Nun kommt die über 70-jährige Festhalle auf dem Bern Expo Gelände noch zu spätem Ruhm: Seit dem 10. Mai ist das 10. kantonale Impfzentrum in Betrieb – das grösste im Kanton. Der Bärnerbär konnte sich von der tadellosen Organisation gleich selbst überzeugen.
Um es vorwegzunehmen: Nach zwei Stunden Aufenthalt im Impfzentrum Bern Expo in der alten Festhalle, kurz IZBE genannt, fühlen wir uns irgendwie wie «zuhause». Keine Hektik, kein Lärm, überall freundlich lächelndes Personal, ganz auf Empfang und unaufdringliche Betreuung eingestellt. Diese Stimmung überträgt sich beruhigend auf die Besuchenden, kein Zweifel. Das ist denn auch das Credo von Stefan Bähler, Leiter der beiden kantonalen Impfzentren Bern-Wankdorf und Bern Expo: «Die Menschen, die zu uns kommen, sind unsere Kunden. Obwohl allein durch die Grösse alles auf den ersten Blick etwas industriell wirkt, nehmen wir die Impfwilligen sozusagen bei der Hand, lassen sie nie allein und begleiten sie durch alle Stationen bis zum Ausgang. Also nichts von ‹Fabrikimpfen›!» Gewiss, die Abläufe sind strikt vorgegeben und durchorganisiert: Beim Eintreten in die Festhalle Fassen eines Tickets mit Nummer, nach wenigen Minuten Wartezeit Vorzeigen der mitgebrachten Unterlagen (siehe auch Box!) an einem der zwölf Schalter, dann weiter in die zugewiesene, nummerierte Impfkoje, nach der Impfung für 15 Minuten in den Ruheraum, danach formlose «Entlassung» durch den Ausgang.
Weniger Nebenwirkungen bei älteren Personen
Die beiden ersten Impfwilligen, die wir um ein kurzes Gespräch bitten, geben uns einen Korb, sie möchten nicht in der Zeitung erscheinen und verschwinden rasch in der Impfkabine. Bei Annett von Gunten (32), Lehrerin aus Brüttelen, haben wir Glück. Für sie ist es selbstverständlich, sich impfen zu lassen, «gerade in meinem Beruf». Sie findet es müssig, sich Fragen zur Impfung zu stellen, «die heute noch niemand beantworten kann». Die junge Lehrerin hat einen Termin im Rahmen der Gruppenimpfungen für Lehrpersonen ergattern können. Den Piks hat sie nicht gespürt, Angst vor Nebenwirkungen hat sie keine. «Diese treten meist im Laufe der folgenden Nacht auf», sagt der tagesleitende Arzt Dr. Markus Streich. Nach seinen Beobachtungen hätten ältere Menschen ab 65 Jahren in der Regel weniger Nebenwirkungen als jüngere. «Ich bin auch Heimarzt und dort haben wir bei den geimpften, sehr betagten Bewohnenden praktisch keine Nebenwirkungen festgestellt.» Annett von Gunten wird ihr Verhalten nach der Impfung nicht ändern: «Ich halte mich nach wie vor an die bekannten Schutzmassnahmen.» Wir schauen kurz in der Impfkoje von Isabelle Ewald vorbei. Sie bereitet sich für die wohlverdiente Mittagspause vor. Die in Utzenstorf freipraktizierende Hebamme und Kinderkrankenschwester zählt die Impfungen nicht. «Aber in den sechs Stunden meines Einsatzes werden es zwischen 60 und 70 Piks sein.» Die meisten Fragen würden zu allfälligen Nebenwirkungen gestellt. «Ich antworte nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen: Der Arm kann schwerer werden, dazu gesellen sich leichtes Fieber, Kopfweh und Gliederschmerzen. Während dieser Zeit sollte man sich ruhig halten und dem Körper Erholung gönnen.» Gibt es Impfwillige, denen der Angstschweiss ausbricht vor dem «Schuss»? Dazu Isabelle Ewald: «Ja, vor allem jüngere Personen lieben den Anblick einer Nadel nicht!» Als herausragendes Merkmal ihrer Arbeit nennt sie die gute Stimmung im Zentrum sowie die grosse Dankbarkeit der Impfwilligen. «Sie bringen uns als Zeichen des Dankes sogar Schokolade!» Sie sei froh, hier ihre langjährige Impfpraxis einsetzen und dazu beitragen zu dürfen, «damit wir rasch aus dieser Misere rauskommen».
Zwei Ärzte stets im Einsatz
Wir treffen nochmals den tagesleitenden Arzt Markus Streich. Er leistet heute den ersten Einsatz in der Festhalle, Zwischenfälle hatte er bislang noch keine. Vorher war er mit den mobilen Ärzten unterwegs und impfte Menschen, die die Impfzentren nicht mehr selber aufsuchen konnten. Markus Streich ist in der Regel einen halben Tag pro Woche im Impfzentrum Bernexpo eingeteilt, sonst betreibt er in Ortschwaben seine Hausarztpraxis. Pro Schicht befinden sich immer zwei Ärzte im Ärztebüro. «Wird irgendwo im Zentrum unsere Hilfe benötigt, werden wir per Funk aufgeboten», sagt Streich und zeigt auf sein Funkgerät. Meist handle es sich um spezifische Fragen wie «Ich hatte mal eine Allergie, darf ich trotzdem geimpft werden?» oder «Ich hatte bereits Corona, soll ich mich trotzdem zweimal impfen lassen?» Sehr häufig taucht auch die Frage auf, ob Schwangere geimpft werden dürften. «Hier berufen wir uns meist auf das Zeugnis, das sie von ihrer betreuenden Frauenärztin mitbringen. Aber viele wünschen trotzdem noch ein Gespräch vor dem Piks.» Unser Gespräch wird unterbrochen, Streich wird in einer Impfkoje gebraucht. Wir lassen ihn ziehen, die Prioritäten sind klar. In der grossen Ruhezone am Ende der Festhalle stören wir Iwan Isenschmid während seiner 15-minütigen Ruhephase beim konzentrierten Studium von Unterlagen . Der 48-jährige Studien- und Prüfungsleiter aus Bern hat soeben die erste Impfung mit dem Moderna-Impfstoff erhalten. Wie wars? «Wunderbar, ich habe nichts gespürt, obwohl ich vorher ein etwas mulmiges Gefühl hatte, weil diese Impfung ja neu ist. Ich staune, wie perfekt hier alles organisiert ist. Obwohl ich zehn Minuten vor dem zugeteilten Termin hier war, musste ich überhaupt nicht warten.» Iwan Isenschmid ist in der Impfgruppe N eingeteilt: 18- bis 49-Jährige. Er erhielt ein SMS, dass die Termine seiner Gruppe nun aufgeschaltet seien, «aber ich hatte keine Chance, einen Termin zu bekommen. Als mich dann Bekannte darauf aufmerksam machten, es gehe jetzt, konnte ich problemlos online reservieren und nach vier Tagen bin ich nun schon geimpft!» Die Frage, ob er sich impfen lassen wolle, habe er sich gut überlegt. «Ich machte eine Risikoabwägung und wusste dann: Die Impfung ist der richtige Weg.» Offene Fragen gebe es zwar noch einige, «aber entsprechende Studien in den nächsten Monaten werden uns wohl die Antworten liefern», gibt er sich zuversichtlich.
Noch gibt es «Luft nach oben»
Er bezeichnet sich als «Leiter auf unbestimmte Zeit»: Stefan Bähler, «Herr» der Impfzentren Bern-Wankdorf und Bern Expo. In Corona Freier Zeit arbeitet er als Projekt- und technischer Leiter bei der Berner Eventagentur Evenjo AG, welche die beiden Zentren im Auftrag des Kantons betreibt. So sei er nun als Leiter «detachiert», «solange uns die Pandemie in diesem Ausmass beschäftigt», fügt er lachend hinzu. Bähler ist für den reibungslosen Betrieb verantwortlich. «Wir kriegen vom Bundesamt für Gesundheit und vom Kanton Bern eine Prozessvorgabe, die nehmen wir als Zielwert. Der Weg ist aber offen», erzählt der 36-Jährige. Er führt uns auch in den Backstage-Bereich der Festhalle: Büros, Lagerraum, Personalrestaurant, Aufenthaltsraum der Mitarbeitenden. So erfahren wir, dass der Impfstoff – zurzeit Moderna – aufgetaut mit einer Temperatur von 2 bis 8°C in Transportboxen angeliefert und in Medizinal-Kühlschränken gelagert wird. Dort ist der Impfstoff etwa 30 Tage haltbar. Und im Büro beschäftigen sich drei Mitarbeitende permanent mit der Rekrutierung von Personal. «Zurzeit sind über 300 Personen mit Arbeitsvertrag bei uns angestellt. Wir beschäftigen im Medizinalbereich Pflegefachleute, Spitex-Angestellte, medizinische Praxisassistentinnen, Ärzte, Medizinstudierende. Bei den nichtimpfenden Mitarbeitenden sind viele, die ihren Job wegen Corona verloren haben, zum Beispiel aus der Gastro- und Eventbranche», erzählt Stefan Bähler. Nennenswerte Anpassungen im Ablauf sieht Bähler in den nächsten 14 Tagen noch keine. «Aber noch in diesem Monat erwarten wir grössere Lieferungen von Impfdosen, dann werden wir eine markante Steigerung der verabreichten Impfungen haben – aber es hat noch Luft nach oben.»
Peter Widmer