Alle Augen richten sich derzeit auf Swissmedic. Die Behörde hat ihren Sitz in der Länggasse. Sprecher Lukas Jaggi erklärt, wann der Impfstoff kommt und wie er Skeptiker überzeugen will.
Welcher der vier Impfstoffe, deren Zulassungsgesuch derzeit geprüft wird (Astra Zeneca, Pfizer/Biontech, Moderna und Janssen), hat momentan die Nase vorn?
Wir wissen noch nicht, welcher Impfstoff als erster zugelassen wird. Die bisher von den Firmen eingereichten und von Swissmedic laufend geprüften Daten erlauben im Moment noch keine abschliessende Beurteilung von Nutzen und Risiken. Der weltweite Effort ist bemerkenswert und lässt hoffen, dass wir bald mehrere Covid-19-Impfstoffe für unterschiedliche Zielgruppen haben werden. Dieser Wettbewerb zwischen den zahlreichen Forschergruppen und Herstellern bringt allen etwas.
Eine realistische Prognose bitte: Ab wann wird der Impfstoff in der Schweiz verfügbar sein?
Ich kann kein Datum nennen, das hängt massgeblich von den Firmen ab. Was die Zulassungen betrifft, erhalten wir noch im Dezember weitere wichtige Daten zur Sicherheit, aber auch zur Wirksamkeit und Herstellungsqualität. Wir können dann im sogenannten «rollenden Verfahren» schnell entscheiden, weil die Datenpakete laufend geprüft werden. Auch hier ist positiv, dass alle parallel arbeiten. Bund und Kantone bereiten sich schon auf Impfungen vor und warten mit diesen Arbeiten nicht bis zu einer Zulassung.
Falls ab Frühling tatsächlich mit der grossflächigen Impfung begonnen werden kann: Dürfen wir uns dann auf einen Sommer mit Festivals, vollen Clubs und eine Fussball-EM mit Zuschauern freuen?
Wir können die Coronavirus-Pandemie nicht so schnell wegimpfen, wie sie aufgetreten ist. Das neuartige Coronavirus hat sich auf der ganzen Welt rasend schnell verbreitet, es lässt sich jedoch nur Schritt um Schritt eindämmen. Wie lange das dauert, kann mit dem heutigen Wissen aber nicht gesagt werden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die aktuellen Schutzkonzepte auch noch im nächsten Jahr gelten.
Sind Sie für eine Impfpflicht?
Nein, die Impfung soll freiwillig sein.
Wie wollen Sie skeptischen Menschen die Angst vor einer Impfung nehmen?
Die Entwicklung neuer Arzneimittel dauert normalerweise mehrere Jahre. Die aktuellen Impfstoffkandidaten, die Swissmedic begutachtet, sind in weniger als einem Jahr entwickelt worden. Ich verstehe deshalb die Skepsis sehr gut. Dank Impfungen sind viele schwerwiegende Krankheiten seit Jahrzehnten unter Kontrolle. Auch an den neuen Technologien, auf denen gewisse Covid-19-Impfstoffe basieren, wird seit über zehn Jahren geforscht. Schwere Arzneimittelrisiken fallen bei der Entwicklung früh auf, Impfstoffe mit grösseren Sicherheitsmängeln hätten es gar nicht so weit gebracht. Wir wollen vor allem mit unserer sorgfältigen, breit abgestützten Prüfung Vertrauen schaffen. Swissmedic macht bei der Sicherheit keine Kompromisse.
Wird der Impfstoff dafür sorgen, dass wir in der Schweiz schon bald wieder einem «normalen» Alltag nachgehen können?
Wirksame und sichere Impfungen können die gesundheitlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Folgen der Pandemie langfristig beseitigen. Ich hoffe, dass dadurch in absehbarer Zeit ein normales gesellschaftliches Leben wieder möglich wird. Wann genau, kann ich nicht vorhersagen.
Rund 30 Ihrer Angestellten beschäftigen sich mit den potenziellen Vakzinen. Wie muss man sich deren Arbeit vorstellen?
Die Begutachtung erfolgt in interdisziplinären Arbeitsgruppen, den sogenannten Case-Teams. Wissenschaftliche Expertinnen und Experten der Case-Teams begutachten die Ergebnisse aller klinischen Studien eines Impfstoffkandidaten und überprüfen mögliche immunologische Probleme sowie die Herstellungsqualität. Ein Case-Team besteht aus Medizinern, Toxikologen, Pharmazeuten, Chemikern oder Pharmakologen sowie Spezialisten für Gentherapien. Die Arbeitsgruppen tauschen sich ständig auch mit Gremien anderer Zulassungsbehörden aus. Das ermöglicht eine sowohl detaillierte wie auch schnelle Beurteilung.
Leisten diese Mitarbeitenden derzeit Überstunden im Akkord?
Ja, vor dem Hintergrund der anhaltenden weltweiten Ausbreitung des SARS-CoV-2-Erregers hat die wissenschaftliche Analyse der jeweiligen Präparate höchste Priorität, auch bei Swissmedic.
Wieso gibt es in der Schweiz keine Notfallzulassungen wie etwa in den USA?
Anders als in England oder den USA existiert in der Schweiz im Covid-19- Recht keine gesetzliche Grundlage, Impfstoffe notfallmässig in Verkehr zu bringen, während das Zulassungsgesuch noch läuft. Bundesrat und Parlament haben die Impfstoffe ausgeklammert, weil diese vor allem gesunden Menschen vorbeugend verabreicht werden. Die Arzneimittelsicherheit ist bei Impfstoffen besonders wichtig und deshalb soll Swissmedic genau hinschauen.
Grossbritannien hat den Impfstoff von Pfizer/Biontech vergangenen Mittwoch zugelassen. Spielt das Vereinigte Königreich mit seiner Bevölkerung gerade Versuchskaninchen oder sind die Briten einfach schneller als wir?
Auch in Grossbritannien läuft das Zulassungsgesuch weiter, aber der Impfstoff darf gestützt auf die Prüfung der bisher vorliegenden Daten bereits eingesetzt werden. Die Behörden sind offenbar zum Schluss gekommen, dass dieser Impfstoff ein akzeptables Risikoprofil erreicht hat, welches geringer ist als das Risiko durch eine Covid-19-Erkrankung. Bei jedem Arzneimittel sind am Anfang die Risiken etwas grösser, als wenn man das Präparat schon lange kennt. Das Wissen über eine neue aktive Substanz wächst mit der Zeit und in der Schweiz hat man sich entschieden, der Sicherheit der Schweizer Bevölkerung höchste Priorität einzuräumen.
Werden Sie selbst sich impfen lassen?
Ja, grundsätzlich schon. Ich werde das aber mit meinem Arzt besprechen. Er kennt die Fachinformation und wird mich am besten beraten, welcher der hoffentlich bald zur Auswahl stehenden Impfstoffe für mich der richtige ist.
Yves Schott