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Hans-Ulrich Müller im Showroom des Bernapark: «Das Leben ist permanente Veränderung». Fotos: Fabian Hofmann

«Ich werde mich einsetzen fürs Zämeha und Zämestah»

Eigentlich wollte er Koch werden, doch das Kunstturnen machte ihm einen Strich durch die Rechnung und führte ihn zu einer kaufmännischen Lehre. Zum Glück: Denn ohne Hans-Ulrich Müller wäre vieles im Wirtschaftsraum Bern nicht so, wie es heute ist. Der umtriebige Unternehmer wurde deshalb heute auch zum «Oberzibelegring» gekürt.

Wir treffen Hans-Ulrich Müller im Bernapark, auf dem Gelände der ehemaligen Kartonfabrik Deisswil in Stettlen. Der dynamische Unternehmer empfängt uns an einem seiner aktuellen Lieblingsorte, dem Bernapark-Showroom. Denn dieser – so erklärt er uns – zeige sehr gut, dass das Leben stete Veränderung sei und dass aus Scherben, die man antreffe, sehr wohl wieder etwas Wunderbares entstehen könne, wenn man sie neu und zeitgemäss anordne.

Hans-Ulrich Müller, Sie sind soeben zum Oberzibelegring ernannt worden – herzliche Gratulation! Oft war es umgekehrt und Sie vergaben die Auszeichnungen, wie beispielsweise den Prix SVC, an verdiente Persönlichkeiten aus dem Berner Wirtschaftsraum und der ganzen Schweiz. Wie wichtig ist Ihnen selbst die heutige Ehrung?
Es ist für mich eine riesige Ehre und Freude, in die Gilde der Zibelegringe aufgenommen zu werden und für ein Jahr das Patronat dieser illustren Gesellschaft übernehmen zu dürfen.
Meine grosse Freude teile ich mit allen, die Tag für Tag tatkräftig «mitziehen», um ein gemeinsames Engagement für die Wirtschaft, die Gesellschaft und für den Standort Bern zu leisten. Dafür möchte ich meiner Familie, den vielen Weggefährten, Partnern und Unterstützern sowie unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken. Sie alle haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich diese grosse Auszeichnung als Oberzibelegring entgegennehmen darf.

Als Sie 2001 den Swiss Venture Club SVC gegründet haben, hat man Ihnen davon abgeraten. Es brauche keinen weiteren Unternehmerpreis. Sie liessen sich davon nicht abbringen – warum sind solche Vereinigungen und Auszeichnungen in Ihren Augen wichtig?
Wir haben den Swiss Venture Club SVC gegründet, weil wir überzeugt waren, dass es Plattformen braucht, mit denen KMU und auch der SVC zeigen können, welche hervorragenden Leistungen KMU für unser Land erbringen. Denn die KMU – konkret die vielen mutigen Unternehmerinnen und Unternehmer und deren Mitarbeitende – sind entscheidend für den Wohlstand in der Schweiz. Der SVC ist wie ein Nagel in der Wand, an dem sich die Leistungen und Erfolge der KMU festmachen lassen. Als private Initiative in Bern gestartet, hat der SVC dank grosszügigen Sponsoren und vielen Ehrenamtlichen heute eine grosse Ausstrahlungskraft in der ganzen Schweiz.

Sie sind der Inbegriff des umtriebigen Unternehmers und in den unterschiedlichsten Themenbereichen engagiert. Lassen Sie uns einen kurzen Exkurs in die Vergangenheit machen: Sie wuchsen am Flughafen Belp auf, Ihre Eltern führten das Flughafenhotel. Haben Sie als kleiner Junge nie mit dem Beruf des Piloten geliebäugelt?
Doch, als Jugendlicher hat mich das sehr interessiert, auch wenn ich keine Laufbahn als Berufspilot anstrebte. Aber mein Vater hatte Angst, dass mir etwas zustossen könnte. Es gab in meiner Jugendzeit etliche Flugunfälle. Ich habe dann meinem Vater zuliebe darauf verzichtet, das Pilotenbrevet zu machen. Aber die Fliegerei fasziniert mich bis heute. Ich geniesse es sehr über den Wolken, wo die Freiheit bekanntlich grenzenlos ist.

Was war damals Ihr Berufswunsch?
Da ich im Gastronomiebetrieb meiner Eltern aufwuchs, wollte ich ursprünglich Koch werden. Mit 14 Jahren wurde ich jedoch ins Juniorenkader der Kunstturner aufgenommen und suchte deshalb eine Ausbildung, die sich mit dem Training vereinbaren liess. Ich konnte dann auf der Generalagentur der Mobiliar Versicherung in Belp die kaufmännische Lehre absolvieren. Das war eine interessante, tolle Lehrzeit, und natürlich habe ich weiterhin im Flughafenrestaurant und -hotel mitgeholfen, vor allem wenn am Wochenende Hochbetrieb herrschte.

Bleiben wir noch kurz am Belper Flughafen: Das neue Hotel und Restaurant verdankt seine Existenz ebenfalls Ihrem Engagement. Und für Sie schliesst sich damit der Kreis zu Ihrer Kindheit – spielen bei Ihren Investments also auch Gefühle eine Rolle? Nicht nur die harten Businesspläne?
Bei mir spielen vor allem Gefühle eine Rolle! Denn wir leben ja nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben. Für mich fliessen Arbeit und Freizeit immer ineinander. Die Investments, für die ich mich engagiere, sind häufig am Anfang nicht unbedingt gewinnversprechend. Aber wenn ich das Potenzial sehe, bleibe ich hartnäckig, bis sich das Ganze selbst trägt. Meist führen mich Zufälle zu meinen Engagements. Mein Leben ist voller schöner Zufälle, für die immer wieder meine Wegbegleiter, Kameraden und Freunde gesorgt haben. Schon früh ist mir klar geworden, dass man alleine nicht viel erreichen kann. Man braucht immer motivierte Mitmenschen, die aus Überzeugung mithelfen, ein Ziel zu erreichen.

«Mr. KMU» schrieben die Medien, als Sie ankündigten, aus der alten Kartonfabrik Deisswil eine «Kleinstadt» machen zu wollen. Was waren Ihre Beweggründe, sich an das Grossprojekt Bernapark zu wagen?
Als die Kartonfabrik 2010 von den österreichischen Inhabern von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde, standen 253 Mitarbeitende auf der Strasse – ohne Sozialplan. Da habe ich kurzerhand beschlossen, mich zu engagieren, um den Angestellten eine Perspektive und Zukunft geben zu können. Im Vordergrund stand das Ziel, die Leute weiterbeschäftigen zu können und die Kartonfabrik nicht zu einer Brache verkommen zu lassen. Im Laufe der Zeit haben wir dann die Idee entwickelt, das Industrieareal in ein Quartier für modernes Zusammenleben zu verwandeln. Ein Ort, an dem man fast alles findet, was das Herz begehrt. Diese Vision ist das Ökosystem Bernapark. Es ist ein vielfältiger und lebendiger Kosmos, bei dem Wohnen, Arbeiten und Freizeit ineinandergreifen und sich gegenseitig vorwärtsbringen.

Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Entwicklung des Bernaparks?
Ich bin sehr zufrieden. Dank dem konstruktiven und tatkräftigen Engagement von ganz vielen Menschen und Partnern haben wir schon sehr viel erreichen können. Ein grosser Dank gehört der Gemeinde Stettlen, dem Kanton Bern, allen weiteren involvierten Behörden, den Mitarbeitenden des Bernaparks, den Architektinnen und Architekten stellvertretend für alle Planerinnen und Planer, den Baufirmen und weiteren Unternehmen, die auf der Baustelle täglich ihr Bestes geben. Und danken möchte ich ebenso allen Mieterinnen und Mietern und Gewerbetreibenden, die das Areal mit ihrer positiven Energie beleben!

Was unterscheidet den Bernapark von anderen Arealentwicklungen?
Der Bernapark ist ein Pionierquartier. Mit der Umnutzung von grossen Teilen der bestehenden Bausubstanz ist es unser Anspruch, Tradition und Innovation zu verbinden und auf Nachhaltigkeit auszurichten: Gerade die Umwelt und Biodiversität sind uns ein grosses Anliegen. Deshalb haben wir eine eigene Energiezentrale realisiert: 85 Prozent der Energie für Heizung und Warmwasser können wir aus Grundwasser-Wärmepumpen gewinnen – auch in sehr kalten Wintern! Gleichzeitig werden 100 Wohnungen mit Solarstrom versorgt – und auch die vielfältige Bepflanzung schreitet voran: Sei es auf den Dächern im 4. Stock oder auf dem künftigen Schulhausplatz. Damit leisten wir einen spürbaren Beitrag zu guten Klimaverhältnisse in bebautem Raum.

Welches sind derzeit die grössten Herausforderungen?
Die «Metamorphose», die Entwicklung im Bernapark, ist noch nicht abgeschlossen. Voraussichtlich im Frühling 2024 stimmen wir in Stettlen über die Ortsplanungsrevision ab. Sie schafft die Grundlage für eine weitere bauliche Entwicklung – je nach Bedarf. Die Realisierung weiterer Bauten würde jedoch erst in den nächsten 20 bis 30 Jahren geschehen. Etappenweise, und wie gesagt, nur gemäss Nachfrage. Dabei würde kein Gebäude auf dem Areal über 30 Meter hoch werden. Diesen Wunsch der Bevölkerung von Stettlen nehmen wir uns zu Herzen und verzichten deshalb auf Hochhäuser.

Welchen Stellenwert hat der Bernapark für die Gemeinde Stettlen, aber auch für die gesamte Grossregion Stadt Bern?
Ich denke, dass der Bernapark nicht nur der Gemeinde, sondern auch der gesamten Region mehr als nur ein Plus bieten wird. Denn der Bernapark wird einen ganz speziellen Lebensraum darstellen, jedoch keine Bubble. Er hat Anziehungskraft, Menschen aus der Stadt und Region Bern ziehen hierhin. Und der Bernapark steht für Offenheit, Austausch und Entwicklung. Einen neuen Impuls wird uns nächstes Jahr zum Beispiel die Schule für Gestaltung verleihen, die ihre Schulräume, Ateliers, Werkstätten, Aula, Bibliothek und die Mensa für zehn Jahre in den Bernapark verlegt. Der Bernapark ist ein inspirierendes Quartier, das weitergedeiht und dabei Schritt für Schritt auch mit dem Dorf zusammenwächst. Dass wir hier in Stettlen sind, ist ein eigentlicher Glücksfall. Denn wir erleben hier sehr viel Goodwill und Wertschätzung, was uns unglaublich viel Energie und Rückenwind gibt.

Haben Sie beim Bernapark jemals ans Aufgeben gedacht?
Sicher nicht! Es ist unglaublich faszinierend, ein solches Projekt mitgestalten zu dürfen und dabei auch viel zu lernen. Aufgeben war und ist keine Option. Meine Erfahrung ist: Gerade auch Einwände oder Kritik machen ein Projekt noch besser! Ich schätze es unglaublich, dass wir in unserem schönen Land – und erst noch im schönsten Kanton – die Kultur des Gesprächs und Kompromisses pflegen. So entstehen sinnvolle Lösungen, zum Beispiel auch in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege.

Was erhoffen Sie sich vom Zentrum für Innovation und Digitalisierung ZID, das Sie im Bernapark lanciert haben?
Das ZID soll ein Nährboden sein für Innovation und neue Geschäftsideen und -modelle. Es bietet optimale Bedingungen, damit unternehmerische Menschen und Startups ihre Businessideen und Erfahrungen in der Community austauschen können. Dies mit dem Ziel, Innovationen zu ermöglichen, die auch über die Region und den Kanton hinausstrahlen. Natürlich ist die Digitalisierung dabei ein wichtiger Treiber. Ich bin sehr froh und dankbar, mit Hans-Jörg Mihm einen Partner gefunden zu haben, der diese Ziele und die Leidenschaft für Startups und KMU mit mir teilt und die Entwicklung des ZID vorantreibt.

Sie haben vor rund zehn Jahren auch den KMU Campus auf dem Schloss Thun initiiert. Mit welchem Ziel?
KMU sind bekanntlich der Motor für unsere Entwicklung in der Schweiz. Dieser Motor läuft aber nicht von alleine. Es braucht gute Rahmenbedingungen. Im Rahmen des KMU Campus hat die Mobiliar Versicherung zusammen mit der Universität Stanford, der ETH und unabhängigen Moderatoren in den letzten zehn Jahren die Innovationsplattform Mobiliar Forum entwickelt. Hier können KMU tageweise in Workshops an zentralen Fragen ihres Geschäftsmodells und ihrer Produkte und Dienstleistungen arbeiten. Mit dieser Innovationswerkstatt hat die Mobiliar ausserordentlich Wichtiges für die KMU in der Schweiz geschaffen. Für diese tolle Zusammenarbeit und den grossen Einsatz bin ich sehr dankbar. Und dieser begeisternde KMU- und Innovations-Spirit entwickelt sich immer weiter! Das zeigt das grosse Interesse von Versicherungen, Banken sowie Treuhand- und Revisionsgesellschaften, sich ebenfalls als Partner auf dem Schlossberg Thun oder im ZID im Bernapark zu engagieren.

Am 1. September haben Sie die Verpackungslösungspezialistin Nyco in Kirchberg übernommen, 130 Mitarbeitenden den Job gesichert und die Firma wieder auf Erfolgskurs gebracht. Ein weiteres, totgesagtes Unternehmen, das Sie gerettet haben. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Es gibt nicht ein Erfolgsrezept schlechthin. Wichtige «Zutaten» sind die Menschen, das Vertrauen, das man ihnen schenkt, und ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung. Bei meinen unternehmerischen Engagements führe ich viele Gespräche mit der Belegschaft und den Kunden. So will ich herausfinden, was es braucht, um mit einem Produkt am Markt wieder erfolgreich zu sein. Das kann zum Beispiel die Funktion, das Material oder das Design betreffen. Ich versuche, den Führungsverantwortlichen und Mitarbeitenden aufzuzeigen, dass sie diejenigen sind, die ein Produkt optimieren und Prozesse vereinfachen und beschleunigen können. Dadurch lassen sich Kosten einsparen. Das ist im Sinn der japanischen Kaizen-Methode der kontinuierlichen Verbesserung durch kleine Veränderungen. Damit das gelingt, muss man den Mitarbeitenden aber überhaupt erst einmal die Möglichkeit geben, selber auszuprobieren, wie sich ein Produkt oder Ablauf verbessern lässt.

Sie sind nun 73 Jahre alt und nach wie vor täglich engagiert – was motiviert Sie und was ist für Sie rückblickend etwas vom Wichtigsten?
Ich habe jeden Tag grosse Freude an dem, was ich zusammen mit meiner Familie und allen Mitarbeitenden und Partnern machen darf. Meine tägliche Motivation ist es, etwas zu bewegen und zu gestalten, das dem Leben einen zusätzlichen Sinn gibt. Denn die Herausforderungen in unserer globalisierten Welt sind gross und vielfältig, vom Klimawandel über die Migration bis zum Kriegsgeschehen in Europa und im Nahen Osten. Gerade deshalb müssen wir in meinen Augen heute ein besonderes Augenmerk auf die Jugend richten und achtgeben auf ihr Wohlergehen. Denn sie ist unsere Zukunft!

Als Oberzibelegring sind Sie der inoffiziell höchste Berner. Haben Sie schon Pläne für Ihr «Amtsjahr»?
Dass ich der inoffiziell höchste Berner bin, war mir nicht bewusst (schmunzelt). Persönlich liegt es mir am Herzen, das Credo der Zibelegring-Gilde hochzuhalten: Nämlich, dass das freundschaftliche Zusammensein vom Glauben an die Würde des Einzelnen und an seine Freiheit zur Verwirklichung seiner Möglichkeiten geprägt ist. Und dass wir den guten Geist der Kameradschaft und Freundschaft fördern wollen. Diese Werte sind in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Ich werde mich also einsetzen fürs «Zämeha» und «Zämestah».

Andrea Bauer

PERSÖNLICH

Nach seinem Studium an der HWV Bern startete Hans-Ulrich Müller eine erfolgreiche Bankkarriere und wurde schliesslich zum Unternehmer und Investor. So machte er sich im Kanton Bern bereits mehrfach einen Namen als Retter von Industriebetrieben. Wie im Jahr 2010, als er die stillgelegte Kartonfabrik in Deisswil übernahm und dort den Bernapark aufbaute. Müllers Credo lautet denn auch: «Nie aufgeben und dabei auf niemanden angewiesen sein». In Bern wird er als «Mr. KMU» bezeichnet und hat nun von der Gilde der Zibelegringe der Berner Stadtschützen die Ehre des Oberzibelegrings erhalten. Der 73-jährige Unternehmer ist verheiratet, Vater dreier erwachsener Kinder und lebt in Muri bei Bern.

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