Seit Oktober ist Lukas Hupfer Leiter des Polit-Forum Bern. Wie er mit Wutbürgern umgeht, warum Demokratie weiterentwickelt werden muss und wie sein Haus in einer links-grünen Stadt unabhängig bleibt.
Lukas Hupfer, Sie lebten einige Zeit in Hebron. Inwiefern hat Sie das Leben im Westjordanland geprägt?
Die Zeit in Hebron war sehr intensiv. Insgesamt habe ich fünf Jahre im Ausland gelebt, darunter in Frankreich und den USA. Im Ausland habe ich realisiert, was die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie bietet. Deswegen ist es mir wichtig, den Menschen zu zeigen, dass sie hier Chancen und Rechte haben und diese unbedingt nutzen sollen.
Das Polit-Forum Bern, das Sie leiten, befindet sich über fünf Stockwerke verteilt im Käfigturm. Wie soll sich die Bevölkerung genau beteiligen?
Wir sind ein offenes Haus, haben täglich ausser sonntags geöffnet. Pro Jahr empfangen wir bis zu 200 Schulklassen aus der ganzen Schweiz sowie Besucherinnen und Touristen. Als Demokratieturm dokumentieren wir mit einer neuen Dauerinstallation, welche Werte hinter unserer Demokratie stehen. Diese Werte können im Beruf, in der Familie oder im Verein gelebt werden. Hinzu kommen öffentliche Veranstaltungen.
Ist Demokratie in der Bevölkerung derart selten verbreitet, dass sie ihr in einem separaten Gebäude nähergebracht werden muss?
Global befindet sich die Demokratie auf dem Rückzug – nur noch ein Viertel der Weltbevölkerung lebt in Demokratien. In der Schweiz sieht die Situation zum Glück bedeutend besser aus. Trotzdem muss Demokratie weiterentwickelt werden. Wir haben stets folgende drei Grundfragen vor Augen: Wer ist dabei? Wie kommen Themen auf die Agenda und wie entscheiden wir gemeinsam?
Haben Sie darauf eine Antwort?
Je mehr Personen sich in einer Demokratie beteiligen, desto besser. Die Folgen der Entschlüsse betreffen uns schliesslich alle. Wie die Themen auf den Tisch gelangen, ist eine spannende Frage. Welche Themen werden gehört, welche nicht? Und zur Frage, wer entscheidet: In unserer direkten Demokratie darf zu vielen Fragen mitdiskutiert und -entschieden werden – und das soll auch so bleiben. Entsprechend vermitteln wir zum Beispiel die Bedeutung von Wahlen.
Wie bestimmen Sie denn, was hier im Polit-Forum Bern diskutiert wird?
Die inhaltliche Grundlage bildet der Demokratieturm, ein Raum des Austausches und des Dialogs, mit den dort aufgeworfenen Fragen, zum Beispiel: Welche Rolle spielt Geld in der Politik? Thematisch sind wir relativ breit gefächert. Unser Hauptanliegen ist es, zu zeigen, dass verschiedene Interessen existieren und sich die Leute bei uns als neutrale Plattform eine Meinung bilden können. Wir möchten lokale, aber auch nationale und internationale Themen aufnehmen. Zudem können sich die Menschen direkt einbringen, etwa an Podien oder an unserer Demokratie-Bar. Letzte Woche diskutierten wir unter anderem öffentlich über die Credit Suisse. Ein Ökonom fungierte als Barkeeper und lieferte Hintergrundwissen. Keine langen Vorträge, sondern eher eine Art Stammtisch.
Der Präsident des Polit-Forum Bern ist Stapi Alec von Graffenried, generell tickt die Stadt sehr links. Werden Sie da nicht hie und da von politischen Entscheidungsträgern beeinflusst?
Wir sind ein gemeinnütziger Verein, in dem sich die Stadt, die Burgergemeinde, der Kanton und die beiden Landeskirchen engagieren. Wir haben uns an gewisse strategische Vorgaben zu halten, inhaltlich hingegen sind wir völlig frei. Abgesehen davon tickt der Kanton ja eher bürgerlich (schmunzelt).
Es gibt wirklich nie Avancen von der einen oder anderen Seite?
Die einzelnen Träger verfügen über eine Carte blanche, die sie einmal pro Jahr ausspielen dürfen. Die Stadt beispielsweise beschloss letztes Jahr, einen Event zur geplanten Fusion mit Ostermundigen durchzuführen, der Kanton wünschte sich das Thema Wahlen.
Die Rolle der Medien ist im Polit-Forum Bern ein wiederkehrendes Thema. Oft ist die Rede davon, diese würden einseitig berichten.
Durch die Medienkonzentration gibt es tendenziell immer weniger Pressetitel, die lokal berichten. Generell leisten die Medien in der Schweiz gute Arbeit und agieren unabhängig, gleichzeitig hinterfragen wir Anmerkungen wie die von Ihnen mit unserer aktuellen Medienausstellung und einer vielseitigen Veranstaltungsreihe
nun bis Ende Juni kritisch.
Während der Covid-Pandemie schien die Presse bundesrätliche Vorgaben tatsächlich des Öfteren unkritisch zu übernehmen.
Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Uni Zürich (fög), hat zu diesen Fragen eine wissenschaftliche Analyse erstellt und kommt zum Schluss, dass die Berichterstattung qualitativ relativ gut gewesen sei.
Ins «darf man das noch sagen Wehklagen» stimmen Sie also nicht mit ein?
Nein. Die Meinungsfreiheit in der Schweiz wird hochgehalten, obschon sie gelegentlich missbraucht wird. Trotzdem gilt es, solche Stimmen ernst zu nehmen. Genau deshalb gibt es das Polit-Forum Bern und den Demokratieturm, wo alle willkommen sind und ihre Haltung frei äussern können.
Erhalten Sie manchmal Feedback von sogenannten Wutbürgern?
Grundsätzlich wird sehr geschätzt, dass wir für alle Seiten offen sind. Der Raum im zweiten Stock, der gratis gemietet werden kann, wird zum Beispiel von allen Parteien von links bis rechts genutzt.
Luc Oggier von Lo & Leduc ist einer Ihrer Mitarbeitenden. Welche Funktion nimmt er bei Ihnen ein?
Er ist seit vier Jahren für die politische Bildung zuständig, und entwickelt, zusammen mit anderen, unsere Angebote weiter, so auch unseren neuen Demokratieturm.
Bringt er da ab und an eigene Vorschläge ein, die aus dem Musikbusiness stammen?
Wir wollen mit spannenden Inhalten und neuen Formaten möglichst viele Leute abholen. Da ist ein kreativer Kopf wie er ein wichtiges Puzzleteil.
Was möchten Sie mit dem Polit-Forum Bern noch erreichen?
Jeden Tag laufen hier am Turm tausende Leute vorbei, häufig ohne zu wissen, was hier drin eigentlich passiert. Daran möchte ich arbeiten; das Polit-Forum in Bern wie im Kanton und schweizweit bekannter zu machen. Zudem sollen noch mehr junge Menschen den Weg hierherfinden.
Sind diese eigentlich wirklich so politikuninteressiert, wie oft behauptet wird?
Schon aus der Römerzeit sind Texte überliefert, die sich über die Jungen beklagten (lacht). Wir versuchen, bei ihnen einen Aha-Effekt auszulösen, indem wir sie unter anderem dafür sensibilisieren, dass sie Themen, wie die Altersfrage, auch etwas angeht. Prinzipiell sind Junge sehr engagiert. Was mir eher Sorgen bereitet, ist, dass sie stärker als Ältere und als früher einen Generationengraben empfinden.
Das heisst?
Sie sind seltener davon überzeugt, auch in Zukunft im Wohlstand leben zu können oder haben vermehrt das Gefühl, von den Älteren nicht verstanden und politisch überstimmt zu werden.
Die Arbeit geht Ihnen also kaum aus.
Nein. Und es bereitet grosse Freude, Teil des Stadtlebens zu sein. So begrüssten wir an der diesjährigen Museumsnacht rund 1200 Leute oder schicken im November den Fasnachtsbär in den Winterschlaf. Nicht zuletzt müssen wir die Turmuhr aus dem Jahr 1691 am Laufen halten.
Yves Schott
Lukas Hupfer, geboren am 8. Juni 1986, wuchs in Villmergen AG auf. Er studierte unter anderem internationale Beziehungen in Paris. Beim Aussendepartement EDA war er stellvertretender Regionalkoordinator Naher Osten. Die letzten vier Jahre leitete er den aussenpolitischen Think Tank foraus, seit Oktober ist er Leiter des Polit-Forum Bern. Hupfer wohnt in Bern.