Exakt sechs Wochen dauert der Lockdown in der Schweiz. Dann, ab Ende April, werden Geschäfte und Läden schrittweise wieder geöffnet. Spätestens seit Anfang Juni herrscht in allen Branchen Normalzustand. Oder etwa doch nicht? Der Bärnerbär hat sich bei verschiedenen Berner Betrieben umgehört und festgestellt: Die neue Normalität ist eben doch ziemlich speziell.
Aufgezeichnet: Yves Schott
Olivia Solari, Rechtsexpertin beim AGVS (Auto Gewerbe Verband Schweiz)
Die Autobranche ist nach wie vor stark von der Corona-Pandemie gezeichnet. Die Anzahl an Neuzulassungen liegt kumuliert bis zum Monat Mai bei 39 Prozent bzw. rund 50000 Neuwagen unter Vorjahreswert. Der AGVS wollte wissen, wie die Prognosen für das restliche Jahr sowie im Jahr 2021 aussehen? Dafür hat die BAK Economics AG im Auftrag des AGVS einen Konjunkturausblick erstellt. BAK prognostiziert einen Rückgang der Neuzulassungen um rund 27 Prozent auf 228000 Neuwagen. Der Gebrauchtwagenmarkt zeigt sich deutlich resistenter: Erwartet wird ein Rückgang um 3,2 Prozent auf 816000 Handänderungen. Für das Werkstattgeschäft ist mit einem Rückgang der Umsätze um 1,7 Prozent zu rechnen. Ganz aktuell steht eine weitere Überarbeitung der Schutzkonzepte-Vorlagen an, welche die Garagen in ihren Betrieben umsetzen müssen. Rechtliche Fragen rund um die Corona-Situation sind nach wie vor sehr präsent und werden sich sicher auch in Zukunft vermehrt stellen. Der AGVS erlebt seine Mitglieder trotz allem als sehr innovativ und man schaut gemeinsam nach vorne.»
Ludwig Nehls, CEO Grand Casino Kursaal Bern
Wie präsentiert sich die Situation aktuell?
Seit drei Wochen hat das Grand Casino Bern wieder geöffnet. Es freut mich natürlich, dass unsere Gäste vom ersten Tag an wieder zu uns kommen. Dass sie dabei Eigenverantwortung übernehmen und sich an die Schutzmassnahmen halten, ist wirklich toll; das ist leider nicht überall so, was mich persönlich sehr ärgert.
Wie zufrieden sind Sie?
In dieser Krise haben die politischen Führer dieses Landes meinen Respekt verdient. Für einmal kein Parteiendenken, sondern gemeinsam an einem Strick ziehen. Sie haben unsere Nation mit Umsicht vor Schlimmerem bewahrt! Dass der Weg aus dem Lockdown nun nicht überhastet wird, finde ich gut, eine zweite Welle brauche ich wirklich nicht.
Was stellen Sie für eine Prognose?
Die wirtschaftlichen Folgen für uns als Unternehmen wie auch für die Mitarbeitenden bleiben zwar weiterhin unerfreulich, ich glaube aber, wir werden diese Krise ohne bleibende Schäden überstehen. Im Moment empfinde ich die ganze Situation als ein Herantasten an eine neue Normalität, die nie mehr so sein wird wie früher. Die Krise hat viele soziale, wirtschaftliche und arbeitstechnische Themen hervorgebracht, die gelöst werden müssen und sich sicher nachhaltig auf unser Zusammenleben und den Markt auswirken werden.
Kathrin von Arx, Direktorin Manor Bern
Die zwei Monate Lockdown waren hart, sowohl für die Kundschaft als auch für unsere Mitarbeitenden. Alle haben sich von Herzen auf die Wiedereröffnung gefreut und wir präsentierten der Kundschaft einen attraktiven Mix an Frühlings- und Sommermode. Erfreulich schnell kamen die Kundinnen und Kunden wieder. Mittels attraktiver Rabatte konnten wir sowohl die Umsätze stützen als auch die Ware grösstenteils abverkaufen. Der Lockdown hat unseren Onlineumsatz stark beflügelt. Das Warenhaus Bern profitiert nun somit von Internetbestellungen, die in der Marktgasse abgeholt werden. Anfangs waren die Kundinnen und Kunden bei Restaurantbesuchen noch zurückhaltend und das Sitzplatzangebot stark eingeschränkt. Dank unserem Sicherheitskonzept haben die Kundinnen und Kunden wieder Vertrauen gewonnen. Unsere attraktive Dachterrasse ist auch aufgrund des schönen Wetters wieder sehr beliebt. Wir bei Manor Bern befinden uns immer noch in der Aufbauphase. In der aktuell schwierigen Zeit bleiben wir vorsichtig optimistisch.»
Dave Naef, Co-Geschäftsleiter Bierhübeli
Mich bewegt, wie Kulturschaffende näher zusammenrücken, sich regelmässig austauschen und sich in Solidaritätsbekundungen wie der Night of Light zusammentun. Die Ansage ist klar: Die Konzertund Kulturszene kämpft ums Überleben. Donnerstag, 12. März: Patent Ochsner brechen ihre Tour ab. Kurz vor Mitternacht sind die Instrumente im Fahrzeug versorgt. Und alles ist still. Dienstag, 26. Mai: Eröffnung von Gustavs Biergarten. Ein unglaublich tolles Gefühl, erneut Gäste bedienen zu dürfen. Samstag, 6. Juni: Im Bierhübeli findet das erste Wohnzimmer-Konzert statt. Chris Samuel. In einem intimen Rahmen. Wunderschön. Es folgen Künstler*innen wie William White, Naomi Lareine, Pony M., Massimo Rocchi und noch viele mehr. Samstag, 27. Juni: Breakfast at Tiffany’s. Durch die Abschaffung der Polizeistunde sind Partys wieder möglich. Die Auflagen sind aufwendig. Der Personalbedarf deutlich höher. Dennoch wird die Party zum vollen Erfolg. 600 Gäste vergnügen sich in zwei separaten Zonen. Wir nehmen einen Schritt nach dem anderen. Die Rückkehr in die Normalität wird länger dauern, als uns allen lieb ist.»
Savo Hertig, Inhaber savo.ch
Die Corona-Krise hat zweifellos keinen Stein auf dem anderen gelassen – auch bei uns in der Fitnessbranche nicht. Für uns bei savo.ch war es zweifellos die schwierigste Zeit seit Gründung im Jahr 2007. Wir mussten von einem Tag auf den anderen mit vielen offenen Fragen schliessen. Nach kurzer Fassungslosigkeit, Zweifeln, Ängsten und der Frage «Wie weiter» mussten Taten und positive Gedanken folgen. An oberster Stelle stand die Betreuung der Mitarbeitenden. Mut und Zuversicht zu geben, hatte Priorität. Als Zweites wollten wir trotz Zwangsschliessung im Gedächtnis unserer Kunden bleiben. Als eines der ersten Center in Bern boten wir für alle Sportbegeisterten kostenlose Livestreams an. In einer Zeit wie dieser Geld zu verlangen, schien uns unangebracht. Mit über 6000 Teilnahmen zogen wir eine sehr positive Bilanz, die schweizweite Resonanz war unglaublich toll. Hat uns der Lockdown nachhaltig geschadet? Finanziell ganz bestimmt. Aus Sicht Community und Solidarität war es andererseits genial zu sehen, was möglich ist. Was die Zukunft bringen wird, weiss niemand. Niederlagen gehören im Sport und im Leben leider dazu. Zeiten wie diese warnen davor, wie schnell es gehen kann.»
Sven Rindlisbacher, Managing Director Sportgastro AG
Der Start im Mai gestaltete sich noch relativ verhalten. Die Innenstadt war wenig frequentiert, das Mittagsgeschäft wegen weitverbreitetem Homeoffice nahezu im Stillstand und abends trugen die Distanzregeln und die damit verbundenen Kapazitätsverluste das ihre zu verhältnismassig bescheidenen Erträgen bei. Dennoch war schon da zu erkennen, dass die Gäste den Restaurantbesuch vermisst hatten. Im Zuge der weiteren Lockerungen zeichnete sich schon nach wenigen Wochen eine durchwegs positive Entwicklung ab. Seit Mitte Juni sehen wir nun auch leicht steigende Frequenzen am Mittag. Die verringerten Mindestabstände und die Wiederaufnahme des regulären Barbetriebs mit der Erlaubnis zu stehender Konsumation haben zu einer Beinahe-Normalisierung der Situation beigetragen. Wir sind daher der Überzeugung, dass der Lockdown nicht zu einem generellen Paradigmenwechsel, im Sinne eines grundlegend veränderten Gästeverhaltens, geführt hat. Selbstredend mag eine Spur «Zweckoptimismus» in unsere Gedanken einfliessen. So oder so besteht die Chance, dass das gesamte «Live-Erlebnis» an Wert und Wertschätzung gewonnen hat.»
Patrik Bürki, Inhaber Bürki Les Collections
Der Lockdown ist ein einschneidendes Erlebnis, sowohl privat wie auch geschäftlich. Momentan sind wir sehr zufrieden und froh, dass die Leute Lust haben, bei uns Kleider einzukaufen. Die Rückmeldungen der Kunden sind durchwegs positiv, die freundlichen persönlichen Gespräche und Begegnungen motivieren uns und das Team. Die Nähe zu unseren Kunden ist unser kostbarstes Gut, das spüren wir jetzt besonders, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Für die unglaubliche Treue und Unterstützung sind wir äusserst dankbar, denn das ist in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Wir hoffen sehr, dass die Berner weiterhin oder wieder vermehrt in lokalen Geschäften einkaufen und somit das Gewerbe unterstützen, damit unsere einmalige Stadt attraktiv und belebt bleibt. Die nächste Zeit ist ungewiss, und trotz allem sind wir zuversichtlich und glauben, dass unsere Geschäftsphilosophie für uns und Bern die richtige ist. Für uns gibt es nur eines: nach mehr als 70 Jahren so und noch besser weitermachen.»
Evelyne Zaugg, Inhaberin U-Tiger (Baby- und Kinderladen)
Ob der Lockdown langfristig geschadet hat, kann wohl niemand so recht abschätzen/prognostizieren. Ich denke jedoch, viel wichtiger ist nun, was wir daraus gelernt haben und wie wir das jetzt umsetzen, damit wir – aus wirtschaftlicher Sicht – mit einem blauen Auge davonkommen. Was unserer Gesellschaft wichtig ist und was die kommenden Generationen daraus für Schlüsse ziehen, sollten wir nun nutzen und gemeinsam daran arbeiten. Zurzeit können wir im U-TIGER interessierte Kunden begrüssen, die unser Sortiment gerne vor Ort in Augenschein nehmen, die persönliche Beratung schätzen und bewusst den Detailhandel unterstützen. Diese bevorzugen Qualität und nicht Quantität und sind an Nachhaltigkeit der Produkte interessiert. Viele Kunden hatten Zeit, sich während Corona Gedanken zu machen, wie wichtig und wertvoll ein schönes und gemütliches Zuhause ist. Dementsprechend beantworten wir sehr viele Fragen. Wenn wir diesen Schwung so mitnehmen und beibehalten können, ist dies für den Fachhandel eine Chance, weiter zu existieren.»
Rosmarie Bernasconi, Verlegerin Buchladen und Verlag Einfach Lesen
Einkaufen wird sich verändern, da bin ich mir sicher. Kleinere Geschäfte werden vermehrt wahrgenommen und berücksichtigt. Der Onlinehandel wird lokal präsenter sein. Meinem Verlag und Buchladen Einfach Lesen in der Matte hat die Corona-Krise nicht ernsthaft geschadet. Die Kundinnen und Kunden waren und sind nach wie vor sehr solidarisch und besuchen die Buchhandlung. Verlagsseitig gehen die geplanten Projekte nach der Corona-Pause weiter. Allerdings: Wie es langfristig aussehen wird, weiss ich noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass die Kundschaft vermehrt überlegen wird, wofür sie Geld ausgeben will. Ich finde, dass Jammern nichts nützt und dass kreative Ideen helfen werden, weiterzumachen.»