Chris Gurten2019 29

«Sorry, bi z bsoffe gsi – nid bös gmeint, gäu»

Eigentlich würde ab Mittwoch halb Bern auf den Hausberg pilgern. Um keine allzu grosse Güsche-Depression aufkommen zu lassen, hat der Bärnerbär ein nicht ganz ernst gemeintes Alternativprogramm erstellt.

1. Selbstverständlich ist Duschen etwas Tolles. Es belebt den Geist und aktiviert die müden Glieder. Aber während eines OpenAirs? Niemals! Verzichten Sie deswegen doch ab Mittwoch einfach mal auf die warme Brause von oben. Deos werden an Freiluftveranstaltungen ebenfalls völlig überbewertet. Der Wind wird das schon richten. Unser Tipp: Nehmen Sie Ihren ganz persönlichen «Güsche-Geruch» unbedingt mit an den Arbeitsplatz. Er wird von Tag zu Tag besser. Garantiert! Zusatzpunkte holen Sie sich, indem Sie auch das Shirt oder Hemd nie wechseln. Denken Sie daran, zum Beispiel bei Sitzungen, so häufig wie möglich mit Ihren Armen zu fuchteln und sie regelmässig in die Höhe zu strecken. Ihre Mitarbeitenden werden es Ihnen danken und Ihnen mit zugeklemmter Nase stillen, indirekten Applaus spenden.

2. Laden Sie Freunde auf einen Grillplausch ein und teilen Sie dazu Ihre Wohnung in VIP- und «Normalo»-Zone ein. Die Toiletten befinden sich selbstverständlich in ersterem Bereich. Nicht fehlen darf selbstverständlich der eine oder
andere C- und D-Promi (Namen werden an dieser Stelle explizit keine genannt, J.P. Love), um der Sause ein entsprechendes Standing zu verleihen. Diese Idee sorgt erfahrungsgemäss für Spass, gute Laune und lässt Ihren Beliebtheitsstatus in die Höhe schiessen.

3. Was ab Mittwoch ohne Wenn und Aber dazugehört: die Übernachtung im Freien! Kaufen Sie sich dazu ein möglichst billiges Wurfzelt und stellen respektive werfen Sie es in Ihrem Garten auf. Bitte keine Gummimatten oder Ähnliches auf den Boden legen – richtiges Open-Air-Feeling entsteht erst, wenn Sie morgens zusätzlich zum obligaten Kopf- noch mit Rückenweh aufmachen. Bitten Sie ausserdem einen Freund darum, Ihnen irgendwann im Verlauf der Nacht ans Zelt zu pinkeln. Denn: «E chli stinke muess es.» Falls Sie und/oder Ihr*e Nachbar*in Single sind (oder auch nicht), fragen Sie sie/ihn höflich, ob er zwischen Mittwoch- und Samstagnacht schon etwas vorhat. Wird garantiert ein Super Super Super-Wochenende. Zelt am Sonntagmorgen unbedingt liegenlassen.

4. Am Freitag wird es laut Wetterprognosen sonnig und einigermassen warm. Stellen Sie sich also spätestens um 11 Uhr an der Dorfstrasse (die Strasse, die direkt zur Talstation und über die Gleise führt), Höhe Heitere Fahne, in eine virtuelle Schlange. Rücken Sie danach alle zehn Minuten etwa drei Meter vor. Wird es Ihnen zu heiss, trinken Sie einen kräftigen Schluck lauwarmes Bier aus einer im nahegelegenen Supermarkt gekauften Plastikflasche oder unterschreiben Sie (ebenfalls virtuell) eine Petition respektive Volksinitiative. Planen Sie ungefähr zwanzig Meter vor der Gurtenbahn grosse, 180-Grad-Schlaufen ein und tanken Sie Ihren persönlichen Bierspeicher beim Sahlihaus optional nochmals auf. Maximal drei Stunden später werden Sie den Eingang der Talstation erreicht haben. Das Ganze lässt sich übrigens auch umgekehrt von der Bergstation aus durchführen, zeitlich dann allerdings eher ab 2 Uhr morgens.

5. Verabreden Sie sich mit einem Freund oder einer Freundin am Samstagabend um 21 Uhr an einem bestimmten Treffpunkt, erscheinen hingegen nicht. Rund eine halbe Stunde später schreiben Sie: «Bi scho wieder furt, u zwar xxx (Ort Ihrer Wahl eingeben).» Genau so, wie das auf dem Gurten in (meist) angetrunkenem Zustand eben Usus ist. Wiederholen Sie diesen Schritt weitere ein- bis zweimal, ohne es auf die Spitze zu treiben. Irgendwann antworten Sie gar nicht mehr, melden sich dann aber um 4 Uhr morgens absolut ahnungslos mit: «Wo bisch? Ha ke Akku meh gha.» Oder: «Sorry, bi z bsoffe gsi. Nid bös gmeint, gäu. Gseh mir üs morn am 12i vor dr Houptbühni?»

6. Als Hardcore-Gurtengänger*in hielten Sie die Konzerthighlights im Fernsehen bis dato für komplett überflüssig. Im Corona-Jahr 2020 ist das wohl anders: Nun dürfen Sie wehmütig und mit feuchten Augen an die lauen Sommernächte auf dem Berner Hausberg zurückdenken und sich daran erinnern, wie schön es mit Patent Ochsners «Scharlachrot» und Sevens «Lisa» doch war. Diesmal verzichten Sie nicht auf den Festivalsommer bei SRF zwei. Der Sender bietet Ihnen übrigens die volle Gurten- Ladung an: von Freitag bis Sonntag werden ca. ab Mitternacht Highlights der letzten zwanzig Jahre gezeigt. Mit Franz Ferdinand, AnnenMayKantereit oder Travis. Definitiv so laut mitsingen, bis die Stimme krächzt und der Nachbar entnervt an die Türe klopft!

Yves Schott

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