fast ein wenig herzlich. Herzlich willkommen zum Bordell-Duell mit Befürworter Dominic Schmid und Gegner Andreas Wyss.
Andreas Wyss, was möchten Sie Herrn Schmid sagen?
Ich habe auf der ganzen Welt gearbeitet, lernte stets interessante Leute kennen. Meine Frage an Sie wäre: Was ist Ihr Lebensziel? Schmid: Familie und Gesundheit sind mir sehr wichtig. Und dass es meinen Mitmenschen gutgeht. Ich habe keine Absichten, in irgendeiner Form Präsident oder superreich zu werden.
Fairerweise stelle ich Ihnen nun dieselbe Frage, Herr Wyss.
Meine Lebensziele habe ich zu einem grossen Teil erreicht. Ich habe mich sehr stark für Hilfsprojekte engagiert, meistens für Organisationen wie die UNO, DEZA oder die Unicef. Das machte mir am meisten Spass. Meine Töchter organisieren das Buskers, was mich sehr freut.
Sie, Herr Schmid, möchten, dass es Ihren Mitmenschen gutgeht. Ist das der Fall, wenn Sie an der Aarbergergasse ein Bordell mit sechs Zimmern über zwei Stockwerke errichten?
Das kann ich mit meinen Werten vereinbaren, ja.
Haben Sie dennoch Verständnis für Menschen wie Andreas Wyss, die das anders sehen?
Absolut, ich respektiere jede Meinung. Ich verstehe einfach nicht, warum es sich hier nicht um die «richtige» Gasse handeln sollte. Die Politik der Stadt Bern will in der Aarbergergasse ja explizit mehr Leben, Szene, Ausgang. Und ich plane nichts Illegales: Ich möchte das alles diskret, sauber und eben legal halten.
Was spricht denn somit dagegen, Herr Wyss?
Die Häusernummern 16 und 18 gehören seit Generationen meiner Familie, als ich das Gebäude übernahm, habe ich mein ganzes Vermögen da reingesteckt, um dort schönen Wohnraum zu schaffen. Nun ist die Aarbergergasse tagsüber ein «gfröiter» Ort, aber: Wir hatten am 20. September eine Sitzung mit der Polizeidirektion samt Crew. Das Fazit lautete: Der Aufwand zur Überwachung der Aarbergergasse in der Nacht übersteigt die normale Situation. Die ganze Nacht hindurch muss eine Patrouille auf Kontrollgang…
Schmid: Das muss sie so oder so!
Wyss: Ich will damit nur sagen, dass es subjektive und objektive Wahrnehmungen gibt. Für mich zählt, was die Polizei sagt.
Herr Schmid, wer die Medienberichte verfolgt, gewinnt den Eindruck, Sie hätten mit der Aarbergergasse etwas Schlechtes vor.
Schmid: Absolut nicht, wieso sollte ich? Ich habe dort schliesslich selbst mein Geschäft.
Wyss: Ich möchte Ihnen sagen, wieso mich die Geschichte so berührt: Meine Liegenschaften sind umgeben von Bordellen. Gleich in der Nähe an der Speichergasse 13 liegt die Zickenstube, vis-à-vis von mir befindet sich das Laufhaus und nun also auch noch das geplante Puff an der Aarbergergasse 14. Durch diese Massierung besteht die Gefahr, dass die Aarbergergasse zur Rotlichtzone verkommt. Ich beherberge Mieter, die schlafen möchten. Wenn Ihre Damen mit ihren Gästen spätnachts auf Ihrer Terrasse Party machen, dann ist das zwar lustig, aber es stört die Nachtruhe.
Schmid: Herr Wyss, einer Ihrer Mieter ist fast jeden Tag Gast bei uns im Casa Marcello. Kein Randständiger, der nichts mit Drogen zu tun hat. Ein ganz normaler Bürger mit einem normalen Job, der einfach sein Bierchen trinkt. Ich habe mit ihm ebenfalls schon über dieses Thema gesprochen. Er sagt, er habe mit dem geplanten Bordell kein Problem, solange alles ruhig bleibt. Ich komme mir vor wie jemand, der vorverurteilt wird: dass wir ein Bordell planen würden, das Lärm und Dreck nach sich zieht.
Wyss: Nun, das ist halt unsere Erfahrung bezüglich Speichergasse 13. Man muss sich vorstellen: Da kommen junge Frauen aus Osteuropa, haben eine Aufenthaltsbewilligung für drei Monate und verrichten hier ihre Arbeit… so weit, so gut. Wenn sie morgens um 3 dann eine Pause einlegen, ein Cüpli trinken und zusammen feiern, dann ist das nichts Schlechtes. Aber es stört einfach!
Wer sich durch Lärm gestört fühlt, kann ja einfach die Polizei rufen.
Wyss: Was die Dezibel anbetrifft, besteht hier kein Nachtlärm. Da jodelt oder singt niemand, aber es herrscht Betrieb bis weit in die Nacht hinein. Zudem habe ich wegen Ihres Projekts vor kurzem die zweite Kündigung erhalten. Das nur als Erklärung, wieso wir uns wehren. In einer Wohn- und Gewerbezone muss es auch möglich sein zu wohnen. Und die Stadt versucht mit allen Mitteln, neue Wohnungen zu schaffen resp. die bestehenden Wohnungen zu erhalten.
Schmid: Es heisst ja: stilles Gewerbe.
Wie würden Sie denn Ihre Erfahrungen im horizontalen Gewerbe zusammenfassen, Herr Schmid?
Wir haben dem Regierungsstatthalteramt schon im Vornherein mitgeteilt, dass die beiden Terrassen sowieso geschlossen werden. Da geht also niemand rein oder raus. Wir haben ausserdem bestimmte Öffnungszeiten bis maximal Mitternacht festgelegt. Kein Laufhaus, das rund um die Uhr geöffnet ist. Zudem existiert vor dem Eingang ein Gitter, das sich schliessen lässt. Ist die Bar geöffnet, wird die Tür des Bordells entsprechend weiter hinten sein. Wir wollen unser Geschäft diskret und legal führen.
Am Schluss liegt der Entscheid bei den Behörden. Das heisst: Falls das Bordell bewilligt wird, müssen Sie sich beugen.
Wyss: Schauen Sie, es sind insgesamt hundert Einsprachen eingegangen. Um diese zu behandeln, braucht es eine gewisse Zeit.
Schmid: Eigentlich sind es nur etwas mehr als zehn, Herr Wyss. Eine davon ist halt einfach eine Sammeleinsprache.
Wyss: Schauen Sie: In Bern ist es doch üblich, dass, wer ein Baugesuch einreicht, das Gespräch mit dem Nachbarn sucht. Und sei es nur zur Vermeidung von Einsprachen. Hätten Sie damals erklärt, dass Sie fixe Öffnungszeiten einführen wollen, hätte es viel weniger Einsprachen gegeben.
Warum haben Sie diesen Kontakt nicht gesucht, Herr Schmid?
(überlegt) Ich habe nicht bei jedem Nachbarn angeklopft, stimmt. Das muss ja auch nicht mit allen ausdiskutiert werden.
Wyss: Nein, muss es nicht. Aber wer clever ist, der machts. Und wer es nicht tut, wird die Konsequenzen tragen müssen. Sie werden dieses Bordell in den nächsten zwei Jahren nicht in Betrieb nehmen können.
Es kam letztes Jahr in Bern aufgrund des neuen Prostitutionsgesetzes (PGG) zu insgesamt acht Bordellschliessungen. Niemand von Ihnen beiden wird abstreiten, dass Frauen irgendwo einen Ort brauchen, um arbeiten zu können.
Schmid: Es geht darum, dass diese Frauen sich in einem geschützten Raum aufhalten und nicht irgendwo auf der Gasse, in einem Keller oder zuhause tätig sind.
Wyss: Zuhause wäre besser.
Schmid: Aber wieso? Dort sind sie schutzlos: keine Kameras, keine Kolleginnen. Die Polizei weiss nicht, wo sie im Notfall hinmüsste.
Wyss: Es geht auch um den Schutz der Freier – Stichwort: Präservative – und es geht um den Schutz von Minderjährigen. Ich bin nicht so naiv und sage, es brauche keine Bordelle, das ist klar. Dass diese nicht in einer Industriezone liegen können, weil dann jeder sieht, wer kommt, leuchtet ebenfalls ein. Mich stört aber die Massierung.
Schmid: Ich kann doch nichts dafür, dass die Stadt die Zonenkonformität so bestimmt hat. Es wird explizit gewünscht, dass – wenn so eine Einrichtung angedacht wird – sie genau hier entsteht. Ein Bordell macht viel weniger Lärm als eine Bar, ein Restaurant oder eine Schreinerei.
Wyss: Wenn ich von Ihnen, Herr Schmid, die Garantie erhalte, dass das Bordell wirklich um Mitternacht schliesst und die Terrassen nicht benutzt werden, und wenn das in der Betriebsbewilligung so geschrieben steht, dann können wir über einen Rückzug meiner Einsprache diskutieren. Wir haben nichts gegen Sie, nichts gegen die Wunderbar, nichts gegen Bordelle.
Können Sie das zusichern, Herr Schmid?
Wir müssen wahrscheinlich noch über Details reden. Aber grundsätzlich bin ich dabei, ja.
(Die beiden reichen sich die Hand, tauschen Nummern und E-MailAdresse aus.)
Yves Schott