Chris 10

Nicht einmal bei der privaten Erfrischung sind sie sich einig

Etwas fürs Klima tun wollen sie beide. Wie diese Herkulesaufgabe aber zu meistern ist, darüber gehen die Meinungen von Regula Rytz (Grüne) und Christian Wasserfallen (FDP) weit auseinander.

Regula Rytz, kennen Sie eigentlich Ihren persönlichen ökologischen Fussabdruck?

«Die Schweiz ist vom Klimawandel viel stärker betroffen als andere Staaten.»

Ja, den messe ich regelmässig. Ich komme auf eineinhalb Planeten, das ist rund die Hälfte des Schweizer Durchschnitts. Ich möchte mich noch weiter verbessern, kann aber vieles gar nicht beeinflussen, so kann ich etwa als Mieterin nicht entscheiden, wie bei uns zuhause geheizt wird.

Ihr ökologischer Fussabdruck, Christian Wasserfallen?
Ich habe die Rechnung so noch nie gemacht. Der grosse Unterschied zwischen Frau Rytz und mir dürfte das Reisen sein. Punkto Unterkunft stehen wir wohl ähnlich da: Ich wohne in einer verdichteten Liegenschaft mit zehn Parteien, bin ebenfalls Mieter, kann auch nicht beeinflussen, wie geheizt wird, das Haus ist aber gut isoliert. Ich fahre Auto und esse Fleisch…
Rytz: Ich bin Vegetarierin
Wasserfallen: Da liege ich wohl etwas höher drin als Frau Rytz.
Rytz: Ganz sicher höher (lacht). Ich kann nicht Autofahren, bin selbst erst fünfmal in meinem Leben geflogen…gewisse Dinge sind steuerbar, andere nicht. Hier kommt dann die Politik ins Spiel, die die richtigen Rahmenbedingungen setzt; wir können die Verantwortung nicht einfach privatisieren.
Wasserfallen: Es stimmt nicht, dass, nur weil sich jemand für höhere Steuern, mehr Abgaben und Regulierungen einsetzt, diese Person automatisch ein besserer Mensch ist. Der Industriesektor ist in dem Bereich sehr vorbildlich unterwegs: Zusammen mit der Energieagentur der Wirtschaft wurde in den letzten Jahren weit mehr als eine Million Tonnen CO2 gespart. Ein Modell, das sehr erfolgreich funktioniert und nicht zuletzt von Freisinnigen stark genutzt wird.
Rytz: Ich bin froh, dass ein Teil der Wirtschaft den Erneuerungen offen gegenübersteht. Das Verbot von Phosphaten in Waschmitteln wurde vor zwanzig Jahren allerdings durch das Parlament beschlossen, gegen die Industrie. Es hat dazu geführt, dass man in unseren Seen wieder baden kann. Das hätte eine Firma alleine nie durchsetzen können. Es sind also sehr wohl staatliche Rahmenbedingungen nötig. Vor allem wenn es pressiert.

Oder ein internationales Klimaabkommen wie jenes von Paris. Bloss: Ist es richtig, dass gemäss diesem Abkommen China seine Emissionen bis 2030 noch unbegrenzt erhöhen darf und sein Ausstoss erst danach abnehmen muss – falls er es denn überhaupt tut?

Rytz: Ich sass nicht am Verhandlungstisch. Aber: Welches Land soll es denn sonst schaffen, wenn nicht wir mit unserer innovativen Wirtschaft und den besten Hochschulen der Welt. Viele vergessen, dass die Schweiz als Alpenregion vom Klimawandel viel stärker betroffen ist als andere Staaten. Wir müssen vorangehen, aus eigenem Interesse.
Wasserfallen: Genau hier klemmt es bei den Linken und Grünen. Es geht immer nur darum, dieses eine Promille noch kleiner zu machen. Die 99,9 Prozent der anderen Emissionen werden nicht beachtet. Das Ziel muss doch sein, pro eingesetzten Franken weltweit die grösste Reduktion herbeizuführen. Das passiert sicher nicht allein in der Schweiz! Was ist daran falsch, wenn eine Schweizer Firma in China eine hochmoderne Produktionsanlage aufbaut und sich dort einen Teil dieser erwirkten CO2 -Reduktion anrechnen lassen kann? Klimanationalismus ist schädlich und hilft dem Klima nichts!
Rytz: Eine innovative Schweizer Technologie liegt im Interesse aller. Aber wir müssen doch darüber reden, was wir vor der eigenen Haustür tun können. Nehmen wir den motorisierten Verkehr: In der soeben abgelaufenen Frühlingssession hatte die Mehrheit des Nationalrats nichts Besseres zu tun, als zu einem sowieso schon grosszügigen Strassenausbauprogramm noch ein paar Wahlgeschenke draufzulegen. Obwohl wir wissen, dass die motorisierte Mobilität ein wachsendes Klimaproblem ist.

Und das in einer Zeit, in der fast wöchentlich Tausende Jugendliche für eine bessere Umwelt demonstrieren. Herr Wasserfallen, offenbar politisieren Sie am Volk vorbei. Zumindest am jungen.

Wasserfallen: Wo sollen denn all die neuen künftigen Plugin-Hybride fahren? Wo die neuen Erdgasfahrzeuge und E-Autos? Die brauchen auch Strassen.
Rytz: Ja, aber keine neuen!
Wasserfallen: Die Mobilitätsbedürfnisse werden mit selbstfahrenden Fahrzeugen und breiterer Produktepalette noch viel individueller, schon nur deswegen braucht es mehr Kapazitäten. Wir müssen diese Infrastrukturen bereitstellen können, bevor der Kollaps eintritt.
Rytz: Jede Erweiterung führt doch zu Mehrverkehr, das ist längst bekannt. Jedes E-Auto braucht Strom, und dieser sollte aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Doch wegen der Bremsspur, die die Bürgerlichen hinterlassen haben, sind wir bezüglich Wind- und Solarenergie weit im Hintertreffen.
Wasserfallen: E-Mobilität braucht viel Strom – plus schwere Batterien. Und das dazu benötigte Lithium stammt dann aus einer Mine in Chile…da stellen sich mir gewisse Fragen. Führende ETH-Professoren in der Verfahrenstechnik sagen ganz klar: Der mit Abstand grösste Hebel, um kurzfristig am meisten CO2 -Emissionen einzudämmen, ist die Effizienzsteigerung bei Benzinund Dieselmotoren. Dieselverbote, etwa in Deutschland sind blanker Unsinn. Sie führen zu Umwegverkehr und dazu, dass sich gewisse Leute einen Benziner kaufen, damit sie mit diesem wieder ins Zentrum fahren dürfen. Man muss nicht mit Verboten, sondern mit Technologien argumentieren, von denen sich die besten durchsetzen werden.

Der «Blick» veröffentlichte vergangene Woche eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Forschungsinstituts gfs.bern. 70 Prozent der Jugendlichen unterstützen die Klimastreiks, 63 Prozent wollen jedoch nichts von einer Einmischung des Staates wissen. Auf Flugreisen verzichten möchten zudem weniger als 30 Prozent. Frau Rytz, sind das die gleichen Jugendlichen, die vor dem Bundeshaus demonstrieren?

Rytz: Das persönliche Verhalten ist wichtig, doch es braucht auch die richtigen Anreize und Rahmenbedingungen. Sobald beispielsweise Flugticketabgaben eingeführt werden, wird sich das Preisniveau so entwickeln, dass man nicht einfach für 20 Franken an eine Party fliegt.
Wasserfallen: Diese Aussage von Frau Rytz lässt mich jetzt doch staunen! Das ist genau eine Politik, die wir nicht wollen. Nicht der Staat soll sagen, was richtig und falsch ist. Noch nirgends auf der Welt hat eine Flugticketsteuer dazu geführt, dass jemand den Zug genommen hat. Diese Steuer wird nur eingeführt, um die Staatskassen zu füllen. Ein meiner Meinung nach populistisches Instrument, das gemäss Aussagen der Experten und vieler europäischer Länder zu Umwegverkehr, Gabelflügen und damit im Endeffekt zu einem höheren CO2 -Ausstoss führt.
Rytz: Eine absolute Fehlinterpretation. Natürlich sind Lenkungsabgaben wirksam. Schon nur die Diskussion darüber führt zu einem Umdenken. Ich kenne Jugendliche, die ihre Maturreise im Herbst statt mit dem Flugzeug wieder mit dem Zugplanen. So wie früher. Flugticketabgaben sind nur ein erster Schritt. In wenigen Jahren dürfen netto keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Schaffen wir das nicht, dann wird es richtig teuer.

Eine letzte Frage an Sie beide: Der Klimawandel ist real, die Temperaturen steigen, das streitet niemand ab. Wohin gehen Sie, wenn es Ihnen zu heiss wird?

Rytz: In die Berge. Dort ist es angenehm kühl.
Wasserfallen: Ich nehme einen Aareschwumm, definitiv die beste Art, sich abzukühlen. Und liegt erst noch vor der Haustüre.

Yves Schott

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