Bernhard Eicher soll es also richten. Der 37-Jährige will für die FDP den verloreren Sitz im Gemeinderat zurückholen. Wer ist der Mann, den der Freisinn intern als Heilsbringer bejubelt?
Wie sind Sie hierher ins Café Effinger gekommen?
Als Präsident des Vereins Vortritt Fussgänger selbstverständlich zu Fuss, in die Stadt selbst mit dem ÖV.
Vor dem Café fahren Trams, Busse und Autos im Minutentakt vorbei. Eine schöne Allee mit Bäumen, wie sie etwa den Vorstellungen von Linken und Grünen entsprechen würde, wäre doch bedeutend schöner als die jetzige Strasse.
Eine schöne Vorstellung, wenn ich hier im Café sitze, sicherlich. Wenn ich allerdings möglichst rasch von A nach B gelangen müsste, finde ich die Vorstellung weniger prickelnd. Es braucht alle Verkehrsteilnehmer. Fussgänger, Trams, Velos, aber manchmal auch das Auto.
Fakt ist aber, dass die Berner Bevölkerung grundsätzlich hinter der Verkehrspolitik von Ursula Wyss steht, wie die Abstimmungen zeigen.
Wenn versucht wird, den Autoverkehr zu reduzieren, gibt es zum einen jene, die davon profitieren wie etwa die direkten Anwohnerinnen und Anwohner. Andere haben hingegen das Nachsehen, wenn sie zum Beispiel einen Umweg in Kauf nehmen müssen oder in der Strasse nebenan wohnen, die nun stärker befahren wird. Ich möchte jetzt aber keine Lobeshymne aufs Auto anstimmen, wie das die Verkehrsdirektorin beim Velo macht, sondern ich plädiere für eine Gesamtsicht.
Wie viel dürfte aus Ihrer Sicht ein Liter Benzin maximal kosten?
Grundsätzlich begrüsse ich es, wenn die Stadt Bern versucht, in der Klimapolitik eine Vorreiterrolle einzunehmen. Verbesserungspotenzial sehe ich vor allem im Gebäudebereich und bei der Förderung innovativer Unternehmen. Beim Benzinpreis sprechen Sie die Lenkungsabgabe an: Wer versucht, den Verkehr über den Preis zu steuern, schafft eine Zweiklassengesellschaft. Es gibt dann jene, die sich das Benzin noch leisten können – und die anderen. Nachhaltigkeit umfasst aus meiner Sicht drei Dimensionen: die Ökologie, den sozialen Zusammenhalt sowie die Ökonomie. Lenkungsabgaben gefährden den sozialen Zusammenhalt.
Nun, bei Umweltabgaben wie beispielsweise der Flugticketsteuer geht es ja genau darum, den Betrag an die Bevölkerung zurückzuerstatten.
Dass das Geld in irgendeiner Form zurück an die Bürgerin und an den Bürger fliesst, stimmt, das lässt sich aber genauso für jeden Steuerfranken sagen. Die Grundsatzfrage lautet, wie viel Geld der Politik zur Verfügung stehen soll. Ich finde, das muss primär über die Steuern geschehen, da diese einkommensabhängig sind. Bei Lenkungsabgaben ist dies nicht der Fall.
Wie umweltfreundlich sind Sie selbst? Haben Sie Ihren ökologischen Fussabdruck mal berechnet?
Nein, wobei ich vor solchen Berechnungen warne, da sie sehr theoretisch sind. Ich bewege mich wohl im ökologischen Durchschnitt. Ich fahre kein Auto und recycle gewissenhaft, andererseits fliege ich ab und an in die Ferien und esse gerne ein gutes Stück Fleisch.
Die Stadtregierung hat im Frühsommer 2019 für Bern den Klimanotstand ausgerufen.
Bei dieser Medienkonferenz handelte es sich um eine Klamaukveranstaltung. Die präsentierten Massnahmen des Gemeinderats lassen sich unter dem Titel «alter Wein in neuen Schläuchen» zusammenfassen.
Welche Themen bewegen Sie abgesehen vom Umweltschutz sonst noch?
Wenn ich einen Wunschkatalog erstellen könnte, würde sich in der Stadt sicherlich einiges verändern. Die Klimapolitik bewegt sich derzeit in eine völlig falsche Richtung, Rot- Grün spricht hauptsächlich über Verbote und neue Steuern. Ich bin der Meinung, dass wir viel eher über finanzielle Anreize reden müssten.
Erzählen Sie von Ihrem Wunschkatalog.
Es müssen dringend mehr Wohnungen geschaffen werden, ohne dass dafür zusätzliches Land verschwindet. Sprich: Wir müssen höher bauen und Autobahnen überdachen. Zweitens muss die Stadt viel umsichtiger mit Steuergeldern umgehen, die Digitalisierung bietet Chancen, um effizienter zu arbeiten. Drittens existiert in Bern eine sehr kreative Unternehmerszene, im Bereich Food Waste nimmt Bern sogar eine Vorreiterrolle ein. Diese Unternehmer hätten deutlich mehr Unterstützung verdient.
Also eher radikaler Umbau oder doch sanfte Erneuerung?
Markt- und Spitalgasse wären verkehrsfrei, Trams und Busse unterirdisch geführt. Waisenhaus- und Casinoplatz würden massiv hübscher aussehen. Zwei rot-grüne Projekte übrigens, die den Charme einer Betonwüste versprühen, was für mich unerklärlich ist.
Wieso braucht Bern Bernhard Eicher?
Ich bringe ein paar Fähigkeiten mit, die momentan in der Exekutive untervertreten sind: Erstens könnte ich mit meiner klar bürgerlichen Haltung viel zur Diskussionskultur beitragen. Zweitens bin ich 37, der Rest des Gemeinderats ist doch wesentlich älter. Ich könnte also eine andere Generation repräsentieren. Drittens fehlt der Geist des Unternehmertums – hier könnte ich ebenfalls Nachhilfe leisten.
Worauf sind Sie politisch besonders stolz, worauf weniger?
Stolz bin ich darauf, es zwölf Jahre im rot-grün dominierten Parlament ausgehalten zu haben. (lacht) Im Ernst: Wir haben mit der Tourismus- Förderungsabgabe und dem Sauberkeitsrappen zwei wichtige Vorlagen bodigen können, zu denen ich meinen Teil beigetragen habe. Wenn ich andererseits von einem Fehler wüsste, würde ich ihn jetzt kaum erwähnen! (schmunzelt)
Was ist das Erste, das Sie tun, wenn Sie gewählt werden?
Schwierige Frage. Das kommt nicht zuletzt auf die Verteilung der Direktionen an. Ich würde sicherlich dafür sorgen, dass wieder kritischer diskutiert wird. Ich habe seit längerem den Eindruck, dass im Gemeinderat gewisse Geschäfte einfach durchgewunken werden. Ich würde mit Sicherheit unangenehme Fragen stellen.
Trotzdem werden Sie sich in einer Minderheit befinden. Keine besonders rosige Vorstellung.
Vorausgesetzt es gelingt, dass nebst drei rot-grünen Vertretern ein Bürgerlicher und eine Person aus der Mitte im Gemeinderat sitzen: Dann bestünde in der Wohnbau- sowie in der Steuerpolitik eine realistische Chance, zu einer Mehrheit zu gelangen – den Stadtpräsidenten also auf unsere Seite zu ziehen. Die Verkehrspolitik andererseits ist klar linksgrün geprägt und das wird wohl auch so bleiben.
Sie sind seit zwanzig Jahren politisch aktiv. Was waren Sie als 17-Jähriger für eine Art Jugendlicher?
Ehrlich gesagt ein ziemlich braver und langweiliger. Mit etwas über 20 hatte ich eine wildere Phase. Mittlerweile bin ich eine gute Mischung aus wild und langweilig.
Welches Poster hing in Ihrem Zimmer?
Wahrscheinlich eines meiner Wahlplakate. (lacht laut)
Welche Musik soll an Ihrer Beerdigung gespielt werden?
Die von Fraktionszwang natürlich. Einfach dann ohne den Keyboarder. (Iacht)
Wie viel Alkohol trinken Sie?
Etwas zu viel. Deswegen gehe ich regelmässig ins Fitness.
Sie feiern die Feste gerne mal, wie sie fallen. Würde sich das mit der Wahl in den Gemeinderat ändern?
Ich habe mir fest vorgenommen, so zu bleiben, wie ich bin, was manchmal etwas schwierig ist, je stärker man in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Sollte ich weniger Partys besuchen, dann bloss deshalb, weil ich mehr Termine wahrnehmen müsste. Mich generell zurückhalten, nur weil ich stärker in der Öffentlichkeit bin, kommt nicht infrage.
Was können Sie sehr gut, was gar nicht?
Ich kann sehr gut Menschen zusammenbringen. Und ich kann überhaupt nicht schlöfle.
Was passiert am 29. November 2020?
Ich trinke mit Sicherheit ein Bier. Entweder um auf den Wahlerfolg der Freisinnigen anzustossen, oder um den Frust runterzuspülen.
Yves Schott