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Was tun bei einer Mietzinserhöhung?

Neu liegt der Referenzzinssatz bei 1,5 Prozent. Viele müssen deshalb nun mehr Miete bezahlen. Kann man sich dagegen überhaupt wehren? Michael Friedli, GL-Vorsitzender bei Von Graffenried Liegenschaften, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Michael Friedli, was genau ist eigentlich ein Referenzzinssatz?
Vor rund 15 Jahren wurde eine einheitliche Berechnungsart definiert, nach der Mietzinsen angepasst werden können. Eine gemeinsame Übereinkunft von Mieter- und Vermieterverbänden. Ein Teil jenes Meccanos ist der Referenzzinssatz. Festgelegt wird er vom Bundesamt für Wohnungswesen, Massstab ist der Durchschnittszinssatz der Banken in der Schweiz. Deshalb greifen Erhöhungen oder Absenkungen erst mit Verzögerung, weil die Hypotheken eine gewisse Laufzeit haben. Erst wenn diese auslaufen und die Hypotheken neu festgelegt werden, wirkt sich das auf den Referenzzinssatz aus.

Seit 2008 ist der Referenzzinssatz stetig gesunken. Wieso steigt er nun von 1,25 auf 1,5 Prozent an?
Als potenzieller Eigentümer eines Hauses nimmt man Fremdkapital auf. Man geht also auf eine Bank und löst eine Hypothek. Hypotheken steigen jetzt wieder, da Geld mehr kostet als noch vor ein paar Jahren. Ergo erhöht sich auch der Referenzzinssatz.

Wenn der Referenzzinssatz von 1,25 auf 1,5 Prozent klettert, bedeutet das konkret eine Mietzinserhöhung um drei Prozent. Korrekt?
Richtig. Bei einer Absenkung um ein Viertel Prozent wären es hingegen knapp weniger als drei Prozent.

Per wann werden Mieten konkret teurer?
Der neue Referenzzinssatz erschien per 1. Juni. Die meisten Anpassungen, die wir als Liegenschaftsverwaltung verfasst haben, erfolgten allerdings erst im Juli. Der Grund ist eine zehntägige Zustellfrist, die abgewartet werden muss, um sicherzugehen, dass die Mieterin oder der Mieter den eingeschriebenen Brief erhalten und zehn Tage Bedenkfrist hat. Danach beginnt die dreimonatige Kündigungsfrist, bis der neue Mietzins wirklich gültig ist.

Können Mieter sich wehren, wenn sie mit der Erhöhung nicht einverstanden sind?
Mieterinnen und Mietern bieten sich in solchen Fällen zwei Möglichkeiten: Die Bedenkfrist dient nicht dazu, den neuen Mietzins anzufechten, sondern als Option, die Wohnung zu kündigen, weil sich Mieter diese vielleicht nicht mehr leisten können. So kann der Vertrag auf die genannte Frist gekündigt werden, der neue Mietzins kommt gar nie zum Tragen.

Und zweitens?
Der Mieter ficht die Erhöhung an. Ob das möglich ist, hängt wiederum von drei Punkten ab.

Nämlich?
Es geht um die sogenannten Kostenstände: Referenzzinssatz, Landesindex der Konsumentenpreise LIK sowie die Kostensteigerung, die für eine Mietzinsanpassung in Erwägung gezogen werden. Es kann sein, dass eine Mieterin bereits vor der Erhöhung zu einem Referenzzinssatz von 1,5 Prozent in ihrer Wohnung gelebt hat – trotzdem muss sie mehr Miete bezahlen. Weil der Vermieter den LIK sowie die allgemeine Kostensteigerung anpasst. Die Mieterin mag dann zwar überrascht sein, was ich übrigens gut verstehe, doch der Vorgang ist rechtens. Sprich: Eine Beibehaltung des Referenzzinssatzes heisst nicht automatisch, dass der Mietzins gleichbleibt.

Der gestiegene Referenzzinssatz ist zum Nachteil der Mieter, aber ein Segen für die Vermieter. Stimmt diese Aussage so?
Nein, denn auch für die Vermieter erhöhen sich die Kosten. In dem Punkt bekunde ich ehrlich gesagt schon manchmal Mühe mit dem oft gezeichneten Bild des reichen, bösen Vermieters. Sehen Sie: Als ich in der Lehre war und mir Tipps für meine künftige Mietwohnung mitgegeben wurden, hiess es stets: Für die Miete bezahlst du rund ein Drittel des Lohns. Bloss: Wer gibt heute ein Drittel seines Verdienstes fürs Wohnen aus? Fast niemand. Laut einer Studie machten Miete sowie Neben- und Energiekosten bei einem durchschnittlichen Schweizer Haushalt im ersten Quartal 2023 13,2 Prozent des Bruttoeinkommens aus. 13,2 Prozent sind nicht mal die Hälfte des angesprochenen Drittels! Wohnen ist also weniger teuer als uns oft suggeriert wird. Was wiederum dazu führt, dass einige Leute Wohnungen mit mehr Fläche mieten, als eigentlich benötigt würden. Weil man es sich leisten kann. Obwohl diesen Wohnraum eine Familie eventuell dringender nötig hätte.

Ausserdem möchten viele direkt im Zentrum wohnen.
Werde ich gefragt, wieso es für eine vierköpfige Familie zu teuer ist, in der Länggasse zu wohnen, antworte ich: Das ist Ökonomie! Wollen alle neben der Gelateria di Berna einziehen, steigen die Preise. Und sie klettern auch deshalb nach oben, weil Eltern ihren Kindern zusätzlich zum Studium noch eine Zweitwohnung finanzieren. Würden mehr junge Menschen in Ausbildung zuhause bleiben, würde der ökologische Fussabdruck pro Quadratmeter ebenfalls sinken. Die angebliche Wohnungsknappheit in Zentren wie Bern ist ein Wohlstandsphänomen.

Der Referenzzinssatz ist neu bei 1,5 Prozent, gegen Ende Jahr soll er gar auf 1,75 Prozent anwachsen. Realistisch?
Ja, absolut. Wer den Markt beobachtet, kann nur zu diesem Schluss gelangen. Dann würden die Mieten erneut um drei Prozent steigen.

In mehreren Medien war zu lesen, dass sich manche Mieten nun sogar um zehn Prozent erhöhen würden.
Das ist möglich, etwa, wenn der Referenzzinssatz direkt von 1,25 auf 1,75 Prozent erhöht und zudem noch der LIK angepasst wird.

Rechnen Sie bei Von Graffenried Liegenschaften mit einer gröberen Kündigungswelle Ihrer Mieter, sofern der Prozentsatz bei 1,75 liegen sollte?
Eher nicht, es kommt jedoch möglicherweise zu einem Umdenken. Die Menschen werden Abwägungen treffen müssen, indem sie beispielsweise die Wohnung behalten, dafür hingegen anderswo den Gurt enger schnallen.

Würden Sie jemandem, der gut verdient, empfehlen, eine Wohnung zu kaufen – oder soll er oder sie besser mieten?
Ich muss Ihrer Frage ausweichen. In den letzten Jahren waren generell nur sehr wenige Wohnungen auf dem Markt, und jene, die verfügbar waren, wurden zu sehr hohen Preisen verkauft.

Also besser noch ein paar Jahre warten?
Das habe ich schon vor zehn Jahren vorgeschlagen (lacht). Aber ja, eine leichte Preiskorrektur nach unten ist absehbar beziehungsweise bereits Realität.

Yves Schott

PERSÖNLICH

Michael Friedli, geboren am 2. September 1985, ist eidgenössisch diplomierter Immobilientreuhänder. Er arbeitet seit 14 Jahren bei Von Graffenried Liegenschaften in Bern. Seit diesem Sommer ist er Vorsitzender der Geschäftsleitung.

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