Hereinspaziert! Die Berner Museen warten dieser Tage mit interessanten Ausstellungen und viel Platz auf. Der Bärnerbär hat drei aktuelle Highlights für Paare, Singles und Familien erkundet.
Für Paare Hemmungen überwinden im Museum für Kommunikation
Nur noch wenige Sekunden bis zum Auftritt, das Lampenfieber steigt, die Zuschauer warten. Ja, die Ausstellung «Schweinehunde und Spielverderber» (verlängert bis 2. August) des Museums für Kommunikation ist nichts für Angsthasen, findet sich der Besucher im ersten Raum doch gleich in einer Backstage-Situation wieder. Wer traut sich, Fremden etwas vorzusingen? «Das Exponat ist hier der Besucher selbst», sagt Nico Gurtner, Leiter Marketing und Kommunikation des MfK, zum Aufbau der Ausstellung rund um Hemmungen. «Sie eignet sich super für Paare, ob frisch verliebt oder schon lange liiert.» Denn hier erfährt man viel voneinander. Ständig darf der Besucher seine Hemmschwellen testen. Warum reden wir in einem Raum mit anderen leiser, warum sind wir bei Open-Airs hemmungslos und beim Präsentieren des eigenen Körpers gehemmt? Pikant: Ein Raum, in dem bei Rotlicht offen über Sex geredet wird. Mutig für ein Date. Da aber in Coronazeiten viele Pärchen-Orte wie Kinos und Clubs wegfallen, ist das Museum die spannende Alternative zu Spaziergang und virtuellen Treffen. «Hemmungen begleiten uns auch beim Dating und in Beziehungen, warum diese nicht auch zum Thema machen», erklärt Gurtner, während er sich an einen Spieltisch setzt. Jeder Mitspieler darf bunte Karten mit peinlichen Situationen ziehen, dazu ergänzt man Personen und Orte. Wer würde bei der Kombination «Nackt im Fitnessstudio mit dem Ex laut streiten» nicht rotwerden? Oder mit einem Fremden hemmungsfrei über den eigenen Lohn reden? Zuletzt gibt das MfK aber Tipps zum Umgang mit Hemmungen: darüber reden, lachen oder sie umgehen. «Letztendlich müssen wir uns mit unseren Hemmungen versöhnen», sagt Gurtner, als er die Ausstellung durch die ruhigen Säle verlässt. Der übliche Besucherstrom hat sich noch nicht wieder eingestellt, dennoch ist das MfK für die kommenden Wochen optimistisch. «Derzeit bieten wir jedem Platz wie nie. Und gerade weil wir uns in letzter Zeit nur mit Corona befassen mussten, ist jetzt eine Abwechslung und ein Abschweifen durch Kunst so wertvoll.»
Für Singles Vor monumentalen Werken: die Zeit vergessen im Kunstmuseum
Kunst geniessen und in Dialog mit einem Werk zu treten, steht auch im Kunstmuseum im Mittelpunkt. Und das geht übrigens gut alleine, ganz im eigenen Tempo. Die Werke des afrikanischen Gegenwartskünstlers El Anatsui laden schon durch ihre schiere Grösse zur kontemplativen Betrachtung ein. Mal fügten er und sein Team tausende Kronkorken zu einer glänzenden hängenden Skulptur zusammen, mal schichten sie unzählige Dosenböden zu einem Gipfel auf oder fügen Holzstücke zu einem Fluss zusammen. Ein Spiel von Material und Wertigkeit entsteht. «Anatsui setzt radikal auf die universelle Verständlichkeit von Kunst. Sein Gebrauch der abstrakten Formsprache ist unglaublich kraftvoll und inspirierend», sagt Kuratorin Kathleen Bühler zur Ausstellung «Triumphant Scale» (verlängert bis Herbst 2020). Diese entführt den Besucher aus dem Berner Alltag in ein postkoloniales Afrika. Eine genaue Interpretation gibt der ghanaische Kunststar dabei ebenso wenig vor wie die Hängung seiner Werke. Man darf sich ganz auf seine Sinne verlassen. Da setzen sich eigentlich wertlose Recycling-Flaschenverschlüsse durch Anatsuis Schaffen zu einem schillernden See zusammen. In den weiten Räumen des Kunstmuseum ist das Social Distancing kein Problem und der Kopf kann nach Homeoffice, Homeschooling und Quarantäne mal wieder auslüften.
Für Familien Bunter Expressionismus für Kopfreisen
Wer hingegen nach einem interaktiven Kunstnachmittag für die ganze Familie sucht, ist derzeit im Zentrum Paul Klee richtig. Noch bis 16. August zeigt das Museum mit «Lee Krasner. Living Colour» 60 Werke der amerikanischen Expressionistin. Ihre farbenfrohen abstrakten Gemälde und Collagen ermöglichen Kunstgenuss ohne seitenweises Einlesen. Denn Krasners grossformatige Werke mit Titeln wie «Bold Eagle», «Happy Lady» oder «Combat» wecken bei jedem andere Assoziationen: ob Tanz, Blumen oder flatternde Vögel. «Aber es ist nicht das Ziel, in den Bildern etwas zu erkennen. Es geht eher um Farbe, Kraft und Lebendigkeit», erklärt Kuration Fabienne Eggelhöfer. Sie schlägt Eltern vor, sich spontan von ihren Kindern durch die Ausstellung führen zu lassen. Diese gingen mit fehlenden Deutungen viel spielerischer um als Erwachsene, die immer gleich alles verstehen wollen. «Kunst soll Menschen nichts vorgeben, sondern befreien. Sie sollen selbst weiterdenken», sagt Eggelhöfer. Sie findet, dass Kunst gerade in der Post-Coronazeit Menschen helfen kann, da sie Reisen mit dem Kopf möglich macht. Die gewonnene Inspiration können die Familien nach der Retrospektive gleich im angeschlossenen Kindermuseum Creaviva ausleben. Hier nehmen interaktive Holzwürfel in Blau, Rot und Gelb Krasners Werke unter dem Motto «Farben wagen» auf. Dreimal pro Tag finden offenen Ateliers für alle zwischen 4 und 88 Jahren statt. Alle Werkplätze haben den nötigen Mindestabstand. Daneben gibt es die Fünfliber-Werkstatt, Ferienkurse werden wieder aufgenommen. Nach Corona kann man hier in eine andere Welt abtauchen, statt das digitale Tablet analog den Farbstift in die Hand nehmen. Dass die Sehnsucht nach Kunst eindeutig wieder da ist, zeigte auch der Wiedereröffnungstag nach den Lockdown-Lockerungen: Vor dem Museum bildete sich eine lange Schlange mit vorfreudigen Besuchern. Der Kunst-Sommer kann kommen.
Michèle Graf
BERNISCHES HISTORISCHES MUSEUM
Von den ersten Menschen in Afrika bis heute
Ein Sommer zuhause? Das Bernische Historische Museum lädt mit seiner Ausstellung «Homo migrans. Zwei Millionen Jahre unterwegs» auf eine Reise durch Epochen und verschiedene Kontinente. Die Ausstellung schlägt einen grossen zeitlichen Bogen von den ersten Menschen in Afrika über ihre Verbreitung über die Erde bis in die Gegenwart der Schweiz. Die über 200 Exponate zeugen von der ersten Besiedlung der Schweiz bis zur Suche nach einem besseren Leben in Übersee, berichten von verfolgten Glaubensgemeinschaften, aufgenommenen Geflüchteten, von Arbeitsmigration oder der multikulturellen Schweizer Fussballnationalmannschaft.
ALPINES MUSEUM DER SCHWEIZ
Schindeln, basteln, knobeln
«Werkstatt Alpen. Von Macherinnen und Machern» ist eine Ausstellung für Kopf und Hand. Sie wurde bis 10. Januar 2021 verlängert.
Was bedeutet es, in einer digitalisierten und globalisierten Welt ein Produkt mit den eigenen Händen herzustellen? «Werkstatt Alpen» zeigt, was es heisst, heute von der Handarbeit zu leben. Das Publikum ist eingeladen, selbst Hand anzulegen: Die Schindelwerkstatt oder der Bastelrundgang – mit Werkzeuggurt für Kinder – knüpfen am Gestaltungswillen grosser und kleiner Besucherinnen und Besucher an. Mit einer Quiz-App lässt sich die Ausstellung rund um sieben Handwerksleute, darunter ein Käser, ein Skibauer und eine Weberin, erknobeln (App Store: Museumstars, Challenge Werkstatt Alpen).