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Soll in Bern wirklich bald überall Tempo 30 gelten?

Hier Christine Badertscher von den Grünen, da der Grünliberale Casimir von Arx. Der Bärnerbär hat die beiden Wahlsieger gefragt, was sie von Klimanotstand, Tempolimits und Ferienflügen halten.

Christine Badertscher, freut man sich als Grüne über einen Erfolg der Grünliberalen?
Christine Badertscher: Auf jeden Fall. Auch wenn wir in verschiedenen Bereichen nicht die gleiche Meinung vertreten.
Casimir Von Arx: Ich freue mich ebenfalls. Was grüne Themen anbetrifft, weist die Schweiz einen grossen Handlungsbedarf auf, gerade wegen der nun ablaufenden Legislatur. Wir brauchen diese neuen Mehrheiten, um etwas ändern zu können. Die einen Parteien waren bis jetzt schon verlässliche Partner, bei anderen werden wir sehen, ob sie ihre Versprechen einhalten.

Die GLP hat den Grünen aber doch sicher einige Stimmen weggenommen.
Badertscher: Wir kamen bereits 2007 auf fast 12,9 Prozent Stimmenanteil. Dieses Resultat schien für uns Grüne wegen der GLP danach kaum mehr erreichbar – nun haben wir es sogar übertroffen. Insofern denke ich nicht, dass wir uns noch in die Quere kommen. Im Gegenteil hat ja die SP wegen uns Wähleranteile verloren.
Von Arx: Die grünen Kräfte sind mit zwei Parteien sicherlich stärker vertreten als nur mit einer.
Badertscher: Für viele sind wir Grüne nicht wählbar und für andere die GLP nicht. Deswegen ist diese Konstellation gar nicht mal so schlecht.

Mit wem fühlen Sie sich denn mehr verbunden? Mit den Grünen oder, da Sie sich als liberal bezeichnen, doch eher mit den bürgerlichen Kräften?
Von Arx: Mit beiden. So ist halt unser Profil. Wir setzen, zusammen mit der Wirtschaft, eine ambitionierte Umweltpolitik um. Früher hiess es, das ginge doch gar nicht. Doch gerade erst wurden wir wieder zur wirtschaftsfreundlichsten Partei gekürt, diesmal von der «Handelszei – tung». Das zeigt, dass wir diesen sogenannten Spagat sehr gut hinbekommen.

Hier bestehen zwischen Grünen und GLP aber genau die grössten Unterschiede: Die Grünen wollen mehr Klimaschutz, indem sie die Wirtschaft bekämpfen.
Badertscher: Das ist einer der grössten Trugschlüsse, die man immer wieder über uns hört. Wir sind nicht gegen die Wirtschaft, wir beziehen aber den sozialen Bereich mit ein. Umwelt und Wirtschaft sind für mich kein Widerspruch, die Frage stellt sich allerdings, wie sich der soziale Faktor miteinbeziehen lässt. Wir wollen in allen drei Bereichen der Nachhaltigkeit vorangehen.

Die Einführung von Steuern und Abgaben sind aber nicht unbedingt jene Massnahmen, die generell als wirtschaftsfreundlich gelten.
Badertscher: Manche Regulierungen können eine Chance sein. Möglicherweise profitiert Swissoil von der einen Massnahme weniger, dafür jemand, der Solarzellen installiert. Eine völlig liberale Politik mag für die Wirtschaft kurzfristig besser sein – doch was ist tatsächlich nachhaltiger?

Mehr Staat, weniger Freiheit – das sollte einer liberalen Partei, wie sich die GLP selber nennt, doch zu denken geben.
Von Arx:
Die aktuelle Situation, so schlimm sie auch ist, eröffnet neue Möglichkeiten: Nun müssen innovative technische Lösungen gefunden werden, damit wir uns an den Klimawandel anpassen und den CO2 -Ausstoss senken können. Uns sind aber auch nachhaltige Finanzen wichtig: Wir wollen den künftigen Generationen keine Umweltschäden hinterlassen – aber auch keine Schulden. Und das geht nur, wenn man nicht alle gegenwärtigen finanzpolitischen Wünsche erfüllt.
Badertscher: Natürlich sind Lenkungsabgaben etwas Staatliches. Diese können aber der Bevölkerung ja zugutekommen, indem man sie eins zu eins, etwa über die Krankenkasse, rückerstattet. Häufig heisst es: Die Grünen wollen bloss neue Steuern. Das stimmt so nicht, wir möchten einfach anders lenken. Abgaben müssen zweckgebunden sein.

Mehr Staat gleich mehr Umweltschutz. Herr von Arx, würden Sie dieser Aussage zustimmen?
Von Arx:
Wenn man die richtigen Anreize setzt, beispielsweise indem die Umweltbelastung im Preis ausgewiesen wird, birgt die Wirtschaft ein grosses Potenzial, um Lösungen auszuarbeiten. Lenkungsabgaben sind ein viel flexibleres Instrument als Verbote.

Die Stadt Bern hat Ende Mai den «Klimanotstand» ausgerufen. War das richtig?
Badertscher:
Ich habe mit solchen Begriffen etwas Mühe. Streik, Notstand…man könnte dem anders sagen. Nichtsdestotrotz weist die Schweiz nach wie vor einen sehr hohen Pro-Kopf-Ausstoss an CO2 auf, weil wir enorm viel graue Energie importieren. Deshalb braucht es vielleicht solche Kampfbegriffe, um die Menschen auf die Dringlichkeit der Situation aufmerksam zu machen. Schliesslich ist der Klimawandel seit zwanzig Jahren ein Thema, richtig ernst genommen hat ihn bis jetzt aber kaum jemand.
Von Arx: Es ging auch bei uns im Könizer Gemeindeparlament nicht um eine juristische Definition eines Notstands, das hat der Gemeinderat so zur Kenntnis genommen. Es geht nicht darum, Gesetze auszuhebeln. Aber ja, man hat lange zu wenig getan.

Während verschiedene Gemeinden den Klimanotstand ausrufen, baut China mehrere Dutzend Flughäfen und neue Kohlekraftwerke. Zudem darf die Führung in Peking gemäss Pariser Klimaabkommen seine CO2-Emmissionen bis 2030 ohne Konsequenzen ungehindert steigern. Da erscheinen unsere Massnahmen doch reichlich übertrieben.
Von Arx:
Ich sage immer: wer, wenn nicht wir? Wir profitieren zu einem späteren Zeitpunkt von unserem eigenen Know-how. Wir können uns hier als exportorientiertes Land einen zeitlichen Vorteil verschaffen, weil andere Staaten dann sowieso nachziehen müssen.
Badertscher: Wie gesagt haben wir einen enorm hohen Pro-Kopf-Ausstoss an CO2 . Zudem sind wir ein reiches Land. Natürlich stösst China insgesamt massiv mehr CO2 aus, in einem kommunistisch geführten Staat wie dort kann es aber auch passieren, dass plötzlich angeordnet wird, nur noch Strom aus Windrädern zu beziehen – und auf einen Schlag wäre China fortschrittlicher als wir. Wenn wir statt Fliegen Zugfahren, hat das doch ausserdem Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage.

Apropos: Fliegen Sie eigentlich ab und zu in die Ferien?
Badertscher:
Ich bin im internationalen Bereich tätig und reise vielleicht geschäftlich bald nach Tansania. Da liesse sich ein Flug wohl nicht umgehen. Privat würde ich nie in die Ferien fliegen, das kommt nicht infrage. Über die Weihnachtsfeiertage fahre ich nach Marrakesch – mit dem Zug.
Von Arx: Ich habe in meinem Leben erst einmal eine Reise mit dem Flugzeug gemacht, und zwar nach Japan.

Ich bin im Mai nach Bremen und im September nach Albanien geflogen. Bin ich aus Ihrer Sicht nun ein Umweltsünder?
Badertscher:
Ich bin der Meinung, dass sämtliche Europa-Destinationen mit dem Zug erreicht werden können.

Jemand, der in Lissabon wohnt, soll mit dem Zug nach Bukarest fahren?
Badertscher:
Das ist möglich, natürlich. Man ist in zwei, drei Tagen dort. Es geht um ein Umdenken: viele Destinationen sind auch mit dem Zug erreichbar.
Von Arx: Insgesamt werden schlicht und einfach zu viel Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestossen. Ich würde den Flug als solchen nicht isoliert betrachten: Es kommt drauf an, was Sie sonst noch an Ressourcen verbrauchen. Vielleicht fahren Sie dafür kein Auto oder essen kaum Fleisch. Es geht ums Gesamtbild.

Welches ökologische Problem muss aus Ihrer Sicht am dringendsten gelöst werden?
Badertscher:
Ganz klar die Fliegerei. Es geht auch um die internationale Solidarität. Eine Bäuerin im Tschad leidet unter dem Klimawandel, wird in ihrem Leben aber nie in einem Flugzeug sitzen und wir fliegen zum Vergnügen in der Welt herum. Das ist schlicht unfair.
Von Arx: Das Absenken des CO2 -Ausstosses und gleichzeitig neue technische Lösungen zu etablieren wie etwa die Elektromobilität im Verkehrsbereich. Die Pestizidproblematik ist ein weiteres Thema.

Ihre grösste Umweltsünde?
Von Arx:
Das ist dann wohl meine Reise nach Japan.
Badertscher: Die beiden Flüge nach Kamerun.

Haben Sie deswegen ein schlechtes Gewissen?
Badertscher:
Ja, tatsächlich.

Ich nenne Ihnen nun noch drei Stichworte, die Sie gerne kurz beantworten müssten. SUV verbieten oder nicht?
Badertscher:
In der Stadt schon, ja. Und generell verteuern.
Von Arx: Verteuern.

Sollen Staumauern erhöht werden, um mehr Strom durch Wasserkraft zu erzeugen?
Badertscher: Von mir aus ja.
Von Arx: Ja.

Sollen in ganz Bern flächendeckend Tempo-30-Zonen eingeführt werden?
Von Arx:
Ich habe Sympathien für mehr Tempo 30 in der Stadt. Es gibt natürlich einzelne Strecken, wo es keinen Sinn macht wie etwa auf der Monbijoubrücke.
Badertscher: Ich bin keine Autofahrerin. Es kommt drauf an, wo und was es tatsächlich bringt.

Zum Schluss: Wer von Ihnen beiden ist denn nun der oder die bessere Grüne?
(beide unisono, lachend):
Ich natürlich!

Yves Schott

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