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«Mutter sein allein war nie ein Grund, gewählt zu werden»

Regierungsrätin Evi Allemann erklärt, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringt, wie sie überhaupt zu dieser Frage steht und wieso es im Bundesrat keine Mütter gibt.

Es ist ziemlich genau drei Monate her, als Sie sich als Bundesrats-Kandidatin zur Verfügung gestellt hatten, den Sprung aufs SP-Ticket aber verpassten. Wie blicken Sie auf jene Zeit zurück?
Mit guten Gefühlen. Es war eine extrem spannende Erfahrung.

Sie hadern also nicht mit Ihrem Schicksal und denken hin und wieder: Elisabeth Baume-Schneider, das könnte ich sein?
Keine Sekunde. Ich würde es eher bereuen, die Chance nicht gepackt zu haben. Die Mehrheit der Kandidierenden in solchen Ausmarchungen wird halt nun mal nicht gewählt, damit muss man rechnen. Es war jedoch schön zu sehen, dass viele mir dieses Amt zugetraut hätten. Diese Erfahrung hat mir Energie gegeben. Und sie spornt mich auch als Regierungsrätin an.

Etwas sonderbar mutet das Vorgehen Ihrer Partei jedoch schon an: Die SP will sich als Gleichstellungspartei profilieren, nominiert dann aber zwei ältere Frauen, deren Kinder längst erwachsen sind.
In einem solchen Auswahlprozess zählen viele verschiedene Faktoren. Mutter sein allein war nie ein Grund, gewählt zu werden. Aber es ist auch ganz sicher kein Grund mehr, nicht gewählt zu werden.

Sie sind nicht hässig auf die SP-Bundeshausfraktion?
Nein. Ich habe meinen Blick kurz darauf sofort wieder nach vorne gerichtet und die Kraft in meine jetzige Aufgabe gesteckt. Und die ist ja als Regierungsrätin des zweitgrössten Kantons auch recht anspruchsvoll (lacht). Ich finde hier ein tolles Wirkungsfeld mit sehr interessanten Gestaltungsmöglichkeiten vor. Natürlich reizte mich im Vorfeld der Bundesratswahlen der Gedanke, ein Land in schwierigen Zeiten mitzuregieren. Kantonal warten allerdings ähnliche Herausforderungen und Projekte, die ich sehr gerne weiterbegleite. Beide Optionen waren also spannend, insofern konnte ich nur gewinnen.

Die Zeit im Bundesrat wäre sehr intensiv geworden, noch intensiver als Ihr jetziger Job. Viele hätten gerne gesehen, wie Sie der Schweiz zeigen, dass das mit zwei Kindern machbar ist.
Das mit der Intensität hatte ich mir reiflich überlegt. Aber weshalb sollen Mütter nicht auch können, was für Väter als selbstverständlich gilt? Mit meiner Exekutiverfahrung bringe ich Familie und Beruf heute schon unter einen Hut. Und ich rede nicht von reinem «Managen», sondern davon, meinen Sohn und meine Tochter wirklich in ihr Erwachsenenleben zu begleiten. Dafür braucht es auch genügend Erholungszeit, um die privaten und beruflichen Herausforderungen anzugehen. Persönlich habe ich zudem ein tragfähiges Netz von Familie, Freunden und familienergänzender Kinderbetreuung. Diese Erfahrungen teile ich mit vielen berufstätigen Müttern und Vätern.

Sie sehen Ihre Kinder also oft genug? Diese Frage wurde Ihnen sicher mehr als nur einmal gestellt.
Ja, zum Glück. Ich geniesse das Privileg, fünf Minuten von zuhause weg zu arbeiten. Wir planen meist weit voraus. Bestimmte Zeiten gehören allein meinen Kindern, fast jeden Tag, da geniessen sie Vorrang. Nur ein kleines Beispiel: Die Kinder gehen um 7.45 Uhr in die Schule, folglich setze ich die erste Sitzung nach Möglichkeit auf 8.15 an. Somit komme ich rechtzeitig ins Büro und habe sogar noch Zeit, mich auf den anstehenden Termin einzustimmen.

Waren es eher die Männer, die die Frage nach der Vereinbarkeit stellten, oder kam sie auch von Frauen?
Primär haben die Medien sie gestellt und das ist doch recht bemerkenswert. Aber es ist schon so: Männer sprechen eher die Sache mit den Kindern an. Frauen wollen eher wissen: Wie machst du das? Hingegen nicht, ob es überhaupt möglich ist. Mir persönlich half der Austausch mit anderen Müttern in Kaderpositionen stets sehr.

Bis jetzt waren neun Bundesrätinnen im Amt, von denen sechs kinderlos waren respektive sind, drei von ihnen haben Kinder im Erwachsenenalter. Sie wären eine Vorreiterin gewesen. Wieso sind Mütter keine Magistratinnen?
Ich glaube, diese Generation steht jetzt in den Startlöchern. In den Kantonsregierungen ist sie bereits da. Vor rund zwanzig Jahren wurden für damalige Verhältnisse sehr junge Leute, 18- oder 20-jährig, in die Parlamente gewählt; ich gehörte ja selber zu ihnen und musste mir mehrfach anhören, ob ich nicht im Ausgang besser aufgehoben wäre. Diese Menschen machten früh politisch Karriere und brachten quasi
parallel dazu Kinder zur Welt. Nun steht bei den heute 40-Jährigen der nächste Karriereschritt an. Männer wie Frauen, die beides wollen: Karriere machen und Kinderbetreuungsaufgaben wahrnehmen.

Sind die Voraussetzungen, damit eine junge Mutter Bundesrätin werden kann, in unserem Land vorhanden oder benötigt es aus Ihrer Sicht zusätzliche Anstrengungen?
Es geht nicht allein um den Bundesrat, sondern generell um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aus meiner Sicht stehen wir bezüglich Rahmenbedingungen erst am Anfang. Ich würde mir wünschen, dass Frauen, die ein solches Amt anstreben, keine Schwierigkeiten befürchten müssen. Sehen Sie: Die jüngere Generation lebt häufig nicht allein für den Beruf. Sie möchte viel leisten, gleichzeitig hat sie ein Bewusstsein dafür, dass es dafür einen Ausgleich und eine egalitäre Rollenteilung braucht. Bei der Kita-Frage und den Tagesschulen sind wir zwar weiter als auch schon, es gibt aber Aufholbedarf. Zentral sind für mich ausserdem die Arbeitszeitmodelle.

Konkret?
Es sollte bis in höchste Kaderpositionen akzeptiert sein, flexible Arbeitszeitmodelle für Männer und Frauen zu fördern. Das ist ein Mehrwehrt sowohl für die Mitarbeitenden wie das Unternehmen. Gerade mit Blick auf die Elternzeit besteht im Vergleich zu anderen Ländern noch grosses Potenzial.

Sie wirken trotz Nichtwahl in den Bundesrat insgesamt äusserst motiviert. Klingt, als wollten Sie noch eine Weile im Amt bleiben.
Ich verspüre grosse Lust dazu, mir gefällt mein Job! (strahlt fröhlich) Gerade habe ich zusammen mit meinem Kader Schwerpunkte für die laufende Legislatur festgelegt. Wir bleiben dem Motto «Einfach, aktiv, digital» treu. Es fasst den Anspruch nach raschen Entscheiden, einfachen Strukturen und digitalen Angeboten zusammen. Wir wollen unsere Dienstleistungen möglichst nutzungsfreundlich ausgestalten und die Qualität stetig verbessern. Das Ziel ist ein guter Service public.

Politische Ambitionen auf nationaler Ebene haben Sie keine mehr? Vielleicht Ende Jahr, wenn Alain Berset möglicherweise zurücktritt?
Das ist reine Spekulation. Ich würde es mir bei einer Vakanz wohl wieder ernsthaft überlegen. Und zu welchem Schluss ich dann komme, ist nochmal eine andere Frage.

Eventuell dauert es aber auch noch zehn Jahre.
Ich wäre mit Mitte fünfzig immerhin im idealen Bundesratsalter (lacht).

Yves Schott

Evi Allemann, geboren am 16. Juli 1978 in Bern, ist seit 2018 Regierungsrätin des Kantons Bern. Mit gerade mal 20 Jahren schaffte sie für die SP den Sprung in den Grossen Rat, 2003 wurde sie mit 25 die damals jüngste Nationalrätin der Schweiz. Allemann ist ausgebildete Juristin, hat einen Sohn und eine Tochter und wohnt mit ihrem Partner in Bern.

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