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Wie SP und Grüne sich selbst zerfleischen

Zwei gute linke Freunde zanken sich vor aller Augen. Wie konnte es nur so weit kommen? Die erstaunliche Erkenntnis: Beide Parteien haben genug Gründe, gereizt und streitlustig zu sein.

Vielleicht ist es ja am Schluss so wie immer. Man hat sich lieb, klopft sich gegenseitig auf die Schultern und betont die gemeinsame Stärke. Alles wieder im Lot bei Grün-Rot. Und doch scheint der Konflikt, der Berns Linke in diesen Tagen und Wochen beschäftigt, gravierender zu sein als auch schon. Zwist, Zwietracht, Zweikampf. Entwickelt sich aus dem sommerlichen Donnergrollen ein veritabler Herbststurm? Rückblende um knapp neun Monate. Das Jahr beginnt beschaulich. Es ist freundlich und einigermassen warm, das Coronavirus erst ein böses chinesisches Gespenst. Doch dann lässt Gemeinderat Michael Aebersold Mitte Januar an einer scheinbar belanglosen Medienkonferenz völlig überraschend eine Bombe platzen: Der Stadt fehlen rund 30 Millionen Franken an Steuereinnahmen. Der SP-Finanzdirektor gibt zu, er habe zu optimistisch gerechnet. Anders ausgedrückt: Aebersold hat sich verrechnet. Anfang April präsentiert die Stadt ihre Minus-Bilanz. Das Defizit 2019 beträgt satte 17,2 Millionen Franken. Sofort werden Sparmassnahmen angeordnet: Über 15 Millionen Franken für das laufende Jahr, 20 Millionen für das nächste. Trotzdem rechnet das Budget 2021 ein Defizit von 37 Millionen Franken vor. Schlagartig wird allen klar: Die fetten Jahre sind endgültig vorbei. Das linke Rumoren beginnt.

Provokationen überall
Denn: Die einschneidenden Massnahmen betreffen rot-grüne Kernanliegen. Klimaschutz, Gleichstellung, gesellschaftliche Integration. Gespart werden soll ausserdem nach dem «Rasenmäherprinzip» – die grössten Abteilungen bluten finanziell am stärksten. Es sind dies die Verkehrsdirektion von Ursula Wyss (SP) und die Direktion für Bildung, Soziales und Sport von Franziska Teuscher (Grünes Bündnis, GB). Die Hälfte der total 20 Millionen Franken müssen alleine sie beide beisteuern. Doch natürlich will niemand verzichten. Stattdessen folgen gegenseitige Anschuldigungen. Das GB geisselt Wyss’ Velosensibilisierungsprojekt als «teure Kampagne ohne ausgewiesenen Nutzen» und möchte Ökoprojekte «priorisieren». Im Klartext: Noch mehr Geld für grüne Weltverbesserungsideen. Die SP ihrerseits will keine Kürzungen beim Personal vornehmen und stellt sich dezidiert gegen eine Steuererhöhung, mit der das GB liebäugelt. Als die SP Sozialvorsteherin Teuscher, deren Verhältnis zu Stapi Alec von Graffenried «angespannt» sein soll, schliesslich auch noch eine politische Finte unterstellt, ist endgültig Feuer im Dach. Der Vorwurf: Die 62-Jährige schlage Sparmassnahmen vor, die sowieso kaum mehrheitsfähig seien. Teuscher wehrt sich, selbstverständlich, und doch, so berichtet der «Bund», habe sie offen mit Anträgen sympathisiert, die sich gegen ihre eigenen Vorschläge gerichtet hätten. Auf Anfrage des Bärnerbär sagt SP-Co-Präsidentin Edith Siegenthaler dazu: «Ursula Wyss hat bezüglich Einsparungen beispielsweise eine sehr saubere, nachvollziehbare Liste vorgelegt.» Provokationen hüben wie drüben. Zurück zu Franziska Teuscher: Dass sie auf medienwirksame Auftritte wie «Hallo Velo» kaum verzichten will, scheint logisch. An Events wie diesen kann sie sich als Berns ökologisches Gewissen inszenieren und erntet dafür parteiintern grossen Applaus. Streichen? Bloss nicht. Den Hinweis, Anlässe wie dieser seien sekundär, kontert sie in der «BZ» mit: «Auch der Zibelemärit ist ‹nice to have›.» In Erklärungsnot werden schon mal Äpfel mit Birnen verglichen. So heftig die Sticheleien und Seitenhiebe auf den ersten Blick ins Auge stechen mögen – sie sind kein Zufall. Das GB scheint je länger, je seltener Lust auf die Rolle des ewigen Juniorpartners der SP zu haben. Besonders in Zeiten von Greta Thunberg und Fridays for Future, so reden sie sich ein, würde ihnen mehr als eine Nebenrolle zustehen. Das Grüne Bündnis allerdings holte bei den Wahlen 2016 bescheidene 10 Prozent, weniger als die FDP oder die SVP. Die SP dagegen liegt bei beinahe 30 Prozent.

«Es geht um Machtkämpfe»
Die Nervosität der Sozialdemokraten andererseits fusst auf der für sie doch eher heiklen Ausgangslage vor den Wahlen am 29. November. Wyss tritt ab, ob die designierte N a c h f o l g e r i n Marieke Kruit sie im Gemeinderat tatsächlich beerben kann, scheint zumindest ungewiss. Gut möglich, dass FDP-Kandidat Bernhard Eicher triumphiert. Doppelt bitter für die SP: Nach dem Verlust des Stadtpräsidiums 2016 (Alexander Tschäppät †) an Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste, GFL) droht nun noch der Weg fall des zweiten Sitzes. Ein einziger SP-Vertreter in der Stadtregierung – das gab es zuletzt 1992! Zwei Bürgerliche (Eicher und Reto Nause/CVP) in Berns Exekutive wünschen sich übrigens sogar gemässigte Genossen, obschon man diese mittlerweile fast mit der Lupe suchen muss. Die langjährige Stadträtin Lea Kusano gehört dazu. «Das 4:1-Verhältnis im Gemeinderat ist nicht gesund, es braucht einen Wettbewerb der Ideen, davon bin ich überzeugt», sagt die 40-Jährige. Nach gerade mal drei Monaten im Grossrat trat sie im Februar, nicht ganz unfreiwillig, zurück. Mit ihrer SP, das ist ein offenes Geheimnis, hadert Kusano. Auf städtischer Ebene stellt sie ihr denn auch kein gutes Zeugnis aus: «Früher gab es einige Figuren im Stadtrat, die aus der Masse herausstachen; die fehlen aber seit längerem. Wir haben mittlerweile eine Masse an gleichen Leuten auf einer Art Low-Level. Wie bunte Farbstifte in einer Reihe – bloss sind jetzt alle kurz und gleich.» FDP-Fraktionschef Eicher dürfte diese Aussagen mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen. Er ergänzt: «Nach über 20 Jahren an der Macht ist RotGrün träge geworden. Es geht nicht mehr um das Wohl der Stadt, sondern um interne Machtkämpfe.» Mit der neuen finanzpolitischen Situation, so glaubt er, würde die Linke nur leidlich zurechtkommen. «Man hat sich darauf spezialisiert, Geld zu verteilen – wie der Weihnachtsmann, der einfach grosszügig Geschenke in die Hände drückt.» Was SP und das GB generell eint, ist die Abneigung gegen Alec von Graffenried. Weil Rot-Grün im sozialen Bereich auf keinen Fall sparen möchte, soll nun dessen Präsidialdirektion dran glauben. Dort, so berichtete der «Bund» am Donnerstag, orte man «grosses Sparpotenzial». Vor allem die SP würde von Graffenried nur zu gerne eins auswischen, weil er 2016 Ursula Wyss, die sich geistig bereits im Erlacherhof wirken sah, den Stapi-Sitz wegschnappte.

Das nächste Tief kommt
Am 10. September setzt der Stadtrat zur grossen Spardebatte an. Showdown im Parlament, zweieinhalb Monate vor den Wahlen. Eins ist klar: Am Sparpaket von 20 Millionen Franken will die SP, im Gegensatz zum GB, nicht rütteln. Das Grüne Bündnis hingegen wäre Steuererhöhungen oder einem grösseren Schuldenberg nicht abgeneigt. Schulden, um Schulden zu tilgen – eine in der Tat eigentümliche Logik. Der Knatsch zwischen SP und dem GB zeigt exemplarisch, wie wenig es braucht, damit sich angeblich so harmonisch-gefestigte Bündnispartner aneinander aufreiben. Da ist es um Werte wie Toleranz, Mitgefühl und soziales Denken, die die beiden Parteien sonst gerne und oft predigen, schnell einmal geschehen. Doch wie zerstritten sind die zwei Parteien denn nun wirklich? Gegen aussen bemühen sie sich um Schadensbegrenzung. «Wir sind uns sehr einig», lässt etwa Stadträtin Lea Bill, GB-Co-Präsidentin, ausrichten. Was soll sie auch anderes sagen? Intern, so berichten anonyme Quellen dem Bärnerbär, würden weiterhin die Fetzen fliegen. Mit Geldsparen hat man es halt nicht so – genau das wird man in Zukunft aber tun müssen. Selbst wenn sich die Wolken also kurzzeitig lichten – das nächste Tiefdruckgebiet formiert sich bereits. Es könnte länger liegenbleiben, als manchen lieb ist.

Yves Schott

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