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«Vor allem Familien haben Mühe, eine Wohnung zu finden»

Welches ist die beliebteste Wohnform? Und wo ist die Wohnungsnot besonders heftig? Natalie Imboden vom Berner Mieterverband gibt Auskunft.

Wie schwierig ist es derzeit, in Bern eine Wohnung zu finden? Für jemanden mit einem normalen Budget: relativ schwierig. Die Leerwohnziffer in Bern ist sehr tief und bedeutet in dem Sinne Wohnungsnot. Und es hat zu wenig bezahlbare Wohnungen.

Konkret?
Gerade 4-Zimmer-Wohnungen in der Stadt Bern sind rar. Viele Familien ziehen dann in die Agglomeration, obwohl sie gar nicht möchten. Dadurch steigt jedoch der Pendlerverkehr. Oder man nimmt eine Wohnung, die nicht unbedingt kinderfreundlich ist oder an einer lauten Strasse steht. Wer schon länger in Bern wohnt, hat es dabei deutlich einfacher, eine Unterkunft zu finden als andere, da viele Objekte unter der Hand vergeben werden.

Was bedeutet denn «normales Budget»?
Leute mit Haushaltseinkommen zwischen 4000 bis 8000 Franken im Monat wenden laut schweizerischem Durchschnitt etwa 20 bis 24 Prozent ihres Lohnes für die Miete auf. In der Stadt Bern beträgt das Haushaltseinkommen 5500 Franken im Monat, da liegen keine teuren Wohnungen von 3000 Franken im Monat drin.

In welchen Quartieren ist die Wohnungsnot besonders heftig?
In der Innenstadt sowie in Quartieren, die zentrumsnah sind. Namentlich etwa in der Länggasse und im Breitsch.

Wie viele Wohnungen besitzt die öffentliche Hand?
In der Stadt gibt es total etwa 77000 Wohnungen, die vermietet werden. Die Stadt selbst hält etwa 2000 Wohnungen, sprich: 2,5 Prozent. Ein Teil dieser 2000 Wohnungen sind allerdings für Menschen mit tieferen Einkommen vorgesehen. Wohnbaugenossenschaften halten etwa 10 Prozent am gesamten Bestand, diese Objekte sind im Schnitt 15 bis 20 Prozent günstiger. Der grösste Teil der Immobilien bewegt sich hingegen im freien Markt.

Sind die Mieten in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Teuerung?
Ja, deutlich! Gemäss dem Mietpreisindex der Stadt Bern sind die Mieten seit 2003 um 19 Prozent gestiegen. Die Löhne andererseits bloss um 5 Prozent. Die Menschen haben pro Monat also weniger im Portemonnaie als damals.

Was lässt sich dagegen tun?
Die Antwort ist relativ simpel: Es braucht mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. Weil die Mieten wie gesagt 15 bis 20 Prozent günstiger sind als auf dem sogenannt freien Markt.

Welche Wohnungen bräuchte es am dringendsten?
Am gesündesten ist ein guter Mix. Tendenziell haben aber vor allem Familien Mühe, etwas zu finden, womit wir bei den 4- oder 4,5-Zimmer-Wohnungen sind. Der grösste Teil der Bernerinnen und Berner, konkret 44 Prozent, lebt jedoch alleine.

Wie viel Platz bewohnt eine Person in Bern im Durchschnitt?
Der Bedarf ist deutlich gestiegen, was mit veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen zu tun hat. Dieser Trend lässt sich nicht wegdiskutieren, bloss darf dieser Bedarf nicht mehr ewig weiter so ansteigen. In mehr als der Hälfte der Wohnungen mit vier oder mehr Zimmern leben nur eine oder zwei Personen.

Wie alt sind denn eigentlich die Berner Liegenschaften?
80 Prozent der Wohnungen wurden vor 1970 erbaut.

Welche Form von Wohnung ist am beliebtesten?
Der Schwerpunkt im Wohnungsbestand der Stadt Bern liegt bei 3- bzw. 3½-Zimmer-Wohnungen. Wohnungen mit vier und mehr Zimmern machen weniger als ein Drittel des Wohnungsbestandes aus. In den umliegenden Gemeinden verfügt mehr als die Hälfte der Wohnungen über vier und mehr Zimmer.

Wie viele Wohnungen sind in den letzten Jahren entstanden?
Tatsächlich werden viele neue Wohnungen gebaut, die dann leider sehr schnell wieder belegt sind. Die Leerwohnziffer zeigt, dass der Bau nicht mit dem Bedarf mithalten kann. Und vor allem wird zu wenig nach den Bedürfnissen der Menschen gebaut.

Wie gehe ich vor, wenn ich neu in der Stadt bin und eine Wohnung suche?
Man kann nicht mehr tun als alle die meisten auch: sich auf den bekannten Portalen umsehen und genug Zeit für die Wohnungssuche einplanen und wenn möglich im Bekanntenkreis rumfragen. Wenn nichts frei ist, muss ich wohl oder übel etwas nehmen, das vielleicht nicht ganz meinen Vorstellungen entspricht und dann hoffen, dass ich zu einem baldigen Zeitpunkt zügeln kann. Die Umzugsquote in der Stadt Bern liegt pro Jahr bei 14 Prozent. Da sind allerdings auch alle Studierenden miteinberechnet, die häufiger umziehen als andere. Wer Familie hat, ist weniger flexibel als jemand Junges.

Gibt es Zügelhindernisse?
Sobald Kinder eingeschult sind, will man nicht einfach umziehen und das Quartier verlassen. Oder der Arbeitsplatz liegt am anderen Ende der Stadt oder in einer anderen Stadt.

Soll man für eine Wohnung zusätzlich ein Bewerbungsdossier abgeben (s. auch Seite 17)?
Wie verbreitet diese Praxis ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe schon von Kinderzeichnungen gehört. Wie die Liegenschaftsverwaltungen reagieren, wenn sie dauernd solche Zeichnungen zugesendet erhalten, ist dann eine andere Frage. Bei den grossen Verwaltungen dürfte die Bonität eines Bewerbenden eine entscheidendere Rolle spielen als ein ausgefallenes Dossier.

Welche Tipps gibt es sonst noch?
Der Andrang in Bern ist gross, Zürich nochmals eine Nummer extremer. Manche hängen auf der Strasse immer noch Zettel auf, diese Möglichkeit scheint nach wie vor zu funktionieren. Wer merkt, dass eine Wohnung frei wird, sollte sich rasch um dieses Objekt bewerben. Studierende verfügen zudem über eigene Portale wie zum Beispiel Ronorp.

Wie verbreitet ist das Phänomen, dass ein Nachmieter exorbitant mehr bezahlt als der Vormieter?
In Zürich oder Basel weiss jeder, wie viel der Vormieter bezahlt hat, das ist im kantonalen Mietrecht so geregelt. In Bern existiert kein solches Gesetz. Einen Anfangsmietzins kann ich aber auch in Bern anfechten, nämlich innert 30 Tagen. Wir ermuntern Mieterinnen und Mieter, den Anfangsmietzins im gegebenen Fall anzufechten, häufig kriegen sie vor der Schlichtungsstelle dann auch tatsächlich recht. Im Bundeshaus wird aber im Moment über eine Abschaffung der Anfechtung der Anfangsmiete diskutiert, was den Mieterschutz massiv einschränken würde und der Mieterverband bekämpft. Eine «Seefeldisierung» wie in Zürich existiert hier nur in abgeschwächter Form, etwa in der Lorraine oder im Breitenrain.

Yves Schott

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