Zwei Menschen zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen. Die beiden Grossräte Nicola von Greyerz (SP, Bern) und Lars Guggisberg (SVP, Kirchlindach) über faire Verkehrspolitik, sture Sichtweisen und was in der Reithalle wirklich schiefläuft.
Nicola von Greyerz, wir sind mit dem Auto – einem Hybrid – hier auf die Leutschenhöhe bei Kirchlindach gefahren. Sie würden nicht abstreiten, dass das die praktischste Variante für diese Route war?
Von Greyerz: Nein, gar nicht. Intelligente Mobilität heisst ja nicht nur ÖV, sondern genau das einsetzen, was jeweils am sinnvollsten ist. Ich bin eine leidenschaftliche Mobility-Nutzerin, ich lebe halt einfach in der Stadt und brauche kein Auto. Das erachte ich als Privileg.
Dennoch scheint offensichtlich: Das rot-grün-dominierte Bern hat etwas gegen Autos. Wer im Breitenrain jemanden mit dem Auto besuchen will, muss theoretisch auch in der Nacht alle 60 Minuten sein Fahrzeug umparkieren.
Das mag absurd anmuten, ja. Bloss sollten wir Binnenstadtpendler möglichst vermeiden, die beispielsweise von Köniz in den Breitsch fahren. Diese Strecke lässt sich problemlos mit dem ÖV bewältigen.
Wer länger als bis um halb 1 Uhr morgens bleibt, stösst an seine Grenzen …
Mit dem Velo kommt man ebenfalls nach Hause!
Im Januar bei -10 Grad Aussentemperatur? Ansichtssache. Dafür hat Ihre Partei, Lars Guggisberg, kaum Gehör für ökologische Anliegen. Tempo 30 kommt meist nicht gut an, bauliche Massnahmen werden häufig kritisiert, Verleihsysteme wie Publibike – Pannen hin oder her – ebenso.
Ich denke nicht, dass die SVP eine unökologische Partei ist. Unsere Landwirte befassen sich tagtäglich mit ökologischen Fragen. Die Bürgerlichen sind an sinnvollen Lösungen interessiert. Nur ist es bei Tempo-30-Zonen so, dass in vielen Fällen sogar mehr Abgase produziert werden als bei Tempo 50, weil häufiger Stop-and-Go herrscht. Und im Länggass-Quartier fahren die Leute wegen der Poller doch jetzt öfters in den Strassen rum als seltener. Ich persönlich finde Mobility ein geniales System, ich stehe hinter Publibike. Es muss aber immer an die Lebensphilosophien angepasst sein, die in der Stadt und auf dem Land halt unterschiedlich sind. Auf dem Land herrschen ganz andere Distanzen, das Gewerbe muss grosse Lasten transportieren.
Von Greyerz: Einverstanden. Ihr müsst aber auch verstehen, dass wir nicht alle Autos vom Land in der Stadt haben wollen. Wenn, dann bezahlt dafür oder stellt es an der Peripherie ab. Die Stadt – ihre Strassen und Plätze – das ist unser Lebensraum. Und wir haben das Recht, uns für diesen einzusetzen.
Guggisberg: Ich verstehe, dass die Stadt Politik für die eigenen Bürger macht. Man sollte aber den Anliegen jener, die in die Stadt wollen oder müssen, ebenfalls Rechnung tragen. Viele Ländliche fühlen sich in der Stadt nicht mehr willkommen. Die Stadt profitiert vom Pendler. Gerade das neue Berner Parkingkonzept zeigt doch klar, dass man das Auto am liebsten eliminieren würde. Eine sehr egoistische Grundhaltung. Man hebt Parkmöglichkeiten auf statt sie cleverer zu positionieren. Nur am Rand abstellen reicht nicht. Ja, man soll etwas dafür zahlen müssen, doch häufig stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit. Umgekehrt geniesst die Stadtbevölkerung die Weite der Landregionen ganz unbeschwert und ohne Einschränkungen
Von Greyerz: Laut Statistik haben aber mehr als 50 Prozent der Bevölkerung gar kein Auto mehr. Wenn du, Lars, sagst: Ja, ich bin angewiesen aufs Auto, dann sage ich: Es ist auch dein Entscheid, auf dem Land zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten. Es ist dein Entscheid, mit dem Auto zu pendeln und nicht mit dem ÖV. Dann sollst du dich auch an den dafür anfallenden Kosten entsprechend beteiligen.
Guggisberg: Ganz wichtig ist, dass man einander und die gegenseitigen Probleme ernst nimmt. Wenn dies geschieht, schauen die Stadtpolitiker vermehrt auch auf die Auswirkungen ihrer Entscheide für die Region.
Das klingt alles schön und gut. Und trotzdem sind die politischen Fronten dann oftmals verhärtet.
Guggisberg: Ich pflege zu Bern eine Art Hassliebe. Ich finde die Stadt wunderschön, ging dort zur Schule und arbeite dort seit fast eh und je. Ich war kürzlich im Kunstmuseum, mir liegt YB sehr am Herzen. Andererseits gibt es Dinge, die mich nerven, wie etwa die Ausschreitungen bei der Reitschule… (von Greyerz unterbricht) Das musste ja kommen (lacht)!
Guggisberg: Es ist aber so! Und erst die egoistische Verkehrspolitik. Ich finde es ganz wichtig, dass du als Städterin, wie du das auch schon getan hast, aufs Land mitgehst: an eine Chästeilet oder an ein Schwingfest. Dort kommt man mit diesen Leuten in Kontakt. Andererseits soll der Bauer aus Signau während der Stosszeiten mal ÖV fahren.
Von Greyerz: Während meiner Schulzeit gab es noch eine Landschulwoche, um uns das Land näherzubringen. Eigentlich bräuchte es auch das Gegenteil: eine Stadtschulwoche für Kinder vom Land. Lars, ich komme gerne an eine Chästeilet, man muss sich aber bewusst sein, dass wir das alles mitfinanzieren, weil das Geld nun halt mal zu grösseren Teilen in den Zentren verdient wird. Wenn wir in den Randregionen – ich weiss, ihr hört diesen Begriff nicht gerne die Strukturen aufrechterhalten wollen, muss man in den Städten eine bestimmte Entwicklung zulassen. Etwa, was das Tram angeht.
Guggisberg: Ich schätze die Infrastruktur der Stadt, das streite ich garnicht ab. Nur: Viele vom Land arbeiten in der Stadt und leisten ebenfalls ihren Beitrag. Unsere Partei hat den Campus Biel befürwortet, andererseits stimmte Bern Ja zur Umfahrung Aarwangen. Diese Gegenseitigkeit würde ich mir häufiger wünschen.
Sind Sie und Ihre SP wirklich jene, die ihr Ohr zu wenig in Richtung Land ausrichten?
Von Greyerz: Das glaube ich nicht. Ich merke aber einfach, dass wir uns in den Städten je länger je mehr für unsere Interessen wehren müssen. Vor der Grossratssession findet jeweils ein Treffen der Stadtberner Grossrätinnen und Grossräte statt. Leider glänzen die Bürgerlichen hier mehrheitlich mit Abwesenheit. Und was die Interessen der Stadt Bern anbetrifft, setzen sich viele SVP-, teilweise auch FDP-Vertreter, nicht unisono für deren Interessen ein. Weil sie sich eher ihrer Wählerschaft verpflichtet fühlen. Deswegen erscheinen wir Linken dann vielleicht teilweise etwas übereifrig.
Der Vorwurf der Klientelpolitik geht an Sie, Herr Guggisberg.
Ich habe Verständnis dafür, dass man sich für die Anliegen der eigenen Bürger einsetzt. Die Städte haben aber eine solch grosse Macht, dass ich es verfehlt finde, wenn man es übertreibt. In der Regionalkonferenz Bern-Mittelland sind 85 Gemeinden vertreten. Über 10 davon haben eine Stimme, die Stadt Bern hat 44. Dass gewisse Gemeinden dann nicht mehr an diesen Konferenzen teilnehmen, ist doch verständlich.
Von Greyerz: Deswegen hat Alex Tschäppät früher bei solchen Abstimmungen gar nicht mitgemacht, weil er genau wusste, dass er alle bodigen könnte.
Guggisberg: Weisst du, wann er sich enthalten hat? Wenn er gemerkt hat, es reicht auch ohne mich (beide lachen). Wir kranken daran, dass wir zu wenig gemeinsam vorwärts machen möchten.
Lars Guggisberg, Sie wünschen, dass Nicola von Greyerz einmal an eine Chästeilet geht. Wann waren Sie denn das letzte Mal in der Reithalle?
Das war etwa vor einem Jahr im Rahmen einer Führung, zusammen mit SP-Grossrätin Meret Schindler übrigens. Ich finde, dort wird gute Kultur und gute Gastronomie gemacht. Die Problematik liegt aber darin, dass man einzelnen Chaoten Unterschlupf gewährt und man sich nicht gegen sie stemmt. Das Gebäude an sich ist Geschmackssache. Die kulturellen Angebote müssen geschützt werden und man muss die Polizei ihre Arbeit machen lassen. Ich habe vor rund zwei Jahren in einem Vorstoss einen unabhängigen Sicherheitsdienst vorgeschlagen. Schade ist vor allem, dass die Vorkommnisse ein schlechtes Licht auf die ganze Stadt werfen. Eigentlich müsste die Stadtregierung doch merken, dass es nicht in unserem Sinn sein kann, dass ein paar Chaoten das Image einer ganzen Stadt kaputtmachen.
Von Greyerz: Über die Institution Reithalle halte ich meine schützende Hand. Sie ist einer der ganz wenigen partizipativen Freiräume, den wir in unserer Gesellschaft noch haben. In Basel oder Zürich gibt es so etwas nicht, da wurden sie alle kommerzialisiert. Solche Räume sind sehr wichtig und wertvoll. Da werde ich fast schon bärenbeissig.
Ein partizipativer Raum, der aber immer wieder für Schlagzeilen sorgt.
Das sehe ich ein, und ja, die Polizei soll ihre Arbeit tun können. Mich macht genauso hässig, wenn sich gewisse Leute reflexartig vor die Reithalle stellen, denn dass wir ein Problem haben, ist offensichtlich. Es gilt aber einfach zu beachten, dass die Reitschule an einem städtebaulichen Unort steht.
Guggisberg: Freiräume ja, aber keine rechtsfreien Räume. Ein Freiraum verwirkt dann seine Daseinsberechtigung, wenn man es zulässt, dass mit Steinen und Eisenstangen auf Polizisten losgegangen wird.
Von Greyerz: Das Gleiche gilt aber für jene Idioten, die im Stadion Petarden zünden und vor dem Stadion rumpöbeln!
Kommen wir zum Schluss. Was nehmen Sie, Lars Guggisberg, aus diesem Gespräch mit?
Am wichtigsten scheint mir zu sein, dass die Gemeinderäte der grösseren und kleineren Ortschaften im Kanton Bern in ständigem Austausch bleiben. Wer sich lange nicht sieht, entfernt sich, vor allem mental. Ich anerkenne, dass die Stadt für den Kanton wichtig ist und dass sie sich entwickeln kann. Aber ich fordere auch, dass sie ihre Sicherheitsprobleme löst.
Von Greyerz: Wir müssen aufhören, populistische Parteipolitik zu machen. Auf beiden Seiten. Wir driften sowieso schon immer weiter auseinander. Wenn es dann im Parlament bei Abstimmungen darum geht, den Knopf zu drücken, wird dann doch häufiger für partei- statt für regional politisch entschieden. Das ist schade.
Wir können uns ja in einem Jahr wieder treffen. Welchen Ort schlagen Sie vor?
Von Greyerz: Die Dampfzentrale. Die schönste Kulturinstitution der Stadt.
Guggisberg: Ich kann einfach nicht tanzen (lacht).
Von Greyerz: Du musst auch nicht tanzen, nur schauen (beide lachen)!
Yves Schott