«Wir werden am Schluss ein sehr gutes Ergebnis haben»

Die Kritik am diesjährigen Gurtenfestival ist gross: kaum klingende Bandnamen, dazu ein schleppender Ticket-Vorverkauf. Der Bärnerbär hat Philippe Cornu, der mit seiner Agentur wildpony fürs Booking zuständig ist, mit sämtlichen Vorwürfen konfrontiert.

Philippe Cornu, es gab wohl noch nie so viele Leute, die sich über das Gurtenprogramm beklagt haben, wie in diesem Jahr.
Da stelle ich mal die kritische Gegenfrage: Wie alt sind denn die Leute, die Sie das gefragt haben?

Zwischen Ende 20 und Ende 30.
Sehen Sie: Ein 24-Jähriger respektive eine 24-Jährige hat ein ganz anderes Musikverhalten und ganz andere Ansprüche. Und 24 Jahre ist seit vielen Jahren der Altersdurchschnitt am Gurtenfestival. Ich habe den Eindruck, wir haben in letzter Zeit eine richtige Welle von neuem Publikum erlebt, das den Gurten entdeckt. Damals, als wir das Festival übernommen haben, als es noch unter dem Namen «Internationales Folk-Festival Bern» lief, und begannen, Rock- und Bluesbands miteinzubauen, gab es einen regelrechten Aufschrei, dass nichts mehr wie früher sei, obwohl wir Acts wie Bob Dylan und Joan Baez buchten. Für die alteingesessenen Gurtengänger bedeutete das einen massiven Wechsel. Dieses Phänomen erleben wir auch heute wieder.

Wellenbewegungen?
Ähnlich war es in den 80er-Jahren, als DJs und ihre Raves aufkamen, die ganze Techno-Bewegung, und die Jugend für sich ein völlig neues Gefäss entdeckt hat. Damals merkten die Festivalveranstalter ebenfalls, dass sie dieser Kultur Platz einräumen sollten. Man muss stets auf neue Bedürfnisse reagieren.

Heute wird ganz anders Musik gehört als früher.
Der Konsument hört stückweise. Er hat seine Spotify-Playlist und sagt: «Dieses Stück kenne ich.» Er weiss aber nicht, von wem der Song ist. Man hat keinen direkten Bezug mehr zum Künstler. Das macht auch das Booking schwieriger: Wie ticken die Leute, wo liegen die Befindlichkeiten? Deshalb haben wir den Anspruch, einen Mix zu erstellen, dass die Jungen neue Dinge kennenlernen, die man sich als 24-Jähriger in einem Club aber vielleicht nicht unbedingt ansehen würde. Vom Gurten runterzukommen und zu sagen: «Ich habe super-geile Bands entdeckt!» – das ist das Wichtigste. Darauf vertrauen zu können, dass die Bands, die da oben spielen, gut sind. Dieses Vertrauen zu erarbeiten, daran arbeitet das Gurtenfestival seit Jahren.

Das Gurtenpublikum hat aber doch einen älteren Altersdurchschnitt als andere Open-Airs?
Man muss differenzieren: Haben früher an einem Sonntagnachmittag Patti Smith und dann Patent Ochsner gespielt, war der Altersschnitt ein ganz anderer als normalerweise. Aber sonst findet sich ein junges Publikum, analog zu St. Gallen, vielleicht ein wenig älter als das Greenfield oder Frauenfeld. Die Festival-Hochsaison im Leben eines Menschen liegt zwischen 20 und 30, danach werden Kinder ein Thema. Und wenn dann die Kinder aus dem Haus sind, kommen die Leute wieder. Mit 55 oder so. (lacht)

In Gampel treten dieses Jahr die Chemical Brothers, Macklemore und Mando Diao auf. St. Gallen hatte Depeche Mode. Das sind doch klingendere Namen als Cro und die Gorillaz.
(überlegt) Depeche Mode ist ein klingender, aber auch sehr teurer Name und hat eine explizite Fangemeinde. Dazu ist Depeche Mode wohl nicht die geeigneteste Festivalband für ein junges Publikum. Jede Band hat eine eigene Fan-Gemeinde. Klingende Namen haben das Problem, dass sie dann von allen für gut befunden werden müssen, sofern es sich um Festivals handelt, bei denen man nur 3- oder 4-Tagespässe und nicht einzelne Tageseintritte kaufen kann. Rammstein und Metallica stimmen für viele, aber nicht für alle. Für viele Rage-Against-the-Machine-Fans sind Prophets of Rage das absolute Gurten-Highlight.

Die Chemical Brothers, Macklemore und Mando Diao haben früher schon einmal auf dem Gurten gespielt. Hand aufs Herz: Wollten Sie diese Bands nicht buchen oder konnten Sie nicht?
Zu jedem Namen gibt es eine andere Antwort. Macklemore und Ryan Lewis sind letztes Jahr auf dem Gurten aufgetreten. Die Chemical Brothers waren bereits zweimal da, es wäre eine Wiederholung für ein älteres Publikum, doch wir wollen ja jüngere Acts.

Einverstanden. Nehmen wir Pink …
Das war tourneetechnisch nicht möglich, aber grosse Stadion-Acts bringen noch andere Probleme mit sich.

Nämlich?
Der Gurten hat eine schmale Zufahrtsstrasse und was den Bühnenbereich anbetrifft nur eingeschränkte Möglichkeiten, gewisse Dinge umzusetzen. Man kann zum Beispiel nicht einfach mit Sattelschlepper auf den Berg fahren, sondern muss im Tal alles auf kleinere Fahrzeuge umladen. Wenn jemand eine grosse Open-Air-Produktion mitbringt, fragen wir uns also zuerst einmal: Schaffen wir das überhaupt? Bei Muse 2016 hat es nur geklappt, weil die Crew sehr kooperativ war und ein Teil des Equipments einfach weggelassen wurde. Unser Credo bei Muse war zudem: Es braucht nicht zwingend eine Super-Technikshow, eure Musik reicht völlig aus!

Fakt ist auch, dass der Vorverkauf weniger gut läuft als in anderen Jahren. Es gibt immer noch massenhaft 4-Tagespässe zu kaufen.
Fakt ist, dass der Vorverkauf weniger gut läuft als letztes Jahr. Im Schnitt über die letzten zehn Jahre gesehen aber genau gleich gut. Massgebend für mich ist die Schlussbilanz, wie viele Tickets dann tatsächlich verkauft wurden. Ich behaupte, wir werden am Schluss ein sehr gutes Ergebnis haben. Zudem sieht man derzeit, dass die Ticketverkäufe europaweit zurückgehen. Auch Festivals in Deutschland sind rückläufig. Vielleicht ist bei einem Teil des Publikums ausserdem eine gewisse Festivalmüdigkeit zu spüren. Deswegen legen wir den Fokus auf den 24-jährigen Festivalbesucher, der sich vorwiegend im Urban-Bereich aufhält.

Trotzdem vermissen diesmal viele wohl Lo & Leduc.
Sie waren ja letztes Jahr da. Zudem muss man den zeitlichen Faktor beachten: Als wir mit den Gurten-Bookings begonnen und überlegt haben, welche Schweizer Bands ein Thema sein könnten, war «079» noch gar nicht raus. Und ausserdem würden wohl andere jetzt sagen: «Toll, die bringen jedes Jahr das Gleiche.» Man muss immer beide Seiten beachten. Wenn Sie wünschen könnten: Welche Bands würden Sie unbedingt engagieren? Für mich persönlich würden Mumford & Sons den Gurtengeist perfekt auf den Punkt bringen. Wenn man sich die Geschichte ansieht, woher dieses Festival kommt, würden sie diesem Aspekt eine zusätzliche Bedeutung geben, andererseits ist es die Folk-Rock-Band, die mit einem Musikstil, der eigentlich alt ist, sehr viele Junge erreicht hat.

Das Gurtenfestival hat abgesehen davon nicht nur ein Zielpublikum, sondern auch eine bestimmte Musikrichtung. Braucht es daher einen bestimmten Musikstil auf dem Güsche?
Unsere musikalische Ausrichtung ist Musik! In allen Facetten!

Es gibt keine Tabus? Dann holen Sie doch mal Helene Fischer!
Ein heikles Thema, weil das Gurtenbähnli ihre Songs seit einigen Jahren am frühen Morgen rauf- und runterspielt. (lacht) Ich glaube nicht, dass wir mit Helene Fischer den Wunsch-Headliner des heutigen Gurtenpublikums bringen würden. Lustig wärs, aber ein teurer Spass. Aber ja, im Grundsatz wollen wir die gesamte musikalische Breite zeigen. Vom geilen Techno-DJ bis zum Singer-Songwriter, der alleine auf der Bühne steht. Und wir möchten Entdeckungen vermitteln wie einst beim John Butler Trio. Oder noch viel früher Faithless, Skunk Anansie oder Björk. So machen wir weiter.

Also wären auch Eminem oder Robbie Williams möglich, trotz Alter und Stil?
Klar, wir wären einfach auf ein Sponsoring des Bärnerbär angewiesen, damit Robbie und Eminem an einem Festival mit 20 000 Leuten zahlbar wären. (lacht) Ernsthaft: Wenn etwas musikalisch gut ist, hat auf dem Gurten alles Platz. Das darf sicher mal ein älterer Name sein, generell zielt die Musik aber auf ein jüngeres Publikum.

Kommen wir zum Schluss: Wer war für Sie die grösste musikalische Enttäuschung überhaupt?
In den meisten Fällen, wenn etwas schief lief, war es nicht der Künstler, sondern der Tour-Manager, der uns das Leben schwer machte. Aber eben: Wir reden hier nicht von musikalischen Enttäuschungen. Ich kann mich so spontan an keine Band erinnern, die mich total enttäuscht hätte.

Wer hatte den ausgefallensten Sonderwunsch?
All die Geschichten aus den Glanzzeiten des Rock ‘n’ Roll sind vorbei. Heute haben es viele gerne vegan und möchten einen Mixer für Früchte und Gemüse. (lacht) Die Bloodhound Gang trieb es vor vielen Jahren auf die Spitze: Sie wollten nur braune sowie gelbe Smarties und pochten auf das Skelett eines Rhesus-Äffchens in der Garderobe. Ich wusste, dass sie uns auf den Arm nehmen wollten und organisierte im Naturhistorischen Museum ein solches Skelett. Als wir das dann tatsächlich aufgehängt haben, konnten die Jungs vor lauter Lachen fast nicht mehr.

Auf wen freuen Sie sich dieses Jahr am meisten?
Ich lasse die grossen Namen jetzt explizit weg und sage: The Cat Empire, die erste Band auf der Hauptbühne am Mittwoch. Und dann Parcels am Donnerstag in der Zeltbühne.

Für alle weiteren Fragen reicht die Zeit leider nicht.
Wir können sonst an einer Biografie arbeiten, ich werde nächstes Jahr 60!

Yves Schott

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