Slide Alec Von Graffenried 2

«In der Lorraine sehe ich stets viele Fische und null Badegäste»

Stapi Alec von Graffenried hält den Sparkurs in der Kultur für eine Frage der Solidarität. Und: Was er mit dem Lorrainebad vorhat und wieso er zu seinem umstrittenen Tweet steht.

Herr Stadtpräsident, konnten Sie den Sommer bis jetzt geniessen?
Ich war zuerst in Wien am Treffen mit dem Wiener und Berliner Bürgermeister. Danach gingen wir zwei Tage wandern, bis der Regen und das Hochwasser kamen. Schliesslich fuhren wir eine Woche mit E-Mountainbikes quer durchs Südtirol. Betörend schön und sehr eindrücklich. Die Veloinfrastruktur dort ist übrigens um einiges besser als in der Schweiz (lacht).

Der 2. September ist nicht mehr weit weg. Graut Ihnen ein wenig vor diesem Datum?
Wegen der Budgetdebatte?

Ja.
So wie ich die Lage einschätze, bin ich zuversichtlich, dass wir mit unserem Sparpaket mehr oder weniger durchkommen. Doch wir müssen dafür noch einiges tun. Grauen? Nein, es kitzelt und motiviert mich eher.

Am vergangenen Wochenende fand in Bern ein Anti-Sparfest statt, an dem Sie sich auch kritischen Fragen stellten. Namentlich ging es um die Aufhebung der Stadtgalerie im Progr.
Grundsätzlich fnde ich es gut, wenn sich alle für ihre Interessen einsetzen. Bei der Kultur muss man allerdings schon richtig einordnen: Die Ausgaben sind dort den letzten Jahren stark erhöht worden. Zu Recht, wir wollten das ja so. Nun wird das Budget der fnanzpolitischen Realität angepasst. Die Kultur bleibt trotz allem einer der Bereiche, wo die Ausgaben in den letzten Jahren am stärksten gewachsen sind.

Tatsächlich?
Die Mittel sind weniger hoch als sie für 2020 vorgesehen waren, aber immer noch deutlich höher als bis 2019. Die Aussage, dass wegen Corona bei der Kultur nicht gespart werden dürfe, ist aus meiner Sicht zu relativieren. In der Not wurde separat und umfangreich geholfen.

Verstehen Sie die Kritik trotzdem?
Sogar bürgerliche Politikerinnen und Politiker schütteln ja den Kopf. Eher nicht. Der gleiche Stadtrat rät uns nämlich, mehr einzelne Künstlerinnen und Künstler und weniger Institutionen zu subventionieren. Bei der Stadtgalerie wird an Mietund Verwaltungskosten gespart, die Förderbeiträge für die Kunst bleiben erhalten. Deswegen habe ich ein ziemlich gutes Gewissen.

Warum muss gerade die Kultur bluten?
Wir haben klar kommuniziert, überall sparen zu wollen. Das ist eine Frage der Solidarität. Alle müssen ihren Beitrag leisten. In anderen Bereichen wie etwa im Unterhalt wird viel mehr gespart als bei der Kultur.

Zahlen muss unter anderem der motorisierte Verkehr: Die Anwohnerparkkarten werden teurer. Sie schröpfen also mal wieder die bösen Autofahrerinnen und Autofahrer.
Die Parkkarten sind im Vergleich sehr günstig – und das schon sehr lange. Vor rund zehn Jahren scheiterte ein erster Anlauf zur Tarifanpassung, jetzt versuchen wir es nochmals. Dasselbe gilt übrigens für die Feuerwehrersatzabgabe.

Zürich liess gerade erst verlauten, bald fächendeckend Tempo 30 einführen zu wollen.
Ja, die kündigen an, Bern handelt bereits. Was mir vorschwebt, ist ein Stadtverkehr, bei dem alle aufeinander Rücksicht nehmen. Die zentrale Verkehrsregelung wäre quasi, das Tempo zu reduzieren. Dadurch werden schwächere Verkehrsteilnehmende besser geschützt. So könnte man viele andere Regulierungen und vor allem auch Rotlichter aufheben! Wir möchten eine Stadt der Beteiligung sein, in der die Menschen zueinander statt zu den roten Ampeln schauen.

Auf bestimmten Abschnitten macht Tempo 30 nur wenig Sinn.
Wichtig ist doch die Durchschnittsgeschwindigkeit in der Stadt, die liegt bei rund 10-15 km/h. Wenn wir weniger Stop and Go haben, dann bin ich mit Höchstgeschwindigkeit 30 genau gleich schnell vom Ostring in Bümpliz wie mit Tempo 50.

Tempo 30 verursacht weniger Lärm und weniger Unfälle, richtig. Bloss der CO2-Ausstoss wird dadurch nicht reduziert, sagt eine neue Studie der Empa.
Doch! Bei Stop and Go mag das stimmen; wird der Verkehr hin – gegen verfüssigt, erzielt man in diesem Bereich ebenfalls eine Verbesserung.

Eine weitere von den Sparmassnahmen betroffene Institution ist das Lorrainebad. Die Fronten scheinen verhärtet.
Hier haben wir wohl zu wenig klar kommuniziert, es gibt viele Missverständnisse. Sicher wollen wir keine Privatisierung der Anlage mit Eintritt, wie das befürchtet wird. Für mich ist das Lorrainebad eher Liegewiese, Treffpunkt und Aarebad als eine Sportanlage. Im Becken sehe ich stets viele Fische und null Badegäste (lacht). Im Ernst: Vielleicht könnten wir der Anlage mehr Leben einhauchen und abends Veranstaltungen durchführen, ähnlich wie in der Lettenbadi in Zürich.

Gibt es einen Zeithorizont, bis wann der Umbruch vollzogen sein soll?
Nein, doch das Lorrainebad muss saniert werden. Der Aaredamm zum Beispiel ist in keinem guten Zustand mehr. Es wäre also sinnvoll, die Sanierung auf die neue Nutzung hin zu realisieren.

Ähnlich emotional sind die Diskussionen beim Mubeeri.
Mit der neuen Schwimmhalle im Neufeld bestehen auf Stadtberner Boden genug Wasserfächen. Auch aus finanziellen Gründen bin ich dagegen, dass die Stadt das Mubeeri weiterhin unterhält. Es darf von mir aus gerne ein Schwimmbad bleiben, aber die Stadt kann und soll sich das nicht leisten.

Genug Wasserfächen, zu wenig Medienvielfalt: Ein Teil von Radio SRF zieht nach Zürich, «BZ» und «Bund» legen ihre Redaktionen zusammen.
Ich halte das für keine gute Entwicklung. In einer Demokratie existieren verschiedene Meinungen, das sollte sich in der Medienland – schaft ebenfalls widerspiegeln. Wenn etwa eine Zeitung eine Pressekonferenz auslässt, weil sie darüber nicht berichten will, wird es für uns mit der Kommunikation schwierig. Natürlich gibt es weitere Player wie den Bärnerbär oder das Journal B. Insgesamt ist das Angebot allerdings tatsächlich sehr überschaubar. Dass sich mehrere Leute Gedanken über neue Medienprojekte machen, fnde ich deshalb enorm wichtig

Der Bärnerbär ist immer mal wieder kritisch, was den Gemeinde- und den Stadtrat angeht. Wären Sie bisweilen froh, es gäbe bloss eine, wohlwollende Zeitungsstimme?
Ich bin kein Masochist, logisch (lacht). Nein, selbstverständlich muss ist Kritik möglich sein. Zugegeben, manchmal regt sie mich furchtbar auf und dann reagiere ich schon mal dünnhäutig, aber Medien werden nicht umsonst als vierte Gewalt bezeichnet und sollen ihre Stimme unbedingt erheben.

Das geplante Medienförderungsgesetz sieht staatliche Subventionen für die Presse vor, würde jedoch namentlich Grosskonzerne wie Ringier oder die TX Group bevorteilen.
Eine ambivalente Geschichte: Staatsmedien will niemand, trotzdem soll ein gutes Umfeld geschaffen werden, damit Journalistinnen und Journalisten eine Plattform erhalten, um seriös arbeiten zu können. Insbesondere beim Aufarbeiten von Nachrichten sind starke, unabhängige Player nötig, die dann halt teilweise vom Bund fnanziert werden. Von einer staatlich subventionierten Nachrichtenagentur könnte auch Ihre Zeitung proftieren. Alles immer im unabhängigen Rahmen – zu staatlicher Einfussnahme darf es nie kommen.

Apropos Medien: Es gab Aufregung um einen Tweet, den Sie aufgrund der Guillotine-Geschichte rund um Michèle Binswanger abgesetzt haben.
Hier wurde klar ersichtlich, was passiert, wenn ein Medienkonzern eine grosse Meinungsmacht hat. Man spielte sich gegenseitig die Bälle zu, die einzelnen Journalisten sind miteinander verbandelt. «20 Minuten» riss das Guillotine-Bild aus dem Zusammenhang, dann ging es los – das hat mich gestört, darauf wollte ich aufmerksam machen und dazu stehe ich.

Haben Sie die Situation mit Arthur Rutishauser oder Simon Bärtschi klären können?
Nein, aber ich werde Simon Bärtschi bei Gelegenheit sicher darauf ansprechen.

Zum Schluss unser aller Lieblingsthema: Sind die täglichen Corona Fallzahlen nach wie vor relevant?
Viel eher jene der Hospitalisierungen und vor allem die Impfquote. Da müssen wir eindeutig besser werden. Ohne höhere Impfquote werden wir die Pandemie nicht überwinden können.

Wie wollen Sie das erreichen?
Ich war wie zu Beginn erwähnt in Wien. Bei etlichen Events wie OpenAirs steht eine Impfbox zur Verfügung, wo sich die Leute spontan impfen lassen können. Es braucht vermehrt solche Ideen. Manche sagen, Menschen mit einer Bratwurst zu bestechen, sei falsch. Ich halte das für ein legitimes Mittel (lacht). Wirklich!

Die beiden Regierungsräte Pierre Alain Schnegg von der SVP wie Christoph Ammann von der SP sagen unisono: Einen weiteren Lockdown darf es nicht geben. Einverstanden?
Wenn SVP und SP einer Meinung sind, was kann ich da noch hinzufügen (lacht)? Völlig einverstanden. Ich habe ebenfalls genug. Und wirtschaftlich wäre das verheerend.

Yves Schott

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