Auswahl 3963

Ist den Babyboomerndas Klima wirklich egal?

Wird der Generationen-Graben wirklich immer grösser? Was beschäftigt Jung und Alt? Das Berner Generationenhaus wolltees ganz genau wissen und hat dazu eine bemerkenswerte Studie verfasst. ProgrammleiterDetlef Vögeli nimmt zu den wichtigsten Punkten Stellung.

Wie geht es den älteren und jüngeren Menschen in diesem Land?
Das Generationen-Barometer 2020 zeigt, dass die Lebenszufriedenheit über alle Altersstufen gesehen rela-tiv hoch ist. Am zufriedensten sind die Babyboomer. Sie sind die letzten, die gegenüber ihren Eltern in fast allen Lebensbereichen eine Verbesserung wahrnehmen. Personen im mittleren Alter träumen dagegen vom Millionengewinn, vom Aussteigen oder vom Nichtstun.

Und die Jüngsten?
Die 18- bis 24-Jährigen sind mit ihrer persönlichen Lebenssituation ebenfalls zufrieden. Dennoch fehlt es 42 Prozent an Hoffnung und Zuversicht, was die Zukunft anbetrifft.

Hat die Pandemie einen Einfluss auf die Lebensqualität?
Schwierig zu sagen. Die Umfrage wurde im September 2020 zwischen der ersten und zweiten Welle durchgeführt. Damals waren die Meinungen, ob die Krise positive oder negative Folgen auf die Generationensolidarität hat, geteilt.

Welche Themen bewegen die Jüngeren, welche die Älteren?
Die Gesellschaft nur in diese zwei Kategorien einzuteilen, scheint mir problematisch. Weil die Lebenserwartung gestiegen ist, leben heute vier Generationen gleichzeitig. Bei den verschiedenen Altersgruppen zeigen sich allerdings gewisse Unterschiede. Die Sensibilität für die Umwelt – Stichwort Klimajugend – ist bei den Jüngeren klar ersichtlich. Auch bei der Genderfrage, bei der Gleichberechtigung beispielsweise, werden Unterschiede sichtbar, zu dem ist Polyamorie bei den Jüngeren selbstverständlicher.

Apropos Klima: Tut sich hier tatsächlich ein Graben auf?
Umweltpolitik ist kein rein jugend-liches Anliegen. Es gibt ja auch die «Klima Seniorinnen». Aber die junge Generation ist vermutlich sensibilisierter, weil sie von den Folgen des Klimawandels stärker betroffen sein wird als die älteren Generationen.

In den Medien ist häufig davon zu lesen, dass sich der Generationengraben generell vergrössert. Diesen Eindruck erhält auch, wer sich in den sozialen Medien umhört.
Rund ein Drittel der Befragten sieht eine Konfliktlinie zwischen den Generationen. Deutlich grösser wird die Gefahr eingeschätzt, dass die Schweiz zwischen Arm und Reich, Links und Rechts oder Stadt und Land auseinanderdriftet. Von einem Generationenkrieg kann jedenfalls keine Rede sein. Die Forschung spricht eher davon, dass die Generationen sich wieder annähern, nicht zuletzt kulturell: Man trägt die Kleider der Mutter oder der Vater hört die gleiche Musik wie die Tochter. Das hat damit zu tun, dass heute viel mehr möglich ist, das nicht zwingend vom Alter abhängt.

Covid-19 könnte dazu beitragen, ge-wisse Differenzen zu überwinden. In der ersten Welle übernahmen zahlreiche jüngere Menschen für die Älteren die Einkäufe.
Die Pandemie hatte zur Folge, dass sich viele jüngere mit älteren Menschen solidarisierten. Offen bleibt die Frage, wie sich die Coronakrise längerfristig auf das Verhältnis zwischen den Generationen auswirkt. Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx etwa meint, die Pandemie habe die Grundlage für eine Art «New-Generation-Deal» gelegt: Er sieht die älteren Generationen in der Pflicht, die Anliegen der Jüngeren ernster zu nehmen.

Eine weitere, häufig verbreitete These: Die gesetztere Bevölkerung fühlt sich oft diskriminiert und übergangen.
Über alle Altersgruppen und Lebensbereiche gesehen findet etwa die Hälfte aller Befragten, aufgrund des Alters in den vergangenen fünf Jahren diskriminiert worden zu sein. Überraschenderweise fühlten sich die 18- bis 24-Jährigen am häufigs-ten benachteiligt. Weniger überraschend ist, dass sich in der Arbeits-welt vor allem Menschen zwischen 55 und 64 Jahren diskriminiert fühlen.

Sprechen wir vom digitalen Wandel: Wurden Menschen über 60 wirklich abgehängt?
Pauschal lässt sich das nicht sagen. Viele Seniorinnen und Senioren nutzen das Internet, Smartphones oder Apps ganz selbstverständlich. Klar ist aber auch, dass der rasan-te Wandel für viele eine Herausforderung bedeutet. Das Angebot im Berner Generationenhaus, dass Jugendliche älteren Menschen beim Lösen ihrer Computer- oder Handyprobleme helfen, ist jedenfalls gefragt.

Wie ist es bei Ihnen – halten Sie mit dem digitalen Wandel Schritt?
Im Moment komme ich noch ganz gut mit. Aber die Entwicklung ist rasant. Ich sehe es bei meinen beiden Kindern: Sie sind 10 und 12, bringen mir gewisse Dinge in neuen Apps bei und navigieren auf dem Smartphone ganz anders. Ich denke da nur schon an all die Whatsapp-Gruppen – da stosse ich schnell mal an meine Ver-arbeitungsgrenzen (lacht).

Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer Studie?
Es existiert kein genereller Generationenkonflikt, aber gewisse Spannungen, die man ernst nehmen muss. Der demografische Wandel hin zu einer Gesellschaft des langen Lebens erfordert Anpassungen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Die Altersvorsorge beispielsweise wird in Umfragen regelmässig als grösste Sorge genannt. Und trotzdem ist kaum eine Reform politisch mehrheitsfähig. Vermutlich braucht es da neue Ansätze wie zum Beispiel die Idee der Lebensarbeitszeit: Man hat ein Lebensarbeitspensum, das man sich weitgehend frei einteilen kann. So hätte man in der mittleren Lebensphase beispielsweise die Möglichkeit, eine Auszeit zu nehmen.

Das wäre eine kleine Revolution.
Nun…auch die Einführung der AHV oder des Frauenstimmrechts waren revolutionär – und sind heute selbstverständlich.

Yves Schott

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge