Die Matte war sein Quartier, sein geliebtes Zuhause. Heute blickt Bronco-Legende Jimy Hofer mit Wehmut auf vergangene Zeiten zurück.
Jimy Hofer, Sie haben 28 Jahre lang in der Matte gewohnt. Weshalb?
Die Matte war früher ein äusserst vielfältiges und interessantes Quartier. Etwas vernachlässigt zwar mit vielen Sozialwohnungen, deshalb wollte auch niemand dahin, gleichzeitig gab es aber auch keine Nachtruhe – schon nur wegen der Stadtmühle, die 24 Stunden am Tag in Betrieb war. Eben kein Kirchenfeld, wo ich aufgewachsen bin.
Es heisst ja, die Matte sei das Dorf in der Stadt.
Man darf nicht vergessen, dass Bern an diesem Ort gegründet wurde, hier fanden die ersten Aktivitäten statt: Die Ware aus dem Oberland wurde umgeschlagen und bis nach Rotterdam weitertransportiert. Nur geriet die Matte dann im weiteren Verlauf ihres Bestehens etwas in Vergessenheit, die Leute wurden belächelt. Und noch heute ist sie verkehrstechnisch nicht optimal erschlossen, es gibt keinen schlauen Bus in die Stadt.
Sie sagen, die Menschen seien belächelt worden. Das führt doch dazu, dass der Zusammenhalt innerhalb eines Quartiers wächst.
Klar, das hat man auch gespürt, deswegen zog ich ja hierhin, mir hat das gefallen. Die Mätteler sassen am Stammtisch, haben «proletet» und über die Stadt hergezogen, man war eine Minderheit. Ich bin ja selber eine Minderheit und will auch immer zu ihr dazugehören. Jeder hat den anderen gekannt, man war unter sich, auch geografisch.
Minderheit in welchem Sinn?
Als Töff-Club hatten wir stets eine andere Philosophie, die nicht zum Mainstream gehört. Und das soll auch weiterhin so sein.
Gestört hat Sie selber an der Matte nichts?
Nein, das war ja das Schöne. Wir hatten eine Tanzdiele, ein Ausgehlokal für Junge. Konkurrenzlos, so etwas gab es in der Stadt nicht, viele sind mit ihr aufgewachsen, Deep Purple haben hier gespielt. Morgens um halb 1, als die Disco zumachte, haben gefühlt 300 Töffli ihren Motor angelassen (lacht). Ausser einem alten Anwohner, der deswegen vielleicht nicht schlafen konnte, hat das niemanden gestört. Und morgens ab 4 Uhr liefen sich schon wieder die Motoren der Lastwagen warm.
Sie trauern vergangenen Zeiten nach.
Es gab eine Möbelfabrik, einen Spengler, die Stadtmühle, Schreiner, Beizen ohne Ende, jede hatte ihre eigene Brauerei. Es war ein in sich geschlossenes Quartier mit sehr vielen durchmischten Aktivitäten.
Und einigen einschlägigen Etablissements.
Ja, natürlich. Wir hatten Massagesalons, Rotlicht macht die Sache natürlich immer spannend (lächelt). Dazu Bars und Spelunken. Seeleute kamen hierher. Und ich erinnere mich an den Märebrätscher und einen Schlarpenzwicker.
Wie bitte?
Märebrätscher ist ein Hufschmid, ein Schlarpenzwicker ein Schuhmacher.
Ihre liebsten Erinnerungen an die Matte?
Die Matte-Feste, die alle zwei Jahre stattfanden. Zu ihren Glanzzeiten zogen sie mehr Leute an als das Gurtenfestival. Wir hatten Line-ups, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Bombastische Anlässe, die Matte pumpenvoll mit Menschen. Wunderschön.
Ein Fest, das so heute nicht mehr existiert.
Unmöglich, so etwas wieder zu machen. Und Eintritt verlangen geht ja nicht, das ist für ein Stadtfest unsympathisch, obwohl der Aufwand und die Auflagen der Stadt immer grösser wurden… heute sowieso, wo sich jeder durch ein Auto sofort gestört fühlt…
Sie sprechen die Verkehrspolitik an.
Ja, wenn man ab Mitternacht ein Fahrverbot besteht…auswärtige Besucher kamen im Verlauf der Zeit gar nicht mehr, sie waren ausgeschlossen. Das Eine ergab das Andere. Alles hat sich kumuliert: das Nachtfahrverbot, Rauchverbot, Parkplatzregime, das Verbot von Geldspielautomaten, die Promillegrenze von 0,5. Jedes neue Gesetz und jede neue Verordnung kostete uns fünf bis zehn Prozent an Gästen. Jeder Schritt ging uns ans Lebendige.
Im Juli 2014 haben Sie Ihre Loge dann geschlossen.
Wir mussten uns eingestehen, dass der Standort nicht mehr in unserem Sinn weitergeführt werden kann. Jetzt befehlen andere, die nach ihrem Gusto amten. Ich sagte dann: Okay, ist in Ordnung, wir lassen es sein.
Wie ist denn die Matte heute?
Sie hat den Nachteil, dass sie sehr nahe bei der Stadt liegt. Das weckte Begehrlichkeiten, was den Wohnraum angeht. Als die Möbelfabrik Jörns wegzog, entstanden teure Eigentumswohnungen, andernorts teure Geschäftsräume. Das hat die Struktur der Matte massiv verändert. Die ursprüngliche Gemeinschaft gibt es so nicht mehr, Leute kommen und gehen. Manche Wohnungen gehören Diplomaten oder Politikern, die nur ein paar Tage oder Wochen pro Jahr da leben.
Macht Ihnen das Sorgen?
Die Matte wurde zusehends zur Schlafstadt. Das Wasserwerk, das Silo, die Broncos-Loge…damals ein Epizentrum des Club-Wesens. Davon ist nun nichts mehr.
Da schwingt tiefes Bedauern mit.
Für mich ist die Matte tot. Kein Vergleich mehr zu dem, was sie mal war.
Sie würden auch nicht mehr in der Matte wohnen wollen?
Nein, ausser, man sehnt sich nach einer ruhigen Stadt, in der man abends keinen Besuch mehr empfangen darf. Wer die Verhältnisse eines Ballenbergs will, ist hier am richtigen Ort. Diesen Eindruck habe ich, darum ist es mir egal, wenn ich nichts mehr mit der Matte zu tun habe.
Yves Schott