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Wie Bern im Eventbereich den Grossen die Stirn bieten will

Berns Hotelpräsidentin Corina Gilgen und Oliver Vrieze, Marketingchef der Bernexpo AG, über Bullshit-Bingos, fixfertige Buffet-Menüs und die Strahlkraft einer grossen Halle.

Corina Gilgen, rund 80 Prozent der Hotelübernachtungen in Bern erfolgen aus geschäftlichen Gründen. Eine erstaunliche Zahl.
Auf den ersten Blick: ja. Bern stand allerdings lange Zeit für Politik und Messen, erst in den letzten Jahren wurde intensiv daran gearbeitet, auch den Privattourismus anzusprechen. Für die Wertschöpfungskette ist nach wie vor der Businessbereich von wichtiger Bedeutung.

Ist diese Verteilung für Bern gut oder schlecht?
Oliver Vrieze: Wir zählen auf unserem Gelände pro Jahr eine Million Besucherinnen und Besucher, alleine dadurch werden rund 100000 geschäftliche Übernachtungen generiert. Viele dieser Leute kaufen hier dann in den Läden ein und besuchen Restaurants. Schlecht ist das sicher nicht. (schmunzelt)
Corina Gilgen: Manche wissen leider gar nicht, welche Wertschöpfungskette dahintersteckt: Finden keine Events statt, steht der Metzger mit leeren Händen da – genauso wenig wie der Bierbrauer und der Kaffeeröster. Gleichzeitig werden die Läden in der Innenstadt seltener frequentiert. Vom Tourismus hängen in Bern zahlreiche Stellen ab.

Ist die überschaubare Grösse Berns dabei ein Vor- oder ein Nachteil?
Gilgen: Man kennt sich besser, das ist definitiv ein Vorteil. Gewisse Prozesse dauern zwar länger, dafür sind die Entscheide danach wohlüberlegter.

Hotels durften während des wochenlangen Lockdowns zwar offenbleiben. Trotzdem dürfte der Rückgang an Gästen enorm sein.
Gilgen: Im Prinzip fielen wir von hundert auf null. Wir starteten ziemlich gut ins 2020, dann kam der Knall. Lag die Auslastung in gewissen Hotels bei zehn Prozent, war das sogar noch ein anständiger Wert. Eine Weile lang hagelte es nur Stornierungen, nun stabilisieren sich die Zahlen, allerdings auf einem extrem tiefen Niveau.

Wie viele Hotels hatten in Bern denn überhaupt durchgängig geöffnet?
Gilgen: Das müsste etwa ein Viertel aller bei uns angeschlossenen 33 Betriebe gewesen sein.

Wie sehen die Zahlen auf Seite der Messebetreiber aus?
Vrieze: Lassen Sie mich zunächst ganz kurz sagen: Für uns ist die Situation sehr bitter. Wir haben fast drei Jahre lang auf dieses Jahr, von dem wir wussten, dass sich die Branche komplett verändert, hingearbeitet. Wir waren vorbereitet, schrieben Gewinn und waren auf Rekordjahr-Kurs. Dann kam Corona. Wir fielen ebenfalls ins Bodenlose, wollten aber nicht jammern. Wir lasen die Verordnungen des Bundes durch und überlegten uns, was wir überhaupt noch durchführen könnten. Also haben wir die Sondersession des Parlaments in die Hand genommen, im Sommer absolvieren 5000 junge Leute der Berner Fachhochschulen bei uns auf dem Areal gefahrlos ihre Prüfungen.

Der Lockdown brachte alles zum Stillstand, viele Firmen meldeten Kurzarbeit an. Konnte die Hotellerie ebenfalls eine Weile lang die Füsse hochlagern?
Gilgen: Klar hatte ein Teil der Mitarbeitenden wie zum Beispiel das Reinigungspersonal kaum mehr etwas zu tun, da keine Zimmer belegt waren. Nach dem ersten Schock stand aber schnell die Frage im Zentrum, wie es weitergehen könnte. Wir wollten ready sein für den Restart, die Schutzkonzepte mussten schnell umgesetzt werden.

Wir sitzen hier im Bistro des Hotels Savoy. Wie sehen Ihre Konzepte aus? Gibt es noch Zmorge-Buffets?
Gilgen: Zum Selberschöpfen nicht, nein, bereits abgepackte Speisen hingegen schon. Zudem lüften wir noch öfter als früher, die Tische werden nach jedem Gast gereinigt, in der Küche trägt man Handschuhe. Was uns am meisten weh tut, ist aber der Mindestabstand von zwei Metern.
Vrieze: Diese Aussage würde ich so unterschreiben. Bei der Sondersession mit 250 Parlamentarierinnen und Parlamentariern etwa durfte hinsichtlich der Vorschriften nichts anbrennen, sprich: Das Schutzkonzept musste eingehalten werden. Dafür sind wir als Location mitverantwortlich. Eine riesige Herausforderung.

Zum Social Distancing kommt hinzu, dass gewisse Tagungsräume, die eigentlich für 150 Menschen konzipiert sind, nun nicht mehr als solche infrage kommen, weil nur noch 25 Personen reindürfen.
Vrieze: Genau über diese Problematik wurde bereits intensiv diskutiert. Und jetzt hilft man sich gegenseitig; das sind die schönen Seiten der Krise. Doch Sie haben recht: Einen Event mit bloss zwanzig Personen bei uns auf dem Areal durchzuführen, ist eigentlich kaum rentabel. Man muss sich bei jeder Planung für einen Anlass genauestens hinterfragen, ob sie sinnvoll ist oder besser bei einem Partner wie dem Kursaal oder auf dem Gurten stattfinden soll.
Gilgen: Als Hotelbetreiberin muss ich mir ebenfalls überlegen, ob ich für drei Gäste pro Nacht öffnen soll. Gleichzeitig ist die Lust vorhanden, sein Produkt wieder präsentieren zu können. Unsere Mitarbeitenden sind stolz, zurück vor Ort zu sein. Ich bin mir aber bewusst, dass sich das Geschäft noch lange wohl eher schlecht als recht rechnen wird. Corona wird uns weiterhin beschäftigen.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die geplante neue Eventhalle, die die alte Festhalle ersetzen soll?
Vrieze: Für die Region? Bombastisch wichtig. Etliche Veranstalter machen, vom Gurten mal abgesehen, einen weiten Bogen um Bern. Persönlich werde ich um die alte Festhalle weinen: Sie ist schmuck und hat Charme. Doch sie ist halt nicht mehr modern, war beim Bau in den 60er-Jahren als Provisorium gedacht. In die neue Halle passen stehend 8000 Leute rein, wir können wieder mit Zürich, Basel und Luzern konkurrenzieren.

Mit welchen Massnahmen möchten Sie die Business-Gäste und die Touristen zurückholen?
Gilgen: Bern Welcome unterstützt uns mit ihrer Kampagne. Daneben bieten gewisse Hotels zum Beispiel Familien- oder anderen Packages an. Entscheidend für uns ist jedoch, dass hier wieder Messen und Kongresse abgehalten werden.

Was haben Sie beruflich wie auch privat aus der Krise gelernt?
Gilgen: Was das Berufliche anbetrifft: Dass es nie so kommt, wie man denkt und ich das alles hoffentlich nur einmal erleben werde. Mir hat der Lockdown einmal mehr gezeigt, wie sehr ich meinen Job liebe. Privat konnte ich mich deutlich häufiger einem meiner Hobbys, dem Kochen, widmen. (lacht)
Vrieze: Beruflich musste ich mich deutlich weniger mit Bullshit-Bingos abgeben, alle sind fokussiert, man konzentriert sich auf das Wesentliche. Für die anderen, mühsamen Dinge hatte ich gar keine Zeit. Privat? Ich als Holländer bin seit 2008 Teil von Bern, wo ich mit 25000 Menschen zum Wankdorf-Stadion gezogen bin. Das ist momentan gar nicht mehr denkbar. Ja, das macht mich traurig. Dieses Gefühl wünsche ich mir sehnlichst zurück.

Yves Schott

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