Michael Hoekstra (GLP) ist kein Blender, wirkt lieber im Hintergrund, hält aber mit seiner Meinung nicht zurück. In seinem Präsidialjahr möchte er den Pendenzenberg drastisch reduzieren.
Am Donnerstag werden Sie zum Stadtratspräsidenten gewählt. Was ist es für ein Gefühl, in diesem Jahr «höchster Stadtberner» zu sein?
Es ist vor allem eine Herausforderung. Ich bin ein Jahr lang Sitzungsleiter und Moderator. Wenn man alles richtig macht, ist man als Stadtratspräsident nicht auf dem Radar. Wenn man als Präsident im Fokus und in den Medien präsent ist, macht man etwas falsch. Es sind die Themen, die im Vordergrund stehen müssen.
Sie werden sich nun ein Jahr lang inhaltlich zurücknehmen müssen. Wie schwer fällt Ihnen das?
Wenn es um Meinungsbildung geht, während ich eine Sitzung vorbereite, kann ich mich in meiner Fraktion nach wie vor einbringen. Ich lege keinen Wert darauf, dass ein Vorstoss meinen Namen trägt. Ich muss nicht im Vordergrund stehen. Privat spiele ich in einer Band als Bassist, der bewegt sich naturgemäss eher im Hintergrund, trägt aber viel zum Rhythmus bei. Ich bin nicht der Frontsänger, spiele aber gerne mit.
Welche Ziele geben Sie sich für das einjährige Präsidium?
Wir kämpfen nach wie vor mit einer riesigen Bugwelle von mehr als 360 noch hängigen Vorstössen. Schon mein Vorgänger Manuel C. Widmer hat die entsprechenden Änderungen des Geschäftsreglements aktiv vorangetrieben. Sie wurden teilweise schon angenommen und ich werde in meinem Präsidialjahr versuchen, den Berg nochmals drastisch zu reduzieren. Es gibt Stadtratsmitglieder, die nicht gewillt sind, auf Redezeit zu verzichten und sich kurz und knapp zu halten. Reduzierte Redezeit wäre das effizienteste Mittel, um zügig vorwärtszukommen.
Wie setzen Sie das als Sitzungsleiter durch?
Ich versuche, Anreizsysteme zu geben, indem ich das eine oder andere Geschäft priorisiere, wo ich weiss, dass man innerhalb des Vorstosses eine kurze Redezeit anstrebt. Ich möchte die Rednerinnen und Redner dazu motivieren, kurz, klar und knapp zu bleiben zugunsten der Traktandierung eines Vorstosses. Das Reglement erlaubt mir, die Redezeit für ein spezifisches Geschäft anzupassen.
Auch haben wir uns auf die Fahne geschrieben, zu analysieren, warum bei den Ratsmitgliedern eine derart hohe Fluktuationsrate besteht und was man dagegen unternehmen könnte, um die vielen Rücktritte zu vermeiden.
Was werden Sie anders machen als Ihr Vorgänger Manuel C. Widmer (GFL)?
Ich durfte von seiner Sitzungsleitung und -kultur sehr viel profitieren. Ich versuche lediglich, da und dort meinen eigenen Stil einzubringen.
Welchen?
(Schmunzelt) Etwas weniger belehrend, mehr als Moderator.
Warum politisieren Sie gerade in der Grünliberalen Partei GLP?
Ich bin in der Privatwirtschaft tätig und bin mir bewusst, dass unser Land eine starke Wirtschaft braucht, und zwar in einem Umfeld, in dem sie Gewinn erwirtschaften und Arbeitsplätze schaffen kann, aber nicht auf Kosten der Umwelt. Die Kombination der Wirtschaft mit kompromissloser Nachhaltigkeit soll nicht mit Verboten, sondern mit Lenkung gefördert werden.
Bei den Grünen gilt die GLP oft als zu bürgerlich, bei den Bürgerlichen zu grün. Eigentlich weder «Fisch noch Vogel»?
Ich sehe das eher als Kompliment. Wir befinden uns in einem Zwischenbereich, wo wir viel auffangen können. Klar, wenn es in der Stadt Bern um grüne Themen geht, sind wir meist diskussionslos bei RGM, aber bei wirtschaftsfreundlichen Geschäften schlagen wir uns auf die bürgerliche Seite. Wir politisieren sachbezogen, nicht starr nach Links-/Rechts-Schema, je nach Thema schwenken wir auf die eine oder andere Seite. Das ist gerade die Stärke der Mitte-Parteien, dass wir dadurch nicht in Grabenkämpfen verharren müssen.
Beim Referendum der bürgerlichen Parteien und der Mitte gegen das Personalreglement für die städtischen Angestellten sind Sie dabei, beim Referendum gegen das neue Parkregime in der Stadt nicht. Warum?
Beim Personalreglement sind es die Kosten. Die Stadt hat ein massives Schuldenproblem. Wir konsumieren zu viel und schaffen es nicht, aus dem strukturellen Defizit herauszukommen. Wir lehnen das Reglement ab, weil wir uns die daraus entstehenden Kosten nicht leisten können. Das Parkplatzregime unterstützen wir, weil hier die Fortbewegungsmittel mit erneuerbaren Energien gefördert werden, sie leisten künftig weniger Abgaben als Verkehrsträger mit Verbrennungsmotoren.
Sie verfügen über Grundkenntnisse der chinesischen Sprache. Was hat Sie dazu bewogen, chinesisch zu lernen?
Es ist heute eine Weltsprache. Nach dem Studium absolvierte ich drei Monate ein Praktikum in Shanghai. Aber aus zeitlichen Gründen habe ich es aufgegeben, die Sprache weiter zu erlernen. Die Menschen verstehen mich, das funktioniert ganz gut, aber die chinesische Sprache zu verstehen, die auf der Intonation basiert, ist für uns extrem schwierig.
Wo halten Sie sich in Bern am liebsten auf?
Im Sommer am liebsten in der Mittelstrasse in der Länggasse. Während der Wochenenden wird die Strasse gesperrt und gehört den Fussgängern. Die Stimmung in dieser Begegnungszone ist unbeschreiblich. Auch die Anlage des Bremgartenfriedhofs schätze ich als Hobby-Ornithologe wegen der Biodiversität ausserordentlich. So begegne ich dort beispielsweise dem Gartenrotschwanz, den man leider in Landwirtschaftszonen kaum mehr trifft.
Welchen politischen Weg verfolgen Sie für sich persönlich?
Das fragen immer alle! Ich hege absolut keine politischen Ambitionen. Ich übe das Amt aus Freude an der Stadt aus, sehe es als Exkurs für eine gewisse Zeit. Ich werde auch künftig in der Partei aktiv bleiben. Aber mein Herz schlägt für die Privatwirtschaft.
Peter Widmer
Michael Hoekstra, geboren 1983, wuchs in Rubigen und Affoltern a. A. auf. Nach der Berufslehre als Geomatiker bildete er sich zum eidg. dipl. Wirtschaftsingenieur FH weiter. Seit 2014 ist er bei Comet Industrial X-ray, Flamatt, tätig, seit 2020 als Abteilungsleiter Einkauf. Im Stadtrat von Bern politisiert er für die Grünliberale Partei GLP seit 2020. Michael
Hoekstra ist verheiratet und wohnt in der Länggasse in Bern.