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«Oft stelle ich mir die Frage: Was ist mit mir falsch?»

Viele Menschen fühlen sich chronisch allein. Corona hat die Situation noch verschärft. Der Bärnerbär hat mit der Betroffenen B.S.* aus Bern West gesprochen. Fassbare Gründe für ihre Einsamkeit gibt es wenige.

Wann und wie haben Sie bemerkt, dass Sie einsam sind?
B.S.: Das begann bereits in der Schulzeit. Ich bin Einzelkind und hatte keine Geschwister, mit denen ich mich austauschen konnte. Dieses Gefühl hält nun mittlerweile mehrere Jahrzehnte an.

Wie haben Sie Weihnachten und Silvester verbracht?
Das ist eine emotional schwierige Frage, denn an diesen Tagen merkt man die Einsamkeit am meisten. Heiligabend habe ich mit meinem Vater verbracht und die restlichen Feiertage war ich allein, habe mich aber selbst beschäftigt. Ich bin in die Stadt unter Leute gegangen oder habe mich daheim mit einem Buch abgelenkt.

Wie beeinflusst die aktuelle Corona Situation die Einsamkeits-Problematik?
Besser wird es dadurch ganz sicher nicht. Allerdings möchte ich nicht Corona die Schuld an meiner Situation geben. Vor dem ersten Lockdown konnte ich meiner Einsamkeit noch durch meine Mitgliedschaften in Vereinen entfliehen. Da war ich oft sehr einsam. Wenn gar keine Reize mehr von aussen kommen und man die ganze Zeit für sich und mit sich beschäftigt ist, ist das emotional sehr anstrengend. Eine sehr, sehr schwierige Zeit. B.S. hat sich entschlossen, ihrer Einsamkeit mithilfe einer Selbsthilfegruppe von Selbsthilfe BE zu begegnen. Daniela Baumgartner ist dort Beraterin und berichtet, dass es im Kanton rund 230 Selbsthilfegruppen gibt, in der sich in der Regel vier bis zehn Personen treffen. Wenn sich Betroffene melden, klärt Selbsthilfe BE in einem Gespräch deren Erwartungen und Vorstellungen und sucht nach einer passenden Selbsthilfegruppe oder einem anderen Angebot. Oder bietet Unterstützung beim Aufbau von neuen Selbsthilfegruppen. Am 23. Februar 2022 findet das erste Gründungstreffen der Gruppe «Einsamkeit – junge Menschen ab ca. 30 Jahren» statt. Die Gruppe wird mithilfe von B.S. initiiert.

Wieso haben Sie sich entschlossen, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, anstatt professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen?
Was das Thema Einsamkeit angeht, habe ich professionelle Hilfe. Dennoch hatte ich das Bedürfnis, mich noch innerhalb einer Gruppe aus ungefähr gleichaltrigen Personen mit den gleichen Problemen und Herausforderungen auszutauschen. Ich wollte wissen, was andere so bewegt.

Was ist Einsamkeit eigentlich und wie entsteht sie?
Das Gefühl der Einsamkeit kommt bei mir immer auf, wenn ich mich mitteilen möchte und niemand da ist, der mir zuhören kann. Einsamkeit entsteht dann, wenn man sich immer wieder selbst um soziale Kontakte bemühen muss. Es ist eine Überwindung, jedes Mal auf die Leute zuzugehen, man sich aber eigentlich sehr wünscht, dass mal die anderen den ersten Schritt machen. Wenn das immer so einseitig ist, belastet das sehr und ist emotional anstrengend.

«Die Selbsthilfegruppe legt selbst fest, über welche Themen die Mitglieder sprechen wollen», erklärt Daniela Baumgartner. Das können übergreifende Thematiken zur Einsamkeit sein oder auch konkrete Erlebnisse einer oder eines Betroffenen. Oft hilft es bereits, wenn man die eigene Geschichte erzählen kann und andere dabei zuhören. In einem geschützten Rahmen können Probleme diskutiert und auch Lösungen gefunden werden. Wichtig ist, dass Betroffene regelmässig teilnehmen, so dass auch das gegenseitige Vertrauen wachsen kann.

Wie fühlen Sie sich, als noch jüngerer Mensch, von Einsamkeit betroffen zu sein?
B.S.: Viele meiner sozialen Kontakte stehen mitten im Leben, sind viel in gesellschaftliche Aktivitäten eingeflochten. Als jemand, der dieses komplexe soziale Netzwerk mit vielen Aktivitäten nicht hat, fühlt man sich schnell als Aussenseiterin oder Aussenseiter. Oft kommt auch die Frage in den Kopf: «Was ist mit mir eigentlich falsch?» Das ist ein sehr spezielles Gefühl.

Was kann man gegen drohende Einsamkeit machen?
Man muss immer zwischen Einsamkeit und Alleinsein unterscheiden. Allein zu sein ist oft etwas sehr Schönes. Man hat seine Ruhe und kann die Batterien wieder aufladen. Einsamkeit ist meist nicht selbstgewählt. Wenn sie mich dann aber überkommt, versuche ich den Ausgleich in der Natur zu finden oder beschäftige mich mit Dingen, die mir Spass machen und die mich von der Grübelei über die Einsamkeit ablenken. Man muss sich vorstellen, dass ein stark ausgeprägtes Einsamkeitsgefühl mit Leere und Trauer verglichen werden kann. Es fehlt einem etwas. Dann muss man Strategien ergreifen, die einem wieder etwas geben.

Wie lange dauert es, aus der Einsamkeit wieder herauszukommen?
Das dauert wirklich lange und ist jede Menge Arbeit. Aber pauschal kann man das nicht sagen. Das müssen die Betroffenen jeweils für sich selbst beantworten.

In der Stadt Bern müsste es doch viele einsame Menschen geben?
Das kann man so nicht sagen. In der Stadt gibt es viele Möglichkeiten, nicht einsam zu sein und eben doch. Das kommt wieder selbst auf die Betroffenen an. Ich zum Beispiel fühle mich in der Stadt unter Leuten nicht einsam. Auf dem Land wäre das sicher anders.

Kann man beispielsweise alte Freundschaften wiederbeleben?
Wenn man das kann, ist das super. Ich kann es nicht – einfach jemanden von früher anrufen und sagen: «Hallo, wie gehts?», das geht bei mir nicht.

Dennis Rhiel
*Name der Redaktion bekannt

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