Die Junge SVP stellte Homosexuelle auf Twitter mit psychisch Kranken gleich. So nicht, sagt SP-Nationalrätin Tamara Funiciello. Für die Bernerin ist klar: Damit schürt die Partei Gewalt.
Tamara Funiciello, wie haben Sie die Eurogames vorletztes Wochenende in Bern erlebt?
Es herrschte eine wunderschöne, tolle Stimmung, ermöglicht durch viele coole und herzliche Menschen – darunter etliche junge. Sie standen ein für die LGBTQI-Community, deren Rechte von gewissen Kreisen leider auch heute noch infrage gestellt werden.
Für Sie war der Event also ein Erfolg?
Absolut. Der Bundesplatz war zum Auftakt voll mit Leuten, es dürften wohl mehr Personen teilgenommen haben als die 8000, die offiziell gemeldet wurden. Die Regenbogenfahnen, die in der Stadt hingen, seien «ein Blick in den Abgrund», schrieb die Junge SVP auf Twitter – und verglich Lesben und Schwule mit psychisch Kranken.
Hass ist keine Meinung, Hass ist Gewalt! Das ist mir wichtig zu betonen – man kann über höhere oder tiefere Steuern diskutieren oder über Tempo 20 in Quartierstrassen. Doch zu behaupten, gewisse Gruppen dürften nicht existieren, weil sie anders lieben als die Junge SVP das in ihrem kruden Weltbild vorsieht, ist extrem problematisch. So schafft die Partei den Nährboden für weitere Angriffe.
Konkret?
LGBTQI-Menschen erleben deutlich häufiger Gewalt als andere, das ist belegt. Zudem ist die Selbstmordrate bei LGBTQI-Jugendlichen laut Statistik rund sieben Mal höher als bei jungen Hetero-Personen. Sie dürfen also offensichtlich nicht so sein, wie sie gerne möchten. Die Junge SVP stellt das infrage – dafür muss sie Verantwortung übernehmen.
Was meinen Sie damit?
Ganz einfach: Man sollte damit aufhören, diese Partei zu wählen. Denn was ist deren Vorstellung einer heutigen Gesellschaft? Wenn sie sagt, dass, wer das gleiche Geschlecht liebt, krank im Kopf ist? Wie würde der Alltag von LGBTQI-Leuten, von Frauen und von Arbeiterinnen aussehen mit einer Jungen SVP an den Schalthebeln der Macht? Wahrscheinlich ziemlich düster. Und ich nehme eine sehr unaufgeregte Analyse vor.
Mit dem Twitter-Eintrag legt sich die Junge SVP wahrscheinlich selbst ein Ei. Parteigrössen wie Thomas Fuchs, der selbst homosexuell ist, haben den Post kritisiert.
Das mag sein. Aber nochmals: Mit solchen Aussagen schürt die Junge SVP Gewalt. Ich persönlich verstehe nicht, wieso jemand so etwas schreibt. LGBTQI-Menschen oder eine Pride tun doch niemandem weh.
Auf Social Media ersetzten ein paar Gehirnlose die Regenbogenfahnen gar durch Hakenkreuze.
Manche erzählen, der «Genderwahnsinn» werde immer krasser. Die krasseste Form dieses «Genderwahnsinns» wäre hingegen allerdings schlicht, dass alle so lieben und leben können, wie sie wollen – ohne anderen damit zu schaden selbstverständlich. In Deutschland wurde die lesbische Community erst 2010 rückwirkend zur Opfergruppe ernannt. Namentlich LGBTQI-Personen kamen in den Konzentrationslagern der Nazis ums Leben. Regenbogenfahnen und Hakenkreuze miteinander gleichzusetzen, ist daher geschichtsvergessen und brandgefährlich. Mir ist übrigens ein Punkt wirklich wichtig.
Ja bitte?
Faschismus beginnt nicht in der Mitte der Gesellschaft. Er fängt mit Ausgrenzung, Dehumanisierung an, dann folgt die Entsolidarisierung. Der Nationalsozialismus der 30er-Jahre stand auch nicht urplötzlich vor der Tür und erklärte: Hallo, da bin ich! Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat beschlossen, bei lesbischen Paaren nur die leibliche Mutter in der Geburtsurkunde anzuerkennen. Kinder verlieren damit also auf einen Schlag ein Elternteil. Und wir reden über «Genderwahnsinn».
Wie homophob und rassistisch stufen Sie unsere Gesellschaft ein? Am Gurtenfestival soll es zu mehreren fremdenfeindlichen Übergriffen gekommen sein.
Es geht weniger darum, wie ich das einschätze. Eine Organisation hat an einem Open-Air entschieden, ihren Stand abzubrechen. Damit ging ihr viel Geld durch die Lappen, also wird das Café Revolution einen triftigen Grund dafür gehabt haben. Wir sollten uns einfach bewusst sein, dass rassistische, sexistische und homophobe Gewalt in unserer Gesellschaft existiert. Allein in der Schweiz wurden rund 430 000 Frauen vergewaltigt – folglich laufen wohl über 400 000 Vergewaltiger in diesem Land rum. Nur haben die meisten Mühe, diesen Fakt anzuerkennen. Wenn eine Junge SVP andeutet, gleichgeschlechtlich liebende Menschen seien reif für die Klapse, darf sich keiner wundern, wenn die Reaktion darauf Hass ist. Die Plakate mit den schwarzen Schafen sind noch nicht so lange her. Es genügt nicht, nicht rassistisch zu sein, man muss antirassistisch sein, antisexistisch, antihomophob, Stellung beziehen.
In gut zwei Monaten sind eidgenössische Wahlen. Konzentrieren Sie sich auch in Ihrem persönlichen Wahlkampf auf diese Themen?
Mir geht es darum, dass alle frei und sicher leben und lieben dürfen. Wir haben in letzter Zeit einiges erreicht, die Revision des Sexualstrafrechts etwa. Aber das reicht nicht. Wir haben für die Opfer von sexualisierter Gewalt deutlich zu wenig Schutzplätze, die Polizei rückt täglich zigfach wegen sexueller Übergriffe aus. Zweitens: die Kaufkraft. Die Bevölkerung kann sich von ihrem Lohn immer weniger leisten. Es braucht höhere Löhne und mehr Kita-Plätze. Drittens: anständige Renten. Die Altersarmut ist ein riesiges Problem.
Sie sind derzeit gerade in den Ferien. Schaffen Sie es, in diesen Tagen auch mal von der Politik abzuschalten?
Zeitung zu lesen gehört quasi zu meiner DNA. Bei den sozialen Medien halte ich mich dafür einigermassen vornehm zurück (lacht).
Yves Schott