Wieso der digitale Wandel kein Grund zur Panik ist

Vielen Menschen bereitet die Digitalisierung grosse Sorgen. Verschwinden bald Tausende Jobs? Regierungsrat Bernhard Pulver (Grüne) relativiert.

Von Angst, das wird in diesem Gespräch schnell klar, will Bernhard Pulver nichts wissen. Vielmehr spricht der bernische Erziehungsdirektor von «Chancen» und «Optimismus», positives Denken sei gefragt. Und man nimmt ihm diese Einstellung auch ab. Doch alles schön der Reihe nach. Mit «Bildungsstrategien in der digitalen Transformation» setzt sich die dritte Ausgabe des Spirit of Bern an diesem Donnerstagnachmittag im Kursaal auseinander. 30 Rednerinnen und Redner sind zum Forum für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik geladen, darunter Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der deutsche Philosoph Richard David Precht, Post-CEO Susanne Ruoff oder Stadtpräsident Alec von Graffenried (siehe Seite 5). Und eben Bernhard Pulver, der offen zugibt, digital noch nicht zwingend fit zu sein. «Es kommen so viele Herausforderungen und Möglichkeiten auf uns zu – da braucht es extrem viel Kreativität, um damit umzugehen.» Der Regierungsrat der Grünen könnte auch sagen: Flexibilität. Denn die Unberechenbarkeit ist es schliesslich, die dieses Thema so spannend, gleichzeitig aber so komplex und verworren macht. Wer hätte vor fünfzehn Jahren schliesslich schon gedacht, wie immens Smartphones unser Alltagsbild prägen? Dass der Bankschalter oder der Kleiderladen für viele nur noch eine Randerscheinung darstellen könnte? Und damit viele Stellen obsolet werden?

Computer können nicht alles
Pulver begegnet dieser Entwicklung mit einer, sagen wir mal, ernsthaften Lockerheit. «Schon früher dachte man ja, dass die Maschinen uns alle Arbeit wegnehmen. In Wirklichkeit sind aber noch viel mehr neue Jobs entstanden», sagt er im Interview mit dem Bärnerbär am Rande des Anlasses. Und nennt ein Beispiel: «Den Coop-at-Home-Zulieferer gab es früher ja nicht.» Diese entschlossene Zuversicht, der 52-jährige Erziehungsdirektor schöpft sie auch daraus, weil er überzeugt ist, dass Computer und Roboter nicht alles können. «Empathie, Gefühle, ein ethisches Denken … solche Eigenschaften werden Maschinen nie haben.» Was Pulver vorschwebt, ist eine, im besten Fall, symbiotische Verbindung der beiden Komponenten. Etwa in den Berner Unterrichtsstuben. «Einzelne Schulen haben bereits angefangen, Schüler als Mediencoaches einzusetzen, die den Mitschü- lern, aber auch den Lehrerinnen und Lehrern diese neuen digitalen Möglichkeiten erklären.» So würde dann eine komplexe mathematische Gleichung beispielsweise als Youtube-Tutorial veranschaulicht werden.

Spannungen ernst nehmen
Das soll auch als Statement gemeint sein. An all jene, die monieren, die Schulen seien möglicherweise nicht bereit für die Bildung 4.0. Gemäss Pulver braucht es aber auch nicht in jedem Zimmer einen Laptop oder ein iPad. «Die Schulen müssen den Jugendlichen nicht den letzten digitalen Schrei mitgeben. Was sie ihnen mitgeben sollen, ist Neugier und vor allem das Selbstvertrauen, etwas Neues lernen und bewältigen zu können.» Das sei die Uraufgabe der Schule und damit eine Selbstverständlichkeit, die sie schon immer vermittelt habe, erklärt Pulver. Bei allem Optimismus blendet er die Risiken der Digitalisierung und ihre Folgewirkungen nicht aus. Menschen, die sich davor fürchten, ob ihr Job in fünf oder zehn Jahren überhaupt noch existiert, verdienten unsere Aufmerksamkeit, betont Bernhard Pulver. Und verweist auf die Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft, die nicht zuletzt zur Wahl von Donald Trump geführt haben. «Diese verschiedenen Brücken der Gesellschaft müssen wir ernster nehmen als bis jetzt.»

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