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«Wir brauchen die Solidarität unserer Kundinnen und Kunden!»

Sven Gubler ist der Direktor von BERNcity, kümmert sich mit seiner Crew um über 400 Fachgeschäfte der Innenstadt und hofft, dass die Kundschaft das einheimische Schaffen in der Krise wiederentdeckt.

Im Gespräch mit dem Bärnerbär kritisiert Sven Gubler zwei Entscheide des Lockout-Exit-Plans des Bundesrats und lobt die Zusammenarbeit aller Organisationen in und um Bern. Zudem setzt er auf die Solidarität der Bevölkerung. Weil viele Geschäfte noch lange auf Hilfe angewiesen sein werden, appelliert er an das Durchhaltevermögen von uns allen.

Amthausgasse 4 in Bern: Sven Gubler, Direktor von BERNcity, sitzt in seinem Büro am Besprechungstisch und gönnt sich trotz oder gerade wegen seines vollen Terminplans eine Tasse Kaffee. Nur knapp 300 Meter entfernt, an der Bundesgasse 8, befindet sich das Medienzentrum des Bundesrats und des Parlaments. Was dort die Landesregierung am vergangenen Donnerstag verkündet hat, gilt logischerweise für die Geschäfte der Berner Innenstadt und damit auch für die Organisation BERNcity. Letztere deckt die Bereiche Shopping, Politik, Gastronomie, Kultur und Wohnen ab und setzt sich als «Stimme der Innenstadt» für die Anliegen ihrer über 400 Mitglieder ein. Rasch wird im Interview klar: Sven Gubler arbeitet mit dem Kopf, ist aber mit Leib und Seele für das Gewerbe der Berner Innenstadt engagiert.

Wie beurteilen Sie die Entschlüsse des Bundesrates betreffend den schrittweisen Ausstieg aus dem Lockdown?
Grundsätzlich bin auch ich froh darüber, dass die Öffnung überhaupt erfolgen kann. Dies ist ja nur möglich, weil es die aktuellen Fallzahlen der am Coronavirus erkrankten Menschen respektive den daran Verstorbenen zulassen. Der Plan des Bundesrates hat aber Schwächen. So kann ich nur bedingt nachvollziehen, dass der Bundesrat Geschäfte unterschiedlich lange geschlossen hält: Ich denke, dass in Kleiderboutiquen beispielsweise die Hygienevor – schriften und die Regeln des Social Distancing genauso gut umgesetzt werden könnten wie in Blumenläden und Baumärkten. Da liegt klar eine Ungleichbehandlung vor. Umso mehr, weil somit Branchen öffnen dürfen, die mit direktem Menschenkontakt arbeiten.

Ist der Kauf der neuen Hose aus Ihrer Sicht demnach sicherer als der Besuch beim Coiffeur?
Der Hosenkauf ist sicherlich nicht gefährlicher. Überall dort, wo der Zweimeterabstand während einer längeren Zeit nicht eingehalten werden kann, wird es komplizierter. Das wissen wir alle. Die Differenzierung finde ich umso unnötiger, da der Bundesrat zwischen dem 27. April und dem 11. Mai offenbar noch gar kein Monitoring punkto Ansteckungsketten machen kann. So fehlt auch die wissenschaftliche Basis des Entscheids. Zudem werden die Bernerinnen und Berner in der Innenstadt nach dem 27. April ja nicht so einkaufen gehen können, wie Sie dies vor dem Coronavirus getan haben.

Wie meinen Sie das?
Normalerweise ist die Innenstadt eine prächtige Oase, in der die Symbiose von Einkaufs-, Erlebnis- und Restaurationsangeboten zu einem Gesamtkunstwerk und zu einem Lebensgefühl wird. Die Leute treffen sich, reden miteinander, geniessen die Zeit und feiern sich selber sowie unsere prächtige Stadt. Mit den Abstandsregeln und der maximalen Gruppengrösse von fünf Menschen fällt dies alles dahin. Und natürlich auch, weil die Gastronomiebetriebe und Erlebnisangebote wie Clubs oder Kinos leider noch länger nicht öffnen dürfen. Die meisten von uns werden ab dem 27. April einkaufen und danach sofort wieder nach Hause gehen. Auch in der Innenstadt. Ich denke, dieses Verhalten ist aus gesundheitlicher Sicht unbedenklich. Auch deshalb hätten ab dem 27. April bereits alle Läden geöffnet werden können.

Sehen Sie die kleinen Läden gegenüber dem Grosshandel benachteiligt?
Dieses Gefühl hatte ich unmittelbar nach der Pressekonferenz durchaus. Glücklicherweise hat sich der Bundesrat diesbezüglich noch korrigiert und will dies in der Verordnung berücksichtigen. Deshalb gehe ich davon aus, dass es für den Grosshandel bis zum 11. Mai keine totale Gesamtsortimentsfreigabe geben wird. Somit sehe ich, ausgenommen des Unverständnisses, dass noch immer nicht alle öffnen können, für die kleinen Läden keine massive Benachteiligung. Ich habe einerseits Verständnis für die schnelle Informationsbefriedigung des Bundesrats, doch sind KMU von der Krise am härtesten getroffen. Das scheint sich der Bundesrat nicht ganz bewusst zu sein. Die Öffnungsschritte sollten dies stärker berücksichtigen.

Sie pflegen einen engen Kontakt zu den Mitgliedern von BERNcity. Wie reagieren diese auf die Bestimmungen des Bundesrates?
Auch sie sind froh, dass endlich ein Ende des Lockdowns absehbar ist. Es ist aber leider eine Tatsache, dass in sehr vielen Branchen die Margen derart klein sind, so dass die Unternehmen selbst in normalen Zeiten kaum an Substanz zulegen können. Viele sind jetzt umso schneller in Liquiditätsprobleme geraten. Die meisten Entrepreneure kritisieren die oben erwähnten Punkte und sind auch in der Argumentation mit mir einig.

Wie konnten Sie Ihren Mitgliedern in den letzten Wochen am meisten helfen?
Mit konkreter Beratung und administrativer Unterstützung. Zum Beispiel, was die Kurzarbeit angeht. Wir helfen während der Krise nicht nur unseren Mitgliedern. Auch alle anderen Geschäfte der Innenstadt können auf uns setzen. Wir unterstützen alle! Ein Erfolg ist zudem die von unserer Partnerbank EEK, Bern Welcome, Gastro Stadt Bern, Bern Hotels, dem HIV Sektion Bern und uns organisierte Solidaritätsaktion «Bärn hiuft». Das ist eine Plattform, auf der Kundinnen und Kunden Gutscheine von Berner Geschäften erwerben können. Letztere dürfen sich kostenlos registrieren und sich auf der Website in Szene setzen. Bisher gingen so über 110000 Franken an Kundengeldern direkt an die Geschäfte. Das ist Geld, das zurzeit besonders wichtig ist. Die Hilfe ist für die Geschäfte zudem eine moralische Stütze. Die Unternehmerinnen und Unternehmer merken, dass jemand an sie denkt und an ihre Ware und ihre Dienstleistungen glaubt. Dieser psychologische Faktor ist fast so wichtig wie das Geld. Unser Projekt hat übrigens auch die Verantwortlichen von hotelleriesuisse Ticino überzeugt. Sie haben bei «Bärn hiuft» um Unterstützung angefragt und konnten dank unserer unentgeltlichen Hilfe ihr Parallelprojekt «Amore Ticino» rasch lancieren.

Wie steht es ums Lobbying? Wie stehen Sie mit welchen Akteuren in Kontakt?
Selbstverständlich mit den verschiedensten Behörden und mit unserem Städtepartner. Ihnen teilen wir unsere Anliegen und Forderungen mit, bringen Lösungsvorschläge ein und stimmen uns ab. Mit der Stadt arbeiten wir eng und gut zusammen. Dasselbe gilt für die Organisation Bern Welcome. Diese ist verantwortlich für die Vermarktung der Stadt und Region Bern. Sie wird uns stark bei der langsamen Öffnung begleiten, da alle Akteure gemeinsam die Kommunikation und Vermarktung aufbauen müssen und hier die Zusammenarbeit bestmöglich koordinieren können. Auch mit den lokalen Verbänden KMU Stadt Bern, GastroBern, Hotellerie+ Bern Mittelland, HIV Sektion Bern und auf nationaler Ebene mit Swiss Retail, dem Verband der mittelständischen Detailhandelsunternehmen oder der IG Detailhandel von Migros, Denner und Coop funktioniert unsere Zusammenarbeit sehr gut. Mir scheint bei all unseren Tätigkeiten, dass gesellschaftlich und politisch der Wert des Gewerbes wieder höher gewichtet wird. KMU sind keine Abzocker, sondern von grosser Wichtigkeit für das Zusammenleben und die Volkswirtschaft. Ich glaube, das realisieren in der Krise gerade viele Menschen wieder etwas stärker.

Können Sie uns ein aktuelles Beispiel beschreiben?
Gerne. Da die Mieten in der Innenstadt für die Geschäfte ein grosser Kostentreiber sind, ist es mit der vorübergehenden Stundung von Forderungen nicht getan. Wir haben diesbezüglich die Stadt, GastroBern und KMU Stadt Bern angefragt, ob wir zu viert einen Aufruf zur schnellen partnerschaftlichen Lösung machen können, mit dem wir uns an die Mieter und vor allem auch an die Vermieter wenden werden. Dies mit der Bitte, schnellstmöglich Lösungen auszuarbeiten, die substanziell und nachhaltig helfen, sowie potenzielle juristische Auseinandersetzungen und Geschäftskonkurse verhindern können. Die Stadt, Gastro Stadt Bern und KMU Stadt Bern haben umgehend zugesagt. Der Aufruf wird in den nächsten Tagen verschickt.

Mit der schrittweisen Öffnung der Geschäfte sind längst nicht alle Probleme vom Tisch. Wie sehen Sie das?
Sie haben völlig Recht. Die Öffnungen sind, bezogen auf die Krise, leider erst das Ende vom Anfang und noch längst nicht der Anfang vom Ende. Nach dem Öffnen der Geschäfte werden deren Einkünfte noch lange nicht den Normalstand erreichen. Die Konsumentenstimmung ist am Boden. Das Coronavirus ist weiterhin ein Teil unseres Lebens. So lange dies so ist, werden die meisten Geschäfte nicht ihre gewohnte Effizienz erreichen. Zudem verursachen die Vorschriften betreffend die Hygiene und dem Social Distancing für alle Gewerbetreibenden Zusatzkosten. Und auch sämtliche Kredite müssen irgendwann zurückbezahlt werden. Die staatlichen Hilfen aller Art werden noch während vieler Monate dringend notwendig sein. Viele Geschäfte werden sich erst im neuen Jahr wirklich erholen. Die Gastronomiebetriebe werden wohl noch länger brauchen. Wir alle brauchen noch viel Ausdauer und vor allem die Solidarität unserer Kundinnen und Kunden. Wir hoffen darauf, dass die Menschen vermehrt wieder einheimische Produkte und Dienstleistungen berücksichtigen, deren Wert aktuell offenkundig ist.

Dominik Rothenbühler

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