PERSÖNLICH Isabelle von Siebenthal, geboren am 4. Oktober 1957, liess sich in New York, Monaco und Genf zur Ballettänzerin ausbilden. Danach besuchte sie die Schauspielschule in Nizza. Die Bernerin spielte in den 90er-Jahren in diversen deutschen TV-Serien mit, so etwa «Für alle Fälle Stefanie» oder «Liebling Kreuzberg». Ihren Ehemann Hans Schenker hat sie bei der damaligen SRF-Soap «Lüthi und Blanc» kennengelernt.
Sie ist kerngesund – zum Glück. Ihre Mutter und ihre beste Freundin hat Isabelle von Siebenthal allerdings an den Krebs verloren. Auch deshalb engagiert sich die Berner Schauspielerin an vorderster Front für den Benefiz-Anlass «Race for Life».
Isabelle von Siebenthal, Sie haben Ihre Mutter an Leberkrebs und Ihre beste Freundin an Brustkrebs verloren. Was macht das mit einem?
Es sind ganz schlimme Erschütterungen, mit denen man lernen muss, umzugehen. Natürlich, irgendwann vergeht die Trauer, sonst könnte man ja gar nicht weiterleben. Schmerzen und Angst lassen nach, die Normalität kehrt zurück. Vielleicht wird man vorsichtiger und überlegt sich, ob rauchen sich wirklich lohnt und ob es noch andere Sünden gibt.
Und, rauchen Sie?
Nicht mehr, nein. Früher habe ich sehr häufig geraucht, das ist aber wohl schon mindestens zwölf Jahre her. Meine Mutter hat Zigaretten übrigens nur gepafft, war sehr bio, hat sich bewusst ernährt und ist trotzdem mit 57 gestorben. Stress hatte sie nie, war von der Figur her höchstens ein bisschen rundlich. Es gibt Faktoren, die man nicht einberechnen kann. Sonst wäre es ja zu einfach. Manchmal ist es einfach Pech.
Als Angehörige denkt man sich: Das Leben ist doch extrem unfair!
Absolut. Ich habe zu Beginn sehr stark mit dem Schicksal gehadert, kam damit gar nicht zurecht. Ich träumte nächtelang, ich müsste meine Mutter über einen Berg schleppen und dann wäre alles gut. Zerbrach mir den Kopf
daran, was ich hätte tun können, damit das nicht passiert wäre.
Denken Sie jetzt, dreissig Jahre später, dass Sie damals, als sie krank war, mehr Zeit mir ihr hätten verbringen sollen?
Es gibt Leute, die über dieses Thema ganze Bücher schreiben. Man müsse in solchen Situationen mehr reden, sagen und fragen. Und doch verdrängt man das Ganze dann fast bis zum Schluss. Wer jung ist, geht davon aus, dass ältere Menschen weise und abgeklärt sind. Ich selber stelle fest: Das stimmt gar nicht. Ich denke, meine Mutter war damals ziemlich einsam.
Wieso?
Eine Weile lang glaubte ich, meine Mutter müsse nach Arlesheim. In Dornach ganz in der Nähe gab es eine Klinik, in der Krebspatienten mit Mistelextrakt behandelt wurden. Da meine Mutter so bio war, war ich überzeugt, dass sie dort in besten Händen sei. Als Alternative oder als zusätzliche Behandlung zur Chemotherapie. Doch der behandelnde Arzt erklärte uns, die Klinik sei etwas für Sterbende, also liessen wir es sein und wogen uns in falscher Sicherheit. Heute ist man, nicht zuletzt durchs Internet, viel besser informiert als damals.
Wie hat sich in der Krankheitsphase die Beziehung Ihrer Eltern verändert?
Es kam zu einer Art Ablösungsprozess. Meine Mutter wollte meinen Vater quasi auf die Zeit danach vorbereiten und brachte ihm beispielsweise Kochen bei. Sie hat ihn sozusagen von sich weggestossen und liess eine gewisse Nähe gar nicht mehr zu. Mein Vater war natürlich immer bei ihr, bis zum letzten Moment. Da war kein Bruch zwischen ihnen, sie wollte aber ganz klar, dass er später auf eigenen Beinen steht.
Haben Sie Ihr Leben danach umgestellt?
Vorsorgebehandlungen verfolgte ich ziemlich konsequent – gerade in den ersten Jahren. Für Ernährungsfragen interessierte ich mich ausserdem schon immer, allerdings nicht nur wegen meiner Mutter. Was ich mit den Jahren festgestellt habe: Immer, wenn mich irgendwo ein Zipperlein plagt, denke ich: «Ist es das jetzt?» Es gibt wohl kein Mensch in meinem Alter, der nicht so denkt (lacht).
Verständlich.
Weil es so vielen passiert, weil Krebs immer ein Thema ist und wir als Menschen fragil sind. Hat es mir links im Bauch weh getan, dachte ich: «Oje, die Bauchspeicheldrüse.» Ich ging deswegen auch schon zum Arzt, der mir dann geraten hat, ich solle an etwas anderes denken, was dann tatsächlich geholfen hat.
Dann verloren Sie auch noch Ihre beste Freundin Pascale 2009 an Krebs. Fühlten Sie sich vom Schicksal doppelt gebeutelt?
Nein, weil die Krankheit leider so verbreitet ist. Ich habe in den späten 90ern auch einen guten Freund an Aids verloren. Deswegen war ich nicht speziell «fixiert» auf Krebs, es war einfach ein weiterer Schicksalsschlag.
RACE FOR LIFE
Jedes Jahr werden 39’500 Menschen in der Schweiz mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Jeden Tag kämpfen sie aufs Neue um ihr Leben. Das «Race for Life» ist ein Benefiz-Velomarathon und sammelt Spendengelder für krebskranke Menschen. Teilnehmen kann jeder – als Einzelfahrer oder in Gruppen, als Privatperson oder als Firma. Mit jeder Runde, die absolviert wird, fliesst ein zuvor von den Teilnehmenden festgelegter Betrag in wichtige Projekte verschiedener Organisationen. Spender können das «Race for Life» als Gesamtevent unterstützen oder für ein Team ihrer Wahl spenden.
raceforlife.ch.
Eigentlich schon komisch: Der Mensch tut Dinge, von denen bekannt ist, dass sie schädlich sind: übermässiges Trinken, fettiges Essen oder sei es nur, ohne Velohelm rumzuradeln.
(überlegt) Hmm…ich denke, was den letzten Punkt anbetrifft, sind wir heute teilweise etwas gar übervorsichtig geworden. Ich bin als Kind jeden Tag drei Kilometer zur Schule gefahren. Und wir haben doch keine Helme getragen! Was nicht heisst, dass das Tragen von Helmen etwas Schlechtes wäre.
Diskutieren Sie mit Ihrem Mann Hans Schenker oft über Krankheiten?
Nein, nicht wirklich. Obwohl wir beide ein wenig hypochondrisch veranlagt sind. Wenn der eine das Gefühl hat, er oder sie habe wieder was, greift der andere beruhigend ein (schmunzelt).
Sie leben also bewusst – die eine oder andere Sünde muss aber schon sein?
Oh ja. Ich mag Weine wahnsinnig gerne und trinke definitiv mehr als das eine Gläschen, das sich eine Frau laut Empfehlung alle zwei bis drei Tage gönnen dürfte (lacht). Wenn ich alle zwei bis drei Jahre zum Check-up gehe, lasse ich deswegen immer auch die Leber testen. Wobei das Schicksal ja gemein sein kann und vielleicht genau dann nicht zuschlägt. Man kann eine Krankheit schlicht nicht voraussehen. Meine persönliche Theorie lautete immer: Was man aus Genuss macht, kann kaum schädlich sein. Dinge, die aus Zwang entstehen, hingegen schon. Natürlich ist das eine gefährliche Theorie. Bloss: Wer bei jeder Zigi ein schlechtes Gewissen hat, kann
gleich aufhören.
Krebs und andere Krankheiten können jeden von uns treffen. Dürfen wir trotz allem sorglos leben?
Wenn das Leben zu einem so nett ist, dass es sich während einer bestimmten Zeit absolut sorglos leben lässt, ist es sogar eine Pflicht, jeden Tag Merci und Halleluja zu sagen und fröhlich zu sein. Auf der Welt passiert so viel Schlimmes, wenn ich mir das alles persönlich aufbürden würde, macht mich das garantiert krank. Wir sind ja schliesslich da, um die Schönheit der Welt zu entdecken. Es ist dann schlimm genug, wenn das Schicksal zuschlägt. Sonst aber: nichts wie drauf los. Oje, jetzt habe ich wohl eben wie ein Pfarrer getönt (lacht laut).
Wie geniessen Sie und Hans das Leben?
Wir wohnen hier in Südfrankreich in einer wahnsinnig schönen Umgebung mit Blick aufs Meer. Wir laufen viel, sehen uns die Landschaften von oben an. Früher, in Lauenen, hatte ich in fünf Jahren keine Minute Zeit für mich. Hier kann ich wieder lesen, basteln – das geniesse ich sehr. Hans und ich haben nur wenige Verpflichtungen, müssen nicht morgens um 6 Uhr aufstehen. Das ist eine sehr angenehme Leichtigkeit verbunden mit dem Glück, gesund zu sein. Und wie gesagt ist uns Essen und Trinken sehr wichtig (lacht).
Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?
Ich träume von einem Garten und würde gerne mein eigenes Gemüse wachsen sehen. Vielleicht noch die eine andere Reise erleben. Hans kommt immer wieder mit der Südsee. Und Indien, was mir aber ein bisschen Angst macht
(lacht).