Chris Franziskateuscher 13

Manche müssen ins Heim, obwohl sie gar nicht wollen»

Franziska Teuscher sagt, wieso gerade ältere Menschen von Wohnungsnot betroffen sind. Ausserdem stellt sie zum ersten Mal die Altersstrategie 2030 vor.

Wie geht es den älteren Menschen in Bern generell?
Ich bin froh, dass die von Ihnen angesprochenen Personen von sich aus sagen, es gehe ihnen gut. Dass sie gerne in Bern wohnen und die Lebensqualität als hoch einstufen. Diese Einschätzung basiert auf einer Umfrage, die wir alle vier Jahre durchführen, auch weil wir dem Netzwerk der altersfreundlichen Städte angehören. Das freut mich persönlich, weil Bern ja nicht zuletzt eine Stadt für ältere Menschen sein möchte. Gleichzeitig denken wir natürlich an die, die sich in einer weniger komfortablen Situation befinden, sei es aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen; weil sie sich einsam fühlen oder sie ihre bisherige Wohnung verlassen müssen, weil sie saniert wird.

Wie alt ist Bern denn eigentlich?
Der Anteil jener, die über 60 sind, beträgt rund ein Fünftel. Etwa 60 Prozent davon sind Frauen. Generell ist der Anteil älterer Menschen in den Zentren tiefer als im Kanton oder in der Gesamtschweiz, weil in den 70erund 80er-Jahren viele aufs Land gezogen sind. Mittlerweile stellen wir wieder einen gegenläufigen Trend fest.

Wie alt ist Bern im Vergleich zu anderen Städten in der Schweiz oder innerhalb des Kantons?
Bern ist sicher «jünger» als Luzern, Basel und Schaffhausen, die zu den Schweizer Städten mit dem grössten Anteil an älteren Menschen zählen. Die Gründe für diese Unterschiede sind mir nicht bekannt.

Welche Angebote für die ältere Bevölkerung existieren in Bern?
Wohl kein Lebensabschnitt wird so heterogen interpretiert wie das Alter. Wer gefragt wird, wie alt er oder sie sich fühlt, äussert sich häufig sehr unterschiedlich. Deswegen lässt sich diese Frage nicht so einfach beantworten. Viele ältere Leute wünschen sich gar kein spezifisches und vermeintlich auf sie zugeschnittenes Angebot: Sie möchten wandern oder ins Theater gehen, sich im Rahmen von Projekten mit Kindern austauschen. Daneben hat die Stadt Bern spezifische Projekte für Personen, die sich Unterstützung wünschen: Unser Projekt Nachbarschaft Bern, das als Pilotversuch lanciert wurde, ist inzwischen in drei Stadtteilen bereits umgesetzt. Im Sommer 2020 wird Kirchenfeld-Schosshalde dazustossen. Grob gesagt unterstützen hier jüngere Menschen oder fitte Seniorinnen und Senioren andere, die auf Hilfe angewiesen sind.

Die Stadt Bern hat ausserdem sogenannte Betreuungsgutsprachen eingeführt.
Der grösste Teil der Seniorinnen und Senioren möchte gerne in seiner Wohnung oder seinem Haus alt werden und dort irgendwann auch sterben. Um diesem Wunsch gerecht zu werden, braucht es häufig nur geringe Unterstützungen, die sich Menschen mit kleinem Portemonnaie kaum leisten können. Deshalb die Betreuungsgutsprachen. Das kann ein Notknopf sein, der zuhause installiert wird, oder ein Mahlzeitendienst. Zudem möchten wir auch den öffentlichen Raum möglichst hindernisfrei gestalten, damit ältere Leute lange selbstständig mobil sein können.

Apropos: Die neue Altersstrategie für die nächsten zehn Jahre ist praktisch spruchreif.
Sie wurde mit vielen Organisationen, die im Altersbereich tätig sind, erarbeitet, weil wir es wichtig finden, dass alle in der Stadt Bern am gleichen Strang ziehen. Darin enthalten sind die Massnahmen, für die wir als Stadt verantwortlich sind. Bei den erwähnten Betreuungsgutsprachen zum Beispiel arbeiten wir mit der Pro Senectute zusammen.

Konkret: Was ist der Kern der neuen Strategie?
Unsere Vision orientiert sich am Begriff «Caring Community», das heisst, eine Gesellschaft, in der man füreinander sorgt und da ist. Alterspolitik soll Teil einer gesamtgesellschaftlichen Generationenpolitik sein. Gerade die Betreuung, die weder vom Bund noch vom Kanton geregelt ist, wird oft von Freunden, Familie oder Nachbarn übernommen. Angehörige wünschen sich punktuelle Entlastungen und diese wollen wir ihnen ermöglichen.

Wie sieht der Fahrplan der Altersstrategie 2030 aus?
Aktuell werden die letzten Schliffe am Papier vorgenommen, danach kommt die Strategie in den nächsten Wochen zur Diskussion in den Gemeinderat.

In der Stadt herrscht Wohnungsnot. Wie fest sind ältere Leute davon betroffen?
Ziemlich, denn oft benötigen sie mit zunehmendem Alter hindernisfreie Wohnungen. Man findet solche Objekte zwar vermehrt in Neubauten, welche wiederum mehr Miete kosten als Altwohnungen. Es gibt auch eine Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt von Menschen ab etwa 75, weil Vermieter Angst haben, diese Mieter könnten beispielsweise pflegebedürftig werden.

Wie sieht denn die Pflegesituation aus?
Für viele ist die Spitex der Schlüssel dafür, weiterhin zuhause wohnen zu können. Andererseits haben Spitex-Organisationen Mühe, genügend fachkundiges Personal zu finden. Als Stadt begrüssen wir daher den Lehrgang Pflegehelfer/-in des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK, der gerade auch für Flüchtlinge eine gute Ausbildungsgrundlage darstellt, Ausbildungsgrundlage darstellt um um anschliessend einen Job zu finden. Die ganz grosse Herausforderung in Zukunft wird allerdings die Finanzierung der Betreuung in den eigenen vier Wänden darstellen: Gutverdienende können sie sich leisten, andere müssen ins Heim, auch wenn sie vielleicht gar nicht wollen.

Macht Ihnen das Älterwerden persönlich Mühe?
Nein. Das wird ein neuer Lebensabschnitt, von dem ich nicht einmal weiss, wie lange er dauert. Er wird aber viele neue Möglichkeiten bieten, Freiräume zu gestalten und Spannendes zu erleben – immer unter der Voraussetzung, dass ich gesund und munter bleibe.

Als Grüne fahren Sie selbstverständlich Velo.
Schon nur als Ausgleich zur Arbeit, genau.

Was tun Sie sonst noch für Ihre körperliche Fitness?
Ich jogge gerne, im Sommer bin ich in den Bergen am Wandern, im Winter am Skifahren. Das tut sowohl der physischen wie der psychischen Gesundheit gut.

Die Ernährung spielt dabei eine grosse Rolle.
Nun, ich habe mir nicht erst nach 55 Gedanken zu meiner Ernährung gemacht. Wer älter wird, sollte sich nicht plötzlich verpflichtet fühlen, sein Leben komplett umzukrempeln.

Was bedeutet gesunde Ernährung für Sie?
Ich esse praktisch kein Fleisch, was früher vor allem mit meiner Sorge um das Tierwohl zu tun hatte und heute mit dem Klimaschutz. Ich mag sehr gerne Gemüse und Früchte, ab und zu ein Glas Wein und ich liebe Schokolade. Essen soll einem auch Freude machen.

Yves Schott

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