«Tschäppu» als Mensch –  eine Annäherung in sieben Schritten

Über 20 Jahre Nationalrat, 16 Jahre Gemeinderat, 11 Jahre Stadtrat und vor allem 12 Jahre «Stapi»: Keine Frage, Alexander Tschäppät war ein ganz grosser Politiker und prägte wie kaum ein anderer das moderne Bern. Sein politisches Gesamtwerk ist unbestritten. Doch wie war Alexander Tschäppät eigentlich als Mensch?

«Tschäppu» – so liess er sich gerne ansprechen – war ein hervorragender Rhetoriker und konnte die Leute vorzüglich unterhalten. Doch waren seine markigen Worte manchmal auch Fassade? Zu Recht war er für viele nicht immer fassbar. Ein Draufgänger und trotzdem schüchtern? Schrill und still zugleich? Irgendwie blieb er rätselhaft. Und das soll er auch posthum unbedingt bleiben. Diese Privatsphäre hat sich der legendäre Stadtpräsident genommen und verdient. Dennoch versuchen wir auf den folgenden sechs Seiten eine Annäherung an den Menschen Alexander Tschäppät. Schritt für Schritt. Wir konnten mit seinem Bruder Philipp sprechen und zeigen sechs aussagekräftige Textpassagen der Tschäppät-Experten und -Biographen Walter Däpp und Philipp Schorri aus dem Buch «Tschäppät. Ein Name. 100 Jahre Bern».

SCHRITT 1

«Wir werden nicht alt, also lasst uns so richtig leben!»

Philipp Tschäppät ist der jüngere Bruder von Alexander. Die beiden sahen sich sehr ähnlich, so dass Philipp auf der Strasse von Passanten oft mit «Guten Tag, Herr Stadtpräsident» angesprochen wurde. Auch innerlich tickten die beiden Brüder sehr ähnlich und waren deshalb auch Freunde.

Bärnerbär: Philipp Tschäppät, mit Alexander haben Sie vor wenigen Tagen Ihren zweiten Bruder verloren. Reynold Junior verstarb 2003 ebenfalls an Krebs. Wie gehen Sie mit diesem erneuten Verlust um?
Der Hinschied von Alexander schmerzt mich unendlich und erinnert mich leider auch an den Verlust von Reynold Junior. Beide Brü- der waren für mich auch besonders wichtige Freunde. Leider war Alex’ Hinschied in den letzten Wochen absehbar. Die genetische Veranlagung für Krebsleiden ist in unserer Familie gross. Während der Verarbeitung des Todes von Reynold Junior versprachen Alexander und ich einander gegenseitig, Wünsche, Träume und Pläne – also unsere beiden «Bucket Lists» – fortan sehr tatkräftig anzugehen und umzusetzen. «Wir werden nicht alt, also lasst uns jetzt so richtig leben!» war seither unser Credo, wenn es Entscheide zu fällen galt.

Gingen Sie auch deshalb 2008 gemeinsam nach Kuba?
Ja, gemeinsame Ferien im Ausland waren in unserem Leben leider viel zu selten. Wir hatten hierfür beide schlicht zu wenig Zeit. Schliesslich hatten wir beide auch unsere eigenen Familien. Alexander pflegte einen sehr guten Kontakt zur kubanischen Botschafterin in Bern. Sie organisierte uns die gesamte Reise. Diese war auch deshalb unvergesslich, weil wir in Kuba wie Staatsgäste behandelt wurden. Wir besuchten gemeinsam das Pub Bodeguita del Medio im Herzen von Havanna und genossen die kubanischen Zigarren im Stile von Ernest Hemingway und Fidel Castro. Im Hotel gab es besonders edle Exemplare bereits zum Frühstück. Sie nicht zu rauchen, galt als überaus unhöflich. Gerne beugten wir uns als «Staatsgäste» dieser Pflicht. Wir lernten auf Kuba übrigens Roberto Blanco kennen. Was viele nicht wissen: Roberto Blanco hat kubanische Eltern.

Sie sehen Ihrem Bruder ja sehr ähnlich. Wurden Sie ab und zu auch mit ihm verwechselt?
Ja, durchaus. Ich wurde von Passanten öfters mit «Guten Tag, Herr Stadtpräsident» angesprochen. Mich belustigte dies stets. Zur Plage wurde es nie.

Ihr Bruder Alexander war als Politiker ein Leader mit viel Charisma. War er auch als Knabe bereits so?
Ja. Unter uns drei Brüdern entwickelte er sich sehr früh zum Anführer. Um mich, ich war ja der Jüngste, kümmerte sich Alex stets sehr rührend. Auch als ich längst erwachsen und als selbstständiger Unternehmer erfolgreich war, legte Alex diese Fürsorglichkeit nicht ab. Ab und zu musste ich ihm sagen, dass er es übertreibe und sich getrost anderen Aufgaben widmen könne. Dieses liebevolle Behüten mir gegenüber zeigt, dass er schon als Kind ein herzensguter Mensch war und diese Fähigkeit auch als Staatsmann in würdevoller Position nie verlernte. Auch als Reymond Junior verstarb, übernahm Alexander innerhalb der Familie bei der Verarbeitung des Verlustes sofort die Führungsrolle.

«Um mich, ich war ja der Jüngste, kümmerte sich Alex stets sehr rührend.»

Was war Alexander ausserhalb seiner Familie besonders wichtig?
Natürlich die Stadt Bern! Er liebte seine Aufgabe als Stadtpräsident sehr. Selbst wenn wir in unserem gemeinsamen Häuschen in Sugiez Ferien machten, hörte er mit seiner Arbeit eigentlich nie richtig auf. Er war dann einfach locker angezogen und genoss das Ambiente. Das Telefon hatte er aber dennoch stets in seiner Nähe. Daran hatten wir uns schnell gewöhnt. Für uns war das auch nie ein Problem. Wir waren einfach froh, dass er unter uns weilte. Obwohl er selber nie eine Sportskanone war, genoss der Sport in seinem Herzen einen ganz besonderen Stellenwert. Die Berner Young Boys beispielsweise waren ihm sehr wichtig. Er war ein grosser Fan mit gelb-schwarzem Herz. Umso trauriger war es, dass er vom Meistertitel und von der grossen Feier in der Stadt eigentlich nichts mehr erfuhr. Sein Zustand war bereits Ende April sehr schlecht. Dabei hätte er doch so gerne mitgefeiert. Der Krebs war leider gnadenlos und verunmöglichte Alexander einen wunderprächtigen Abschied von YB. Die EM 2008 und die Tour-de-France-Etappe 2016 mit Etappenankunft in Bern waren ihm ebenfalls enorm wichtig. Und er war zurecht auch stolz darauf, dass er diese Grossanlässe dank seiner unermüdlichen und charmanten Lobby-Arbeit in die Bundesstadt holte. Auch die Eishockey-WM fand während seiner Präsidialzeit einmal in Bern statt. Zudem boxten Vitali und Vladimir Klitschko in Bern. Einen solchen AAA-Ausweis in Sachen Vermarktung der Stadt mittels Sportanlässen kann in der Schweiz wohl kein anderer Stadtpräsident vorweisen.

Zuletzt lebten Sie wieder sehr nahe bei Ihrem Bruder. Auch dies ein Zeichen der grossen Verbundenheit?
Ja. In Schönberg-Ost wohnten wir eine Zeit lang sogar im gleichen Haus. Er und seine Lebenspartnerin Christine Szakacs ganz zuoberst. Ich und meine Partnerin im Parterre. Mittlerweile sind wir im benachbarten Haus ebenfalls im obersten Stock beheimatet. Wir konnten einander von unseren Terrassen aus zuwinken oder sogar miteinander sprechen, respektive schreien. Wir zückten dann jeweils schnell das Handy. Unsere Ohren waren ja auch nicht mehr die besten.

SCHRITT 2

«Es ist ein Glück, in Bern leben zu dürfen»

Das war und ist Alexander Tschäppät. Oft war er hier und dort und überall. Und manchmal, aus kritischer Distanz gesehen, vielleicht allzu oft hier und allzu oft dort und allzu oft überall. Oder vielleicht doch nicht? Zeichnete nicht gerade dies ihn auch aus? Dass er ein volksnaher Stadtpräsident war. Einer, der auf die Leute zuging. Der ihre Anliegen ernst nahm. Der Kritik einsteckte und nicht gleich wegsteckte. Der nichts dagegen hatte, dass man ihn bisweilen kumpelhaft «Tschäppu» nannte. Alexander Tschäppät war das Gegenteil eines abgehobenen und honorablen Stadtoberhaupts. Er war nahbar und für Bernerinnen und Berner deshalb oft auch sichtbar. Sei es, wenn er sein Elektrovelo Richtung Erlacherhof dirigierte («nur bei schönem Wetter», wie er sagt) oder frühmorgens im nahen Schosshaldenwald Sera und Vento, die Hunde seiner Lebenspartnerin, ausführte oder im «Rohr» Richtung Erlacherhof spazierte. Oder sei es, wenn er irgendwo seine unzähligen Repräsentationspflichten erfüllte und Bern als schönste Stadt der Welt pries–eloquent, humorvoll, charmant. Und aus innerster Überzeugung. «Bern ist einfach eine wunderschöne, lebenswerte Stadt», sagt er, mit Blick aus seinem Bürofenster: «Bern ist umgeben von Natur, von der Aare, von den Bergen. Von einem wunderschönen Naherholungsgebiet. Die Schönheit der Stadt ist aber nicht das Verdienst unserer Generation. Unsere Vorfahren haben zur Stadt Sorge getragen. In Bern ist viel Altes erhalten und viel Gutes neu geschaffen worden–abgesehen von baulichen Sündenfällen, die ich nicht verschweigen will. Was wir hier haben, ist aber einmalig, unermesslich reich. Und ja: Das Wesen der Bernerinnen und Berner gefällt mir. Wir sind weniger gehetzt und gestresst als etwa die Zürcher. Auch das ist Lebensqualität. Und: Das Kulturangebot dieser Stadt ist unglaublich vielfältig–viel grösser als das Kulturangebot Tausender ähnlich grosser Städte. Es ist ein Glück, in Bern leben zu dürfen.»

SCHRITT 3

«Ich bin Alex, nicht nur der Sohn von Reynold»

Für Alexander Tschäppät war es im Übrigen nicht nur einfach, der Sohn des populären Vaters Reynold Tschäppät zu sein. So, wie es nun für seine beiden erwachsenen Söhne Christoph und Fabian nicht immer einfach ist, seine Söhne zu sein. Der klingende Name Tschäppät, der in Bern zur Marke geworden ist, hat ihm den Einstieg in die Politik allerdings erleichtert. Aber nicht nur. «Mit dem Namen Tschäppät, zugegeben, kam ich schneller weiter, als wenn ich Müller oder Meier hiesse», sagt er. Doch umso schwieriger war es im politischen Alltag dann für ihn, aus dem langen Schatten des Vaters zu treten: «Ich hörte immer wieder, mein ‹père› sei halt noch ein anderes Kaliber gewesen als ich. Doch inzwischen haben hoffentlich alle gemerkt, dass ich Alexander Tschäppät bin–nicht nur der Sohn von Reynold.» An seinen Vater hat er übrigens beste Erinnerungen: «Er war super –aber machte mit seinen Kindern den gleichen Fehler, den ich später mit meinen Kindern machte: Er nahm sich zu wenig Zeit für uns. Er verausgabte sich für seinen Job. Als Mensch und Politiker hatte er aber Charisma. Er war alles andere als ein Materialist. Er war überzeugt von dem, was er tat. Er liebte die Stadt Bern. Und wenn man mir nun bisweilen vorwirft, ich sei vor allem ein guter Selbstdarsteller: Da war mein Vater viel besser als ich. Er war ein begnadeter Vermarkter der Stadt, hatte ein Gespür für die Anliegen, Wünsche und Hoffnungen der Leute. Er zelebrierte seine Auftritte, umgab sich mit adretten Stadthostessen, Alphornbläsern und Trachtemeitschi. Mir hätte das nicht entsprochen. Wer ihn aber wirklich kannte, der wusste: In seinem Innersten war er eher ein unsicherer Mensch–wie ich. Man hatte ihn gern oder man lehnte ihn ab–wie mich.

SCHRITT 4

«Als Stapi muss ich mein Leben dem Amt unterordnen»

Alexander Tschäppät hat das Amt des Stadtpräsidenten nicht nur ausgeübt, sondern verinnerlicht. Es ist für ihn kein Beruf, sondern eine Berufung gewesen. Er hat Bern verkörpert. Mit Liebe und Hingabe. Vorbehaltlos. Der Auszug aus seinem schmucken Büro im Erlacherhof («um vielleicht ein bisschen neue Lebensqualität zu gewinnen») bedeutet für ihn deshalb nicht nur den Abschluss einer Episode in seinem Lebenslauf. Es ist dies auch ein emotionaler Abschied.
«Der Preis für dieses schöne Büro war allerdings hoch», sagt er, «die Erwartungen und die Anforderungen an einen Stadtpräsidenten sind gross. Er muss ständig präsent sein, führen, reden, entscheiden. Er muss immer erreichbar und verfügbar sein, sein Leben dem Amt unterordnen. Er wird manchmal mehrmals täglich von irgendwem eingeladen–könnte sich, wenn er wollte, fremdernähren. Er wird auch immer wieder kritisiert und nur hie und da gelobt. In den Gassen wird er ständig angesprochen. Er ist rund um die Uhr Stadtpräsident, auch in der Freizeit und in den Ferien. Das ist anstrengend. Und zehrt.»
Doch gewiss: Das Stadtpräsidentendasein habe auch seine schönen Seiten. «In der lokalen Politik kann man etwas verändern–und man sieht und spürt es», sagt er, «auf nationaler Ebene kann man auch etwas verändern, aber man merkt es nicht, weil alles viel länger geht. Das Wasserspiel auf dem Bundesplatz oder der Baldachin auf dem Bahnhofplatz: das sind solch sichtbare und erlebbare Veränderungen der Stadt, die in meinem Büro entstanden sind.».
Als besonders schöne Seite des Stadtpräsidentenseins nennt Tschäppät, eben, auch den Arbeitsplatz, sein Büro im Erlacherhof an der Junkerngasse, in allerschönster Lage in der Berner Altstadt. «Als Stadtpräsident von Bern musste ich nicht von der Lebensqualität dieser Stadt plagieren», sagt er, «ich konnte sie zeigen. Und wer in Bern lebt, erlebt sie. Tag für Tag.»

SCHRITT 5

«Da vermisse ich oft die Achtung»

Klar: Die Kritik an ihm sei nicht immer ungerechtfertigt gewesen. Auch er habe Fehler gemacht. Und wer sich als Politiker exponiere, müsse Kritik einstecken können–auch wenn sie ärgerlich sei. Wirklich getroffen werde er von Kritik, die er als ungerecht empfinde: «Wenn mich eine Zeitung nach einem Italienerwitz fast kampagnenartig als Rassist hinstellt, dann blendet sie doch mein gesamtes Leben aus. Nur schon ein Blick in Nationalratsprotokolle hätte ausgereicht, um das Gegenteil zu erkennen.» Doch in einer Zeit, da für viele Medien nur noch «bad news» gute News seien, neigten Journalisten eben oft zu derartigen Verunglimpfungen. «Da fühlt man sich ohnmächtig», sagt Tschäppät, «da vermisse ich oft auch eine Achtung. Wenn man mir zum Beispiel ‹Cüpli-Sozialist› nachsagt, frage ich: Wer hat mich in den vergangenen zehn Jahren nach 22 Uhr in einer Bar gesehen ? Kaum jemand. Ich gehe nach der Arbeit nach Hause, weil ich müde bin. Wenn man das Image eines Lebemannes aber einmal hat, ist es schwierig, es wieder loszuwerden.» Doch: «Auch ein Stadtpräsident hat ein Recht auf eine Privatsphäre. Dieses Recht wird einem in der heutigen Medienwelt kaum noch zugestanden. Es fehlt der Respekt. Das war zur Zeit, als mein Vater Stadtpräsident war, noch anders.»

SCHRITT 6

Kashoggi inhaftiert – und von ihm später Geburtstagskarten erhalten

«‹Mit guten Beziehungen kann man alles erreichen.› Das war immer Adnan Kashoggis Credo. Untersuchungsrichter Alexander Tschäppät aus Bern hat diesen Glaubenssatz vergangene Woche aufs heftigste erschüttert.»
So begann der Artikel des «Spiegel» vom 24. April 1989 über den damals prominentesten Häftling der Schweiz, Adnan Kashoggi. Der Saudi galt in den 1980er-Jahren als einer der weltweit reichsten Männer, zehn Milliarden Dollar soll er besessen haben, bekannt war er wegen seines flamboyanten Lebensstils, eines «Remake von Tausendundeine Nacht», wie die «Vanity Fair» schrieb: drei Privatflugzeuge, grosszügige Villen, Waffenhandel und parfümierte Prostituierte, die ihn «papa-gâteau» nannten.
Er glaubte, mit Frischzellen seinen Alterungsprozess drosseln zu können. «Kashoggi kam für Frischzellen», witzelte man in Bern nach dessen Verhaftung, «erhielt jedoch eine frische Zelle». Diese war klein, neun Quadratmeter. Untersuchungsrichter Tschäppät hatte den Auftrag, Kashoggi zu betreuen–bis dieser nach gut 100 Tagen an die USA ausgeliefert wurde.
«Kashoggi hat in der Neun-Quadratmeter-Zelle weniger gelitten, als man vielleicht denken könnte. Manchmal hatte ich den Eindruck, er genoss die Verschnaufpause von all dem Getue rund um seine Person sogar.» Was sicher ist: Die Kashoggis entwickelten eine Verbundenheit mit Tschäppät.
Noch Jahre später habe Kashoggi ihm jeweils zum Geburtstag gratuliert –Tschäppät sagts, erhebt sich von seinem Bürosessel und zieht einen Ordner voll mit Briefen und Zeitungsartikeln aus dem Regal. Die Kashoggi-Geschichte hat Tschäppät im Gegensatz zu seinem restlichen Leben fast schon systematisch archiviert. Es ist eine Geschichte, die er gern erzählt.

SCHRITT 7

Orange Fans, ein Maillot Jaune und Boxhandschuhe für den Weltklassevermarkter

Alexander Tschäppät befreite den Bundesplatz von parkierten Autos und bestückte ihn mit Gneis und Wasserfontänen. Ein Denkmal setzte er sich jedoch eher mit der Vermarktung der Stadt:
2008 war in Bern die Fussball-EM zu Gast, 2009 die Eishockey-WM, 2011 die Eiskunstlauf-EM und der Davis-Cup ; 2009 und 2012 boxte Vitali Klitschko in der Bundesstadt. Nach dem ersten Kampf in Bern schenkte Klitschko dem Stadtpräsidenten seine Boxhandschuhe und ein Gemälde, auf dessen Rückseite steht: «Das ist einladung Karte für Reise nach Ukraine an Alexander Tschaeppaet von Vitali Klitschko.» Davon besitze er noch mehr, sagt Tschäppät und holt eine bekritzelte Tischkarte hervor. Michelle Hunziker habe sie ihm geschenkt. «Für den simpatischsten Stapi der Welt», steht darauf.
Ende 2015 wurde klar, dass die Tour de France im Juli 2016 in Bern Halt macht: Etappenankunft, Ruhetag und Etappenstart. Drei Tage Bern. Der «NZZ» sagte Tschäppät: «Gute Sachen wie diese entstehen nicht, wenn man das Pflichtenheft befolgt.

«Gute Sachen entstehen nicht, wenn man das Pflichtenheft befolgt. Man muss mit den Leuten zusammensitzen.»

Sachen wie diese entstehen, wenn man mit den Leuten zusammensitzt und ihnen zeigt, dass man mit dem Herzen dabei ist.» Die Route hatte sich ihm lange vor dem Tourauftakt eingebrannt: Eigerplatz, Monbijoubrücke, Helvetiaplatz, Mattequartier, Nydeggstalden, Nydeggbrücke, Aargauerstalden. «Er bewegt die Hände vor sich wie ein Skifahrer, der vor dem Start die Strecke imaginiert», schrieb die «NZZ», «nach links, nach rechts, er sagt ‹enge Kurve›, ‹weite Kurve›, er bewegt die Hände und nennt die Schlüsselstellen, als kämen sie direkt aus seinem Herzen.»
Selbst «Der Bund» applaudierte. Nach Jahren des Bashings –andere sprechen von kritischer Distanz–war die Zeitung des Lobes voll: Während dreier Tage werde Bern im weltweiten Rampenlicht stehen. Ob bei YB-Wurst oder Rindsfilet: Tschäppät sei ein virtuoser Netzwerker. «Das ist viel mehr wert als eine hohe Sitzungspräsenz im Nationalrat.» Auf einmal wurden selbst seine Absenzen im Nationalrat zur Nebensache erklärt. Seine Nachfolge, so der «Bund» weiter, werde ihm punkto Lobbying kaum das Wasser reichen können. «In dieser Disziplin gehört Tschäppät das Maillot jaune.»

So trauern Prominente: «Alex, du fehlst uns!»

«Alex Tschäppät hatte das Gute im Menschen verinnerlicht. Er hat die Stadt Bern geprägt und ihr einen neuen ‹Look› und ein neues beachtetes Image verpasst: Offen, sozial, sportlich, kulturell und fortschrittlich. In eine Stadt mit dem Label des Weltkulturerbes! Er hat sich völlig identifiziert mit Aufgabe und Führung und mit dem Auftrag als Stadtpräsident.Alex Tschäppät war ein begnadeter Kommunikator mit manchmal spontan bissigen Äusserungen. Aber nicht gegenüber denjenigen, die er mochte. Dazu gehörte auch ich und unsere Chemie funktionierte positiv über die Parteigrenzen hinweg. Alex Tschäppät lebte und arbeitete nach dem Prinzip der 4 M: Man muss Menschen mögen, die es verdient haben. Alex Tschäppät bleibt in unseren Herzen unvergessen wach.»

Adolf Ogi, Alt-Bundesrat

«Alex, du hast Bern geliebt und du hast den Sport geliebt. Am Anfang unserer Zeit hatten wir keinen besonders guten Draht zueinander. Aber mit der Zeit haben wir uns sehr schätzen gelernt. Auch wenn Dein Herz mehr für die gelb-schwarzen Young Boys geschlagen hat, hast Du für unsere Anliegen immer ein offenes Ohr gehabt und uns nach Möglichkeiten unterstützt. Dafür ein letztes grosses Dankeschön! Alex, «mach’s guet» und bleib auch da oben wie du bist. Einzigartig!»

Marc Lüthi, CEO SCB

«Nume nid gschprängt. Eigentlich ist doch alles in Ordnung zBärn – ausser, dass YB nie Meister wurde in seiner Amtszeit, das regte Alex dann schon auf. Aber abgesehen davon wendete Alex immer alles zum Positiven. Darum konnte er zu viel Gstürm nicht ertragen. Zum Beispiel dasjenige um die Reitschule. Sollen es doch andere besser machen. Aber schliesslich war doch immer sein Rat gefragt – auch noch nach seiner Amtszeit, dann halt als ‹Angelegenheit›. Alex’ Rat wird Bern fehlen.»

Ursula Wyss, Gemeinderätin

«Mit grosser Bestürzung haben wir vom Tod von Alexander Tschäppät erfahren. Während der Europameisterschaft 2008 lernten wir Herrn Tschäppät als grossartigen Stadtpräsidenten und perfekten Gastgeber kennen. Er tat alles in seiner Macht Stehende, dass Bern für die holländische Nationalmannschaft, Staff, Offiziellen und für die Fans zu einem zweiten Zuhause wird. Wir teilen die Sorgen und die tiefe Trauer mit seiner Familie, seinen Freunden und allen, die sich von ihm inspirieren liessen. Vonseiten des königlich-holländischen Fussballverbands kondolieren wir aufrichtig.»

Gijs de Jong, Generalsekretär holländischer Fussballverband

«Ohne Alex gäbe es die völkerverbindenden russischen Bären Misha und Masha nicht in Bern. Von der Idee bis zur Eröffnung agierte er verblüffend unkonventionell und undogmatisch, Starrsinnigkeit war ihm fremd. Auch den Bä- renpark unterstützte er voll. Er wird der sandgestrahlten, auf Risikominimierung fixierten Politik fehlen.»

Bernd Schildger, Tierpark-Direktor

«Ich habe ihn mehrmals in der Sendung ‹Sonntalk› bei Markus Gilli getroffen. Wir haben vor und nach der Sendung vor allem gelacht, uns Geschichten erzählt. Lustigerweise habe ich ihn nie als Politiker empfunden. Obschon er ein wichtiges Amt bekleidete, kam er mir oft vor wie ein unbelastetes Kind, das einfach Freude am Leben hat. Man musste ihn gern haben.»

Peter Rothenbühler, Journalist und Publizist

«Bevor Alex Nationalrat und Stadtpräsident wurde, war er Untersuchungsrichter. Als solchen habe ich ihn vor bald 30 Jahren für die PUK angestellt. Mit vollem Einsatz hat er sich für die Fichenopfer eingesetzt und zur einstimmigen Verabschiedung des Berichtes beigetragen.»

Moritz Leuenberger, Alt-Bundesrat

«Natürlich war auch ich immer beeindruckt, wie spontan, witzig, kreativ und offen Alex Tschäppät auftrat. Er hatte nie eine versteckte Agenda, man spürte ihn immer sofort, total ja oder geht gar nicht. Auf Alex war Verlass, mit ihm konnte man nicht nur über Ideen reden, sondern sie dann mit ihm auch umsetzen und gemeinsam etwas Handfestes bauen. Es gab aber auch den leisen Alex, den scheuen gar. Diesen entdeckte nur, wer länger mit ihm zusammensein konnte. Das war selten, zu dicht war sein Fahrplan. Doch diese stillen Momente waren wertvoller als die lauten. Und wieder ist ein lieber Freund gegangen. Alex, du fehlst uns!»

Thomas Binggeli, Velo-Unternhemer

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