Kommt es in Bern nun zu einer Flut von Grossbauten? Und was kosten Hochhäuser überhaupt? Architektin Andrea Schemmel beantwortet im Bärnerbär die wichtigsten Fragen.
Bern ist im Vergleich zu anderen Städten keine Stadt mit bedeutenden Hochhäusern. Wieso?
Es gibt in Bern durchaus eine Hochhaustradition, insbesondere mit den Wohnhochhäusern im Westen der Stadt, die meist aus den 60er Jahren stammen. Im Vergleich zu Zürich oder Basel stehen aber weniger Hochhäuser, das stimmt schon. Das liegt daran, dass es in Bern weniger Gebiete gibt, die sich für grosse Transformationen eignen. In Bern existieren viele gewachsene kleinteilige Quartiere. Wenn Sie da ein Hochhaus hineinsetzen, ist das Quartier «kaputt».
Sind Hochhäuser aus Ihrer Sicht denn überhaupt schön?
Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Bei jeder Bautypologie – ob Hochhaus, Schulbau, Mehrfamilienhaus oder Einfamilienhaus – finden sich gute und schlechte Beispiele. Wann ist ein Gebäude gut? Wenn es mit seiner Umgebung in Beziehung tritt, zum Beispiel mit öffentlichen Erdgeschossnutzungen und Wegevernetzung, weil es genau für diesen Ort entworfen wurde und woanders kaum wiederholbar ist, zum Beispiel indem es mit der bestehenden Topographie spielt und sich einbettet; wenn es den Menschen, für die es gedacht ist, Möglichkeiten zur Aneignung bietet.
In Gümligen und Ostermundigen sind zwei Hochhäuser in Planung, seit Neuestem nun jene in Ausserholligen. Ist das der Startschuss für weitere Grossbauten?
Das kann gut sein. Jedenfalls erhalten wir seit rund zwei Jahren deutlich mehr Anfragen von Gemeinden, die sich von unserem Expertenteam gerne begleiten lassen möchten. Begriffe wie «Bernhattan» halte ich aber für weit übertrieben.
Hochhäuser liegen also im Trend. Hauptsächlich, weil nicht immer mehr Land überbaut werden soll?
Das glaube ich schon, ja. Hochhäuser sind aber nicht das Zaubermittel, um Zersiedlung zu verhindern. Die bauliche Dichte im Tscharnergut, also das Verhältnis zwischen Geschossfläche und Landfläche, ist kleiner als auf einer gleich grossen Fläche in der Länggasse. Dasselbe gilt für die Personendichte.
Das müssen Sie genauer erklären.
Wer weniger Zersiedlung möchte, muss an zentralen Orten mehr Menschen auf der gleichen Fläche unterbringen. Hochhäuser haben Schattenwurf, deswegen braucht es Abstand. Man kann also gar nicht so viel Fläche überbauen. Hochhauswohnungen werden zudem häufig für vermögende Zielgruppen gebaut, eine Loftwohnung mit 150 Quadratmetern für eine Person ist aber nicht wirklich flächensparend.
Also führen Hochhäuser nicht generell zu einer Verdichtung?
Nicht prinzipiell, nein.
Was halten Sie von den geplanten Hochhäusern in Ausserholligen?
Ich finde sie gut. Ausserholligen ist so ein Gebiet, dass transformiert werden muss. Im Moment ist dieser Teil von Bern durch Infrastrukturbauten von seinen Nachbargebieten abgeschnitten und hat keine eigene Identität. Hier ist Städtebau gefragt. Der Campus der Fachhochschule, die Entwicklung Weyermannshaus West und das EWB-Areal mit den drei Hochhäusern können hier ein tolles neues Stadtquartier erschaffen. Vorausgesetzt es gelingt, die Gebiete zu einem Ganzen zusammenzubinden, nicht zuletzt mit guten Aussenräumen, Durchwegung und öffentlichen Nutzungen an den richtigen Orten.
Der Bau soll 110 Meter hoch werden, zehn Meter höher also das Münster also. In den letzten Tagen war nun oft die Rede davon, dass damit eine rote Linie überschritten werde.
Ich weiss nicht, woher dieser Begriff der roten Linie stammt. In unserem Hochhauskonzept steht bloss, man müsse solche Fälle einzeln prüfen. Häufig besteht seitens der Investoren kein Interesse daran, dass die Gebäude so riesig werden, weil das eine teure Sache ist.
Konkret?
Die Landkosten pro Quadratmeter umbauter Raum sinken im Verhältnis zur Höhe des Gebäudes. Die Baukosten an sich steigen aber mit grösserer Höhe. Tragwerk, Haustechnik, Fassadenkonstruktion und Brandschutzauflagen machen Hochhäuser teuer. Finanziell lohnen sich deshalb vor allem Hochhäuser zwischen 50 und 80 Metern wie der Bächtelen-Turm oder das Hochhaus in Gümligen. Alles, was drüber geht wie etwa der Roche Turm in Basel mit 178 Metern, ist eine Frage des Prestiges.
Lässt sich in etwa beziffern, wie viel ein Hochhaus kostet?
Die Kosten für den 100 Meter hohen Bärentower in Ostermundigen lassen sich mit rund 150 Millionen Franken beziffern. Das gesamte Bächtelen-Areal in Wabern mit 53 Meter hohem Hochhaus und den anderen vier Baukörpern hat insgesamt zirka 100 Millionen Franken gekostet. Der Roche-Turm in Basel kostete 550 Millionen Franken.
Werden wir irgendwann so weit nach oben bauen, dass wir auf den Gurten runterschauen können?
Das glaube ich kaum. (lacht) Die Lebensqualität einer Stadt hängt ja nicht zuletzt von ihren Wahrzeichen ab. Für mehrere Burj Khalifas direkt neben dem Gurten würden sich wohl kaum Mehrheiten finden.
Sind Hochhäuser eigentlich ein Thema für Flughäfen, wie in Bern zum Beispiel das Belpmoos?
Ja. Deswegen blinken zuoberst auch immer diese roten Lichter. Alles, was über 60 Meter hoch ist und in der Nähe eines Airports steht, kann theoretisch ein Luftfahrthindernis bedeuten. Solche Bauten müssen deswegen vom Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL bewilligt werden.
Designen Sie selbst noch Hochhäuser?
Nicht mehr, im Studium habe ich mal ein Hochhaus als Teil eines Städtebauprojekts entworfen. Mittlerweile bin ich vor allem in der Raumplanung tätig. Ich berate Gemeinden, die Fragen haben, wie sie ein Innenentwicklungsprojekt angehen sollen. Zum Beispiel, wie sich Eigentümer und Bevölkerung für gute Innenentwicklung begeistern lassen.
Wie wohnen Sie persönlich?
Ich bin ein Stadtkind. Wir wohnen in einer 3,5-Zimmerwohnung in einem Gründerzeit-Mehrfamilienhaus aus dem Jahr 1920. Mir gefallen die hohen Decken und dass der ÖV so gut ist, dass ich kein Auto brauche. Die Schule meines Sohnes befindet sich praktisch neben der Haustür.
Yves Schott