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«Jetzt kann ich meine naiven Fragen der BLS stellen»

Am 1. September tritt der bisherige ewb-CEO seinen Job als «oberster Bähnler» der BLS an. Ihm liegt viel daran, das Unternehmen aus den Negativ Schlagzeilen zu bringen.

Gab es bei ewb ein rauschendes Fest und Tränen des Abschieds?
Ja, am Abend verliess ich meinen Arbeitsplatz mit einem wehmütigen Gefühl und auch meine Assistentinnen, die vor Ort waren, konnten ihre Emotionen nicht ganz zurückhalten. Das coronakonforme Abschiedsfest fand dann am 19. August in der Energiezentrale statt. Die Mitarbeitenden erschienen gestaffelt, verteilt auf Nachmittag und Abend. Ich grilllierte permanent Würste und mein Sohn schenkte Bier aus.

Nach 13 Jahren ewb: Gehen Sie mit einem lachenden oder weinenden Auge?
Eigentlich mit beiden Augen. Zu den erreichten Zielen gehört sicher die Energiezentrale Forsthaus sowie der Start des Ausbaus des Fernwärmenetzes Bern-West. Zu den nicht vollendeten Projekten zähle ich die Strommarktliberalisierung. Wir haben uns während meiner 13-jährigen ewb-Tätigkeit permanent auf die Liberalisierung vorbereitet, aber realisiert wurde sie bis heute nicht. Das war sicher ein Energieverlust, der uns während dieser Zeit begleitet hat. Zum weinenden Auge gehört auch der neue ewb-Hauptsitz in Ausserholligen, den ich gerne selber noch realisiert hätte, weil ich mich stark dafür einsetzte. Ich hoffe sehr, dass die Innovationskraft bei ewb auch künftig weitergeht und man sich nicht in der Komfortzone ausruht.

Sie verlassen bei Energie Wasser Bern ein in der Bevölkerung angesehenes Unternehmen, wie die jährlichen Kundenzufriedenheitsumfragen ergaben. Hätten Sie sich nicht vorstellen können, ewb bis zu Ihrer Pensionierung zu leiten?
Das wäre für mich durchaus möglich gewesen. Aber mit der Zeit wird man Teil des Unternehmens, das ist auch gut so. Man hat zwar immer noch dieselben innovativen, teils abstrusen Ideen wie zu Beginn. Aber die Entschuldigung, wenn sich eine ursprüngliche Idee nicht umsetzen lässt, kommt nicht mehr von aussen, man gibt sie sich gleich selber, weil man ja selbst Teil des Systems ist. Und noch schlimmer: Sie sind sogar bereit, die Entschuldigung zu akzeptieren. Mit anderen Worten: Sie bringen nicht mehr genug Schub und neue Energie ins Unternehmen. Ich glaube, mein Entscheid zum Wechsel war richtig, und zwar für alle Beteiligten. Jetzt kann ich meine naiven Fragen der BLS stellen und die Entschuldigungen habe ich auch nicht selber parat.

Betrachten Sie den Wechsel zur BLS als Ihre letzte berufiche Station?
Das kann man nie mit Bestimmtheit sagen, weil man heute nicht alles so lange vorausplanen kann. Gewiss, es ist meine Absicht, bei der BLS meine Spuren zu hinterlassen. Aber ich bin Realist, man kann in dieser Funktion auch scheitern, dessen bin ich mir bewusst.

Das Image der BLS ist wegen verschiedener Probleme angeschlagen: Subventionsaffäre, Lötschbergsanierung, Umweltskandal Blausee, ausgestiegene Klimaanlagen in BLS-Zügen. Warum tun Sie sich das an?
Weil ich grosse Herausforderungen liebe, da neige ich zu Hochform aufzulaufen. Ich bin der Auffassung, dass ich der BLS in jenen Bereichen, wo grösserer Handlungsbedarf besteht, etwas bringen kann. Da bin ich zuversichtlich, die richtigen Töne zu treffen. Ihre Themenliste ist sicher nicht vollständig, es gibt Projekte, die zurzeit nicht so heiss diskutiert werden, aber durchaus das Potenzial für heisse Diskussionen haben. Ich sehe das als Herausforderung, bei allen involvierten Interessengruppen Einsicht zu schaffen und am Schluss Lösungen zu produzieren. Trotz negativer Schlagzeilen machen alle rund 3500 Mitarbeitenden täglich einen guten Job, um das Produkt zur Zufriedenheit der Kunden auf die Schiene zu bringen.

Sie sind kein «Bähnler»: Hatten Sie als Knabe eine Modelleisenbahn?
(Lacht) Nicht nur als Knabe, ich habe selbst heute noch eine Modelleisenbahn! Ein Bähnler im klassischen Sinn bin ich nicht, obwohl ich als Student Liegewagen begleitet habe. Ich fokussierte mich schon beim Studium als Ingenieur ETH mit Fachrichtung Elektromaschinen auf die Bahn. Mir schwebte damals etwas im Lokomotivbau vor. Aber die Weichen wurden schliesslich anders gestellt, ich landete bei den Wasserkraftwerken, ebenfalls ein faszinierender Bereich.

Ist es immer noch eine Männerdomäne, einem grossen Bahnunternehmen vorzustehen? Warum keine Frau?
Ich kenne die Details des Rekrutierungsprozesses nicht. Aber es ist leider immer noch so, dass zu wenig Frauen das Ingenieurstudium in Angriff nehmen. Wir können diesen Missstand nur ändern, wenn wir uns als Eltern und Lehrpersonen von den festgefahrenen Klischees verabschieden und Mädchen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu begeistern versuchen. Es sollte völlig normal werden, dass ein «Modi» Physik oder Ingenieurwesen studieren kann. Die gesellschaftlichen Strukturen sind heute viel besser, so dass eine Frau in der Schweiz ihren Job – selbst in einer Führungsposition – durchaus mit der Familie in Einklang bringen kann.

Welche Ziele haben Sie sich für die BLS gesetzt?
Es wäre vermessen, wenn ich vor meinem Amtsantritt bereits erklären würde, was wir alles erreichen möchten. Das kann ich Ihnen nach den ersten hundert Tagen sagen. Aber ich möchte wieder Ruhe und Sachlichkeit in die Diskussionen bringen. Es liegt mir auch sehr viel daran, dass wir das hohe Engagement der Mitarbeitenden beibehalten können, dass sie ihren Job mit Freude und Stolz ausführen dürfen, zugunsten der Kunden.

Wo sehen Sie die BLS in fünf Jahren?
Hoffentlich weniger in den negativen Schlagzeilen als heute! Die BLS sollte mit folgenden Attributen in Verbindung gebracht werden: gutes Kundenerlebnis, professionelle Abwicklung von Infrastrukturprojekten, hohe Kunden- und Mitarbeitendenzufriedenheit und schliesslich ein Unternehmen, worauf alle Stakeholder stolz sein können.

Ihr erster Arbeitstag ist am 1. September. Wie wird dieser Tag aussehen?
Ich werde am Morgen mit der BLS von meinem Wohnort nach Bern fahren. Dann habe ich mit meiner Assistentin eine Einführung in administrative Abläufe. Weiter treffe ich die neue Kommunikationschefn, die zusammen mit mir den ersten Arbeitstag haben wird. Danach fahre ich nach Interlaken ans Swiss Economic Forum, wo ich wichtige Stakeholder treffe und als «Aussenminister» die BLS vertrete, das ist eine sehr zentrale Aufgabe meines Jobs.

Was bezeichnen Sie als Ihre grösste Stärke, als grösste Schwäche?
Optimismus bezeichne ich als meine starke Eigenschaft, indem ich ans Gute glaube, den Menschen vertraue, das halbvolle und nicht das halbleere Glas sehe. Gerade diese Eigenschaft kann aber auch zur Enttäuschung werden, weil das Gute nicht immer eintrifft. Das ärgert mich dann sichtlich.

Peter Widmer

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