Lokale Produzenten kann man auch online unterstützen, sagt Wirtschaftsprofessor Thomas Myrach von der Uni Bern. Bei den grossen Anbietern hingegen lauern ökologische Risiken.
Der Onlinehandel boomt – die Leute bestellen massenweise im Netz.
Seit den Nullerjahren erleben wir einen gleichmässigen, wenn auch nicht dramatischen Anstieg des Onlinehandels. Durch eine Ausnahmensituation wie Corona wird dieser Trend natürlich verstärkt, klar.
Über die ökologischen Folgen von digitalem Shopping existieren zahlreiche Studien. Welches sind denn nun die Auswirkungen auf die Umwelt, wenn ich im Internet einkaufe?
Das kommt drauf an – was eine akademische Standardantwort ist (lacht). Wichtig ist, wie die Anbieter ihren Handel konkret ausgestalten. Gerade die Grossen des Business wie Amazon oder Zalando stellen Lieferfähigkeit, Kundenservice oder Retourenmanagement in den Vordergrund, um ihr Geschäftsmodell zu stützen. Das hat Konsequenzen, die ökologisch fragwürdig sind.
Erklären Sie uns das Problem des sogenannten Retourenmanagements bitte etwas genauer.
Man erhält beispielsweise Kleidung nach Hause geliefert und schickt diese – da sie nicht passt oder nicht gefällt – direkt wieder zurück. Das ist für das Unternehmen nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch vom Standpunkt der Nachhaltigkeit kritisch zu sehen.
Weil Fahrzeuge die ausgelieferte Ware wieder abholen müssen?
Richtig. Die Lastwagen oder Sprinter sind das eine – sie werden zudem wegen der Dringlichkeit oftmals nicht einmal komplett beladen. Würde man nachhaltig denken, müsste eigentlich zugewartet werden, bis ein Fahrzeug voll ist. Doch dem Kunden werden ja Versprechen gemacht, dass seine Bestellung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bei ihm eingetroffen ist. Eine Frage, die in diesem Zusammenhang schon gestellt wurde: Wollen das die Kunden überhaupt oder wären sie grundsätzlich bereit, etwas länger auf ihr Produkt zu warten, um die Umwelt zu schonen? Ein Betrieb, der sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreibt, sollte diese Option zumindest in Erwägung ziehen. Und dann kommt ja in diesem Zusammenhang noch ein weiteres Problem hinzu.
Welches?
Ware, die die Kundschaft zurückschickt, wird von den grossen Unternehmungen unter Umständen einfach weggeworfen – obwohl sie praktisch neu ist. Bloss: Alles wieder zusammenzulegen und neu zu verpacken, wäre für diese Firmen mit vollautomatisierten Prozessen schlicht zu umständlich.
Welche zusätzlichen Möglichkeiten gibt es, Retouren möglichst klein zu halten?
Bei Kleidung könnte man beispielsweise mit Online-Grössentabellen das Risiko reduzieren, dass falsche Hosen oder Schuhe angeliefert werden. Solche Lösungen werden übrigens sogar von KMU praktiziert, sie sind gar nicht so kompliziert.
Wann ist Onlineshopping denn am umweltschädlichsten?
Jede Ware, die Transport verursacht, stellt eine Belastung dar. Denken Sie an die zunehmend verstopften Strassen. Es handelt sich hier übrigens um einen Effekt, der sich selbst verstärkt: Merkt der Anbieter, dass das bestellte Produkt wegen viel Verkehr möglicherweise nicht rechtzeitig ausgeliefert werden kann, setzt er tendenziell noch mehr Fahrzeuge für die verschiedenen Lieferziele in Bewegung, um das Risiko einer Verspätung zu senken – obschon die Strassen ja bereits überlastet sind.
Wer beim lokalen Geschäft in der Stadt einkauft, handelt per se nachhaltig. Stimmt diese Aussage?
Mit Generalisierungen bin ich tendenziell vorsichtig. Klassische Händler überbrücken die Lücke zwischen Produzenten und Konsumenten. Daraus resultieren ökonomische wie auch ökologische Vorteile. Sicher ist es ein Vorteil, wenn Waren gebündelt werden. Ein Shoppingcenter bezieht grössere Mengen, was bei der Anlieferung Transporte verringert. Fährt hingegen jeder Kunde mit seinem eigenen Auto zum Geschäft hin, trübt das die Umweltbilanz wiederum.
Trotzdem ist das nach wie vor sinnvoller, als das Ladekabel und die Lautsprecherbox bei Wish oder Alibaba zu bestellen.
Sie nennen hier Produkte, die vielfach im Fernen Osten hergestellt werden und von dort hertransportiert werden müssen. Man könnte hingegen daran interessiert sein, lokale Produktion zu fördern. Im Bereich Mode existieren beispielsweise etliche Schweizer Labels, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen, wobei diese meist etwas teurer sind als jene der bekannten Modeketten.
Was raten Sie lokalen KMU-Betrieben, damit die Menschen möglichst nachhaltig shoppen und nicht auf ausländische Portale ausweichen?
Vif zu sein und nicht in starren Mustern zu verharren. Erinnern wir uns an den Lockdown im Frühling zurück: Damals sassen ganz viele Blumenhändler auf ihren Geranien und Tulpen fest, weil sie schliessen mussten. Gewisse Betriebe haben das Verbot umgangen, indem sie ihre Stände zu Pick-Points, also Übergabestellen mit guter Erreichbarkeit, umgestaltet haben. Die Ware konnte nach Vorbestellung dort abgeholt werden. Oder nehmen Sie jene Restaurants, die den Verkauf über die Gasse eingeführt haben. Lauter kleine, aber äusserst effektive Massnahmen, die sich durch Online-Medien unterstützen lassen.
Was raten Sie den Kundinnen und Kunden?
Es liegt letztlich auch an der persönlichen Einstellung, wie wichtig einem Lokalität und Nachhaltigkeit ist. Mir schmeckt der Wein vom Bielersee besser als jener aus Südafrika und ich kaufe regelmässig auf dem Märit ein. Das sind jetzt zwar persönliche Vorlieben, wer lokale Produzenten und Händler unterstützt, trägt jedoch gleichzeitig auch zu deren Existenz bei und kurbelt die Schweizer Wirtschaft an. Für die grossen Unternehmen ist die Schweiz als Markt vielfach zu klein. So hat Amazon beispielsweise in der Schweiz kein einziges Verteilzentrum. Die LKWs fahren also aus Deutschland oder Frankreich hierher, was die Ökobilanz nicht eben aufwertet.
Wie lautet also Ihre Kernbotschaft?
Das Internet bietet eine Kommunikationsplattform, die im Prinzip jeder nutzen kann, nicht nur grosse internationale Unternehmen. Wer kreativ agiert, wird feststellen, dass in diesem Bereich einiges drin liegt. Die Tools sind mittlerweile sehr simpel zu bedienen; plötzlich eröffnen sich Chancen, lokale und sogar überregionale Kundschaft zu erreichen. Es ist dann eine Frage des Online-Marketings, die Leute überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Aber: Online kann total lokal sein.
Yves Schott