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«Tiere anders präsentieren – das wär schon ein cooles Ziel»

Die neue Tierparkdirektorin Friederike von Houwald über den Zoo der Zukunft, Grenzen der artgerechten Haltung und wieso Kinder mal wieder mit einer Lupe in der Hand in den Wald gehen sollten.

Friederike von Houwald, Sie arbeiten seit dem 1. September für den Tierpark Bern. Haben Sie sich gut eingelebt?
Ich hatte einen tollen Start: Ich durfte in Tierdiensten mitarbeiten, die Pflegerinnen und Pfleger sind super nett – ja, ich wurde sehr warm und herzlich aufgenommen. Und ich habe mit Bernd Schildger natürlich gewisse Bereiche vertieft angeschaut und mich eingearbeitet.

Also gefällt es Ihnen?
Absolut (lacht zufrieden)

Kennen Sie schon alle Tiere beim Namen?
Nur bestimmte Tiere haben einen. Gewisse «Persönlichkeiten» wie die Bären oder der Wisentstier beispielsweise, andere wie die Totenkopfäffchen oder Vögel nicht.

Haben Sie bereits ein Lieblingstier?
Ich finde die Moschusochsen extrem eindrücklich. Aber ein Lieblingstier an sich könnte ich Ihnen keines nennen.

Bernd Schildger war rund 25 Jahre lang Tierparkdirektor. Gehen Ihnen die ewigen Anspielungen langsam auf die Nerven?
Es sind häufig die gleichen Fragen. Ob ich zum Beispiel in seine Fussstapfen treten wolle und so. Will ich übrigens nicht, nein (lacht). Ich trage auch eine normale Schutzmaske, färbe mir die Haare nicht oder brülle auf einem Tisch rum. Das wär ziemlich affig, wenn ich versuchen würde, Bernd zu imitieren. Das waren seine Markenzeichen und ich habe andere.

Sind Sie vom Charakter her zurückhaltender? Wobei das im Vergleich mit Bernd Schildger noch schnell der Fall ist.
Ich weiss sehr genau, was ich will und habe bis jetzt fast immer erreicht, was ich wollte. Ich habe da schon so meine Methoden…

Erklären Sie uns das bitte etwas genauer.
Das gebe ich Ihnen doch hier nicht preis (lacht laut)!

Lange lautete das Motto des Tierparks: «Mehr Platz für weniger Tiere». Nun deuteten Sie in einem Interview mit der «Berner Zeitung» an, dass es bald schlicht «Mehr Platz für Tiere» heissen könnte.
Das ist in etwa die Stossrichtung. Ob wir diesen Leitsatz eins zu eins übernehmen, muss sich weisen. Wir wollen den Tieren allerdings tatsächlich viel Raum bieten, damit sie gut gehalten sind und sich wohlfühlen. Den Besucherinnen und Besuchern soll es ebenfalls wohl sein. Ich kriege manchmal zu hören: «Bei Ihnen sieht man die Tiere ja gar nicht.» Das ist spannend, ab da beginnt nämlich die individuelle Reise. Dann vergisst man die Wäsche zuhause oder was nachher zum Znacht auf den Tisch kommen soll und ist komplett mit sich und der Natur beschäftigt.

Es hat also mit der Gestaltung des Raums zu tun.
Ja. Wir können hier verschiedene Symbiosen setzen. In der Schweiz existieren zahlreiche Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind.

Stichwort Biodiversität.
Ich möchte, dass die Leute, die hierherkommen, nicht nur staunen und sich erholen, sondern wirklich verstehen, was wir – nicht nur der Tierpark, sondern wir als Gesellschaft – tun können, um das Artensterben zu stoppen. Der Tierpark soll eine Art Plattform sein, wo sich Menschen begegnen und man sich auch mal mit einem Pilz oder einem Käfer beschäftigt. Wo Geschichten aus einer ganz neuen Perspektive erzählt werden und sich der Besucher denkt: «Wow, Hammer!»

Sie wünschen sich von der Bevölkerung eine Art Empathie für die Lebewesen?
Sie können bei einem Zoo klassisch vorgehen: eine Anlage bauen, ein Tier in ein Gehege stellen und auf die Besucher warten. Oder Sie lassen die Besucherinnen und Besucher mitmachen, bieten interaktive Möglichkeiten mit den Tierpflegenden, mit dem zoopädagogischen Personal. Lebewesen anders präsentieren – das wär schon ein cooles Ziel.

Sie möchten die Tiere ausserdem näher zu den Menschen bringen und Zäune dort, wo es möglich ist, entfernen.
Vieles hat mit der Wahrnehmung zu tun. In unseren Gehegen und auch ausserhalb soll es mehr Lebensräume für weitere Tiere geben. Auf die se Weise nimmt man die Abgrenzungen weniger wahr. Klar, das Wisent oder der Wolf bleiben, wo sie sind. Sonst wirds gefährlich (lacht).

Zoos stehen häufig im Fokus von Tierschützern, ähnlich wie Zirkusse. Können Sie diese kritischen Stimmen nachvollziehen?
Ich stelle in diesem Zusammenhang immer eine Gegenfrage: Wenn es Zoos nicht gäbe, ginge es den Wildtieren besser? Wo wäre der Ort, wo wir Verständnis für sie aufbauen könnten? Kinder verbringen sowieso schon genug Zeit in der digitalen Welt. Bei Erwachsenen merke ich zudem, wie ihre Freizeit immer schneller und virtuoser sein muss. Wer geht denn heute noch mit der Lupe in einen Wald, sammelt Laub und beobachtet in einem Glas, wie das abgebaut wird? Ich wette, Kinder hätten an solchen Experimenten ihre helle Freude, wenn bloss früh genug damit angefangen würde – und nicht erst mit 14.

Der Mensch entfernt sich generell immer weiter weg von der Natur.
Richtig, sonst wäre sie kaum dermassen heftig am Abdriften. In dem Sinne ist für mich die Notwendigkeit von Zoos absolut erwiesen. Die Frage ist bloss, wie baut man sie auf, damit sie auch richtig gut sind?

Ausserhalb Europas sind die Zustände in Zoos teilweise katastrophal. 
Ein Zoo ist leider kein geschützter Begriff. Wer einen Zaun um ein wildes Tier baut und Geld dafür verlangt, dass man dieses sehen darf, kann sich Zoo nennen. Was logischerweise wenig mit Qualität zu tun hat. Was nur wenige wissen: Wir kaufen keine Tiere ein. Wir tauschen sie anhand von genetischen Populationskriterien. Sprich: Wir betreiben keinen Tier-, sondern Populationsschutz. Wir haben erst kürzlich zwei Wisente für ein Naturschutzprojekt nach Aserbaidschan geflogen. Etliche Leute meinen, viel zu wissen, ohne zu wissen, weil sie es auf Facebook ein paar Sätze darüber gelesen haben.

Dafür haben Sie hier vor Ort ja Ihre Expertinnen und Experten.
Eben. Niemandem von ihnen würde es nur im Ansatz Spass machen, ein Tier schlecht zu halten. Gleichzeitig erlauben wir als Gesellschaft sämtlichen Hundebesitzern ein Halsband, an dem wir rupfen dürfen, wenn der Hund zu schnell läuft. Überspitzt formuliert: Hunde strangulieren ist erlaubt, Qualzuchten mit Hunden, die kaum richtig atmen können, ebenso.

Trotzdem die Frage: Lassen sich Tiere in einem Zoo artgerecht halten?
Artgerecht heisst, dem Tier möglichst viele Möglichkeiten zu geben, seine natürlichen Verhaltensformen auszuleben. Manchmal stösst man an Grenzen, etwa wenn es um das Jagdverhalten geht. Wir können ja nicht einfach ein Reh in die Leopardenanlage stellen – was abgesehen davon verboten ist. Wer sich mit dem jeweiligen Tier wirklich auseinandersetzt, kommt dem, was einer artgerechten Haltung entspricht, hingegen sehr nahe. Deshalb kann ich diese Frage ruhigen Gewissens mit Ja beantworten.

Ist der Tierpark Bern ein Musterbeispiel eines mittelgrossen Zoos?
So klein ist er gar nicht, das wird manchmal unterschätzt – und zig Bereiche dürfen gratis besucht werden. Aber ja: Gerade die Anlagen an der Aare sind toll angelegt. Die Tiere dort dürfen ein richtig schönes Verhalten ausleben. Deswegen glaube ich, dass unser Tierpark ein Vorbild ist. Um zurückzukommen auf Bernd Schildger: In diese Fussstapfen trete ich gerne.

Meine Katze ist Freigänger, bringt aber Mäuse mit nach Hause. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben?
Gewisse Mausarten sind bedroht, machen indes einen wichtigen Teil der Biodiversität aus. Ich könnte jetzt ein Plädoyer für die Maus halten (lacht). Sie merken: Vieles hängt zusammen. Haustiere zum Beispiel können für Kinder wichtig sein, weil sie lernen, mit Verantwortung umzugehen. Das ist gut so. Doch es geht immer um das Wie. Nehmen Sie den Bauern: Manche Kühe geniessen auf der Alp einen prächtigen Sommer und kehren dann in einen Stall zurück, in dem das Kuhleben weniger lustig ist.

Haben Sie selbst ein Haustier?
Ja, ein Pferd. Genauer gesagt gehört es meiner Tochter.

Bernd Schildger stammt aus Frankfurt, Sie aus Krefeld. Was hat es mit Bern und deutschen Zoodirektoren auf sich?
Eine gute Frage (lacht). Ich habe mich ganz normal beworben und bin übrigens Schweizerin!

Mit Doppelpass?
Ja. Nur damit das gesagt ist (schmunzelt).

Wie lange möchten Sie bleiben?
Hoffentlich schon bis zur Pensionierung.

Yves Schott

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