Er erlebt gerade die intensivste Zeit des Jahres: Strassenmeister Bernhard Brunschwiler sorgt mit seinem Team dafür, dass Bern nicht ins Rutschen gerät. Zu tun gibt es genug – auch wenn der Schnee weniger deutlich weniger geworden ist.
Es ist nur eine Vermutung. Eine ganz leise noch dazu. Vielleicht aber wünscht sich Bernhard Brunschwiler tatsächlich die alten Zeiten zurück. Oder vielmehr: die alten Winter. Jene der 70er- und 80er-Jahre etwa. Als er, der in der Länggasse aufwuchs, schon im November und Dezember im Quartier regelmässig schlitteln gehen konnte, als am Zibelemärit noch Schneeballschlachten angezettelt wurden. Nicht so wie jetzt, wenn die ersten Flocken frühestens im Januar fallen. Falls sie denn überhaupt kommen. Ja, ein wenig Wehmut schwingt mit. Als Brunschwiler 2011 begann, beim Stadtberner Tiefbauamt als Strassenmeister zu arbeiten, war der Klimawandel natürlich bereits spürbar. Dennoch, meint er, habe sich die Lage in dieser Hinsicht zunehmend verschärft: «Die einzelnen Jahreszeiten verschieben sich, gewisse Früchte reifen früher. Manche Bäume bekunden Mühe mit den heissen Sommern. Wir merken auch, dass der typische Landregen seltener wird, dafür regnet es kurz und intensiv.» Natürlich ist er kein Klimaforscher, aber dennoch häufig in der Natur. Da, wo das Wetter passiert. Seine Beobachtungen scheinen zutreffend. Es schneit seltener, und wenn, dann kurz und intensiv.
Das unterirdische Büro
Die Arbeit geht Brunschwiler deswegen kaum aus. Er und seine rund hundert Mitarbeiter stehen auch dann im Einsatz, wenn sich auf den öffentlichen Plätzen nicht Berge von Schnee türmen. Ein über mehrere Tage kalter, gefrorener Boden sowie genug Luftfeuchtigkeit reichen aus, um die Trottoirs in eisige Rutschbahnen zu verwandeln. Das Büro des 57-Jährigen liegt quasi unterirdisch. Die Zufahrt zur Zähringerstrasse 100 erfolgt über eine Tiefgarage, in die Anlage dringt kaum Licht. Der Bau hat den rustikalen Charme einer Karosseriewerkstatt, mehrere Räumfahrzeuge stehen herum – einige kehren gerade von einem Einsatz zurück und werden gereinigt, andere machen sich für eine bevorstehende Tour bereit. Wenn es schneit, werden in einer ersten Priorität Hauptverkehrsstras- sen, ÖV-Verbindungen, Treppen und auch wichtige Radwege vom Schnee befreit. Zu den Velohauptrouten zählen die Achsen Wankdorf-Bümpliz sowie vom Hirschengraben via Eigerplatz bis hin zur Gemeindegrenze von Köniz. Quartierstrassen und Trottoirs haben zweite Priorität. Autobahnen übrigens fallen in den Zuständigkeitsbereich des Kantons.
Wundermittel Sole
Obwohl Brunschwiler und seine Equipe im Ernstfall sofort ausrücken, wird ab und an Kritik an ihrer Vorgehensweise laut. Einigen Anwohnern dauert die Schneeräumung zu lange, andere beschweren sich darüber, dass die weisse Pracht überhaupt entfernt wird. «Reklamationen gibt es immer, sie sind aber weniger geworden. Man kann es nie allen recht machen, die meisten nehmen es allerdings gelassen.» Sowieso hat sich im Winterdienst einiges verändert. Kamen früher noch hauptsächlich Sand oder Splitt zum Einsatz, wird seit Längerem überwiegend Trocken- oder Nasssalz angewendet. Bei letzterem wird Auftausalz kurz vor der Streuung mit einer Salzlösung (Sole) befeuchtet. Der Vorteil: Diese Kombination zerstiebt nicht und bleibt liegen. «Sand verursachte im Frühling regelmässig eine ziemliche Sauerei, er verteilte sich auf den Strassen und in der Kanalisation», meint Brunschwiler und ergänzt: «Splitt wiederum bringt hohe Kosten mit sich: Er muss weggeräumt und in einer Sonderdeponie entsorgt werden, da es sich um kontaminiertes Material handelt.» Konkret: Salz wird fast immer gestreut, Splitt nur, wenn es kalt und feucht ist, aber nicht schneit. Bern zählt insgesamt zwei Strassenmeister für sechs Stadtteile. Einer kümmert sich um Stadtteil eins, der die komplette Innenstadt abdeckt, der andere – in diesem Fall Bernhard Brunschwiler – organisiert die Bereiche zwei bis sechs, also sämtliche Quartiere. Die Strassenreinigung gehört zur Abteilung Betrieb und Unterhalt, die ihrerseits dem Tiefbauamt angegliedert ist.
«Ich bin kein Wintermensch»
Man darf die Frage ruhig stellen: Was macht Brunschwiler eigentlich in der wärmeren Jahreszeit? Die Variante Bademeister fällt weg, einfach von draussen nach drinnen wechseln macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn. «Im September beginnt die Planung für die Beseitigung des Laubs, im Frühling sind wir mit Aufräumarbeiten beschäftigt – je nachdem, wie streng der Winter ausfiel.» Sein Jahr verläuft also ganz unterschiedlich: Schreibkram wechselt sich ab mit Ausseneinsätzen, künstliches Licht versus Sonne und Graupelschauer. «Nur Büro alleine wäre nichts für mich und nur draussen sein würde mir ebenfalls keinen Spass machen. Deshalb gefällt mir diese Mischung hier extrem gut.» Zudem hegte Brunschwiler schon immer den Wunsch, etwas für Bern, seine Stadt, leisten zu können. «Nicht irgendwo in einer Amtsstube, sondern dort, wo es die Leute auch merken. Das ist schon schön.» Der Sommer, so erzählt Brunschwiler, sei dann tatsächlich die ruhigste Zeit des Jahres. Viele Mitarbeitenden würden angefallene Überzeiten abbauen. Er selbst beschäftigt sich mit administrativen Angelegenheiten, Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel. Und: Der zweifache Familienvater nimmt sich eine Auszeit. Macht Ferien. Kälte und Frost mögen für ihn zwar eine Art Obdach sein, sein gemütliches Nest aber liegt woanders. Südlicher. «Ich bin kein Wintermensch!» Obwohl man mit so einer Aussage hat rechnen müssen, kommt sie doch irgendwie unerwartet. Schnell schiebt Brunschwiler nach: «Keine Angst, der Winter stresst mich nicht. Wir haben das ja im Militär gelernt: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.»
Und plötzlich fiel er hin …
Oder auch: suboptimales Schuhwerk. Jedenfalls erinnert sich Brunschwiler an eine Szene vorletzten Winter, als es ihn auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt aufgrund des doch eher glitschigen Untergrunds so richtig auf den «Latz» gehauen hat. «Ich habe eine Riesen-Pirouette gedreht.» Beruhigend zu wissen, dass das sogar jemandem wie ihm passiert. Böse ist er deswegen niemandem, auf sein Team sowieso nicht. «Für die privaten Areale sind ja schliesslich nicht wir zuständig.»
Yves Schott