Slide Moritz Burger 8376

«Viele Flächen sind unnötig versiegelt»

Bäume gibt es in Bern viele. Stadtklima-Experte Moritz Burger hingegen träumt von «grünen Bändern». Zudem erklärt der 29-Jährige, wie die Aare als natürliche Klimaanlage funktioniert.

Moritz Burger, mögen Sie eigentlich die momentane Hitze?
(lacht) Nicht wirklich. Ich mag Sommertage bis etwa 28 Grad. Ich wurde im Dezember geboren – wenn ich auswählen könnte, ob immer Sommer oder immer Winter, würde ich wohl zum Winter tendieren. Wenn es so heiss ist wie jetzt, plange ich gar darauf, dass es bald etwas kühler wird.

Sie wohnen im Breitsch. Ist das hitzetechnisch eher gut oder schlecht?
Eher schlecht. Der Breitenrain ist zwar nicht ganz so heiss wie die Altstadt, aber trotzdem sehr warm. Das hat mit seiner Topografie zu tun. Ausserdem habe ich bis letzten Samstag noch im obersten Stock eines Mehrfamilienhauses gewohnt und war deshalb in der Wohnung der Hitze noch zusätzlich ausgesetzt.

Die neue Wohnung liegt nun …?
… im Parterre. Zum Glück! (lacht)

Wie und wo wird eine Temperatur eigentlich korrekt gemessen?
Für offizielle Messungen existiert eine vordefinierte Norm der Weltorganisation für Meteorologie WMO: Die Sensoren müssen sich zwei Meter über dem Boden sowie im Schatten befinden. Ebenfalls wichtig: Die Geräte dürfen nicht von Störfaktoren wie Bäumen oder Häusern beeinträchtigt werden. Deshalb werden die Sensoren fast immer ausserhalb der Städte platziert. Jene von Bern beispielsweise in Zollikofen.

Nun ist Zollikofen nicht der Bärenplatz.
Genau. Um mehr über das städtische Klima herauszufinden, haben wir 2018 ein Netz von eigens konstruierten Messstationen errichtet. Zu Beginn haben wir unsere Sensoren in der Nähe der offiziellen Stationen aufgestellt, um in Erfahrung zu bringen, wie exakt unsere Geräte sind. In der Nacht war die Abweichung minimal, bei maximal 0,2 Grad. Am Tag lag sie höher, was mit der Sonneneinstrahlung zu tun hat – zudem werden professionelle Stationen belüftet. Infolgedessen konzentrieren wir uns in unserer Forschung auf die Nachtwerte. Während dieser Zeit ist auch der Effekt der Stadthitze ausgeprägter. Dann ist das Zentrum deutlich wärmer als das Umland.

Wo ist es in Bern nachts nun am heissesten?
Am Bubenbergplatz und in der Gerechtigkeitsgasse. Der Bubenbergplatz ist fast durchwegs versiegelt, die Altstadt wird wegen ihrer Bauweise kaum durchlüftet.

Und wo ist es am kühlsten?
In Oberbottigen – unser Kältepool. (schmunzelt) Die Station befindet sich bei einem Bauern auf dem Feld in einer leichten Muldenlage. Kaum geht die Sonne unter, sinkt die Temperatur schnell einmal um zehn Grad. Es gibt Situationen, da misst der Sensor in Oberbottigen kühle 20 Grad, während in der Gerechtigkeitsgasse gleichzeitig noch 30 Grad aufgezeichnet werden.

Welchen Kühlungseffekt bringt die Aare mit sich?
Am Tag kühlt sie praktisch immer, in der Nacht ist der Effekt weniger klar. Wenn die Aare wie letzte Woche beinahe 24 Grad warm ist, kühlt sie zwar noch tagsüber, nachts gibt sie hingegen sogar Wärme ab. Die Temperatur der Aare ist für die nahen Messstationen entscheidend. Besonders gut zu beobachten war der Kühleffekt zum Beispiel während der Hitzewelle im Juni 2019: Damals betrug die Aaretemperatur bloss etwa 15 Grad – die nahegelegenen Messstationen und Quartiere profitierten stark von dieser natürlichen Klimaanlage.

Was ist mit dem Egelsee?
2019 legten wir dort zusätzlich zur fix installierten Messstation weitere an, um herauszufinden, inwiefern sich der «Muldeneffekt» bemerkbar macht. Das Resultat: Die Mulde, in der sich der Egelsee befindet, war über den ganzen Sommer gesehen im Schnitt rund 1,5 Grad kühler. Gleichzeitig war der Effekt räumlich eng begrenzt, da in der Nähe parallel gebaute Häuser stehen. Die erste Häuserzeile kann wahrscheinlich gerade noch von kühlerer Luft profitieren. Würde Bern neu geplant werden, wäre das definitiv ein Ort, bei dem ich mich fragen würde: Wie lässt sich die Egelsee-Mulde so nützen, damit die kühle Luft, die dort produziert wird, möglichst gut ins Quartier reintransportiert werden kann?

Wie kann man eine Stadt generell kühlen?
Mein Favorit ist die Begrünung. Mir fällt auf, wie viele Flächen in Bern unnötigerweise versiegelt sind. Klar, Versiegelungen braucht es, etwa, um behindertengerechte Wege zu schaffen – andere sind hingegen unnötig versiegelt.

Zum Beispiel?
Die Mittelstrasse in der Länggasse wurde zwar redimensioniert – die asphaltierte Fläche scheint mir aber nach wie vor relativ gross. Dort würde ein sogenanntes grünes Band viel Nutzen bringen.

Was meinen Sie mit einem grünen Band?
Die einzelnen Bäume, die dort stehen, könnten mit wilden Sträuchern quasi verbunden werden – das Resultat wäre eine Art grünes Chaos. Ich hielt mich bis vor kurzem einige Monate in Berlin auf, dort sieht man solche grünen Bänder häufiger.

In der Altstadt existiert kein solcher Raum, um grüne Oasen zu schaffen.
Dort würde sich eine Fassadenbegrünung anbieten. Eine sehr effektive, wenn nicht ganz günstige Methode. Zudem dürfte hier der Denkmalschutz ein Wörtchen mitreden wollen.

Was ist mit Wasser? Zürich hat eine künstliche Wolke erschaffen.
Grundsätzlich keine schlechte Idee. Stichwort: Verdunstungskühle. Andererseits lässt sich ein solches Projekt wohl kaum in der ganzen Stadt umsetzen. Das grösstmögliche Kühlungspotenzial bieten aus meiner Sicht die Begrünung und das Entsiegeln von Strassen und Plätzen.

Hat Bern in Bezug auf Nachttemperaturen gegenüber anderen Städten einen Vorteil?
Schwierig zu sagen. In Berlin ist die Zahl an wilden Grünflächen relativ hoch, unter fast jedem Baum herrscht ein grünes Chaos. Vielleicht fehlt dort das Geld, um jeden einzelnen Löwenzahn abzuschneiden. (schmunzelt) Doch ganz ernsthaft würde ich mir solche Schritte auch für die Schweiz wünschen: Stadtklima und Biodiversität profitieren gleichermassen. Hier werden Bäume leider oft durch Baumringe eingepfercht. Bern und viele Schweizer Städte profitieren hingegen von der etwas komplexeren Topografie …durch die stadtnahen Hügel entsteht Kaltluft. Auch darauf sollte, vor allem bei Neubauten, geachtet werden.

Eine weitere Kühlungsmöglichkeit sind optische Massnahmen. In Bern wurden in der Rathausgasse Pflastersteine aufgehellt.
Wärmebildkameras zeigten einen Kühleffekt der Oberflächentemperatur zwischen zwei und vier Grad. Die Messungen der Lufttemperatur waren hingegen kaum aussagekräftig, da dort, wo die Messstation montiert war, im Jahr darauf ein Haus fehlte. Aber es stimmt: Helle Flächen nehmen weniger Energie auf – und die Feuchtigkeit kann von Pflastersteinen etwas länger gehalten werden als von Asphalt, da diese nicht komplett versiegelt sind.

Führt die Klimaerwärmung aus Ihrer Sicht dazu, dass in den nächsten Jahren eine Stadtflucht einsetzt?
Das ist möglich. Allerdings wissen wir nicht, ob die Erwärmung in der Stadt und auf dem Land linear stattfindet oder ob sich eine Region stärker erwärmt. Natürlich muss in erster Linie der globale Klimawandel gestoppt werden. Die Stadt kann insofern einen Beitrag leisten, indem sie die Altstadt so gestaltet, dass man dort 2080 weiterhin ohne Klimaanlage leben kann.

Sie selber haben kein Kühlgerät im Zimmer?
Ich habe während der Hitzewelle 2019 einen Ventilator gekauft, ihn dieses Jahr allerdings noch nie benutzt, da er bis vor kurzem in den Zügelkisten gesteckt hat. (lacht)

Ihr ultimativer Tipp, um bei Hitze gut einschlafen zu können?
Vor dem Zubettgehen kurz unter die kalte Dusche stehen. Das hilft immer.

Yves Schott

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