Seit bald einem Jahr ist Astrid Bärtschi Berner Regierungsrätin. Was die Finanzdirektorin bis jetzt am meisten überrascht hat, wie lang der Schatten ihrer Vorgängerin war und warum Google kaum Treffer zu ihr liefert.
Astrid Bärtschi, am 1. Juni vor einem Jahr traten Sie Ihr Amt als Berner Regierungsrätin an. Wie gefällt es Ihnen?
Sehr gut, danke. Ich kam jedenfalls noch nie abends nach Hause und fragte mich, was ich mir da gerade antue (schmunzelt). Nein, ich bereue das Amt keine Sekunde.
Ihr Job erfordert eine hohe physische und psychische Präsenz. Einfach mal morgens um 9 Uhr ins Büro reinlaufen liegt kaum drin.
Das ist klar. Mein Arbeitstag ist meist sowieso vorgetaktet: Regierungssitzungen und Kommissionssitzungen, Sessionen, verwaltungsinterne Abläufe … Die Agenda ist ziemlich fremdbestimmt. Und doch besteht Spielraum – man muss sich ihn nur nehmen. Namentlich während der Regierungsferien sind die Tage weniger lang, manches lässt sich beeinflussen.
Unser letztes Bärnerbär-Gespräch fand zusammen mit Ihrer Vorgängerin Beatrice Simon statt. Wir fragten, wie viel Schlaf Sie benötigen würden, um fit zu sein.
Ich sprach damals, wenn ich mich richtig erinnere, von rund sieben Stunden, und dass ich mit sechs leben könne.
Ganz genau.
Das gilt nach wie vor. Klar gibt es Wochen, in denen es abends später wird. Meist aber klappt das mit dem Schlafhaushalt recht gut.
Was hat Sie bis jetzt am meisten positiv überrascht?
Ich nehme das Regierungskollegium sehr positiv wahr. Obschon ich die Mitglieder zuvor teilweise bereits gekannt hatte – was wirklich auf einen zukommt, weiss man ja fast nie. Die Diskussionskultur innerhalb der Regierung schätze ich enorm. Zudem nehme ich die Verwaltung als äusserst modern wahr. Prozesse dauern, klar, was allerdings an der Struktur liegt.
Und negativ?
Nichts (lacht). Im Ernst: In jedem Job gibt es Dinge, die weniger Spass machen.
Also nichts Druckreifes, worüber Sie sich auslassen würden?
Nichts Druckreifes (lacht).
Wurden Sie in der Anfangszeit oft auf Beatrice Simon angesprochen?
Beatrice war stolze zwölf Jahre Finanzdirektorin. Dass von ihr etwas haften bleibt, war klar. Zu Beginn sagten gewisse Leute innerhalb der Verwaltung zuerst noch Beatrice zu mir, ich fand das sogar herzig (schmunzelt). Wir stellten bei unserem Dreier-Interview letztes Jahr ja übrigens ebenfalls fest, dass Beatrice und ich die gleiche Schuhgrösse haben.
Stimmt!
Ich meine wegen der oft gestellten Frage nach den Fussstapfen. Ich hatte nie das Gefühl, direkt mit jemandem verglichen zu werden. Alle wussten, wie ähnlich wir politisch ticken. Ausserdem bereitete Beatrice eine wirklich mustergültige Übergabe vor, was mir den Einstieg wahnsinnig erleichterte. So etwas gab es wohl zuvor noch gar nie. Das war grossartig.
Ende März sorgte Ihre Direktion für Aufsehen, weil der Kanton Bern einen Überschuss von rund 350 Millionen Franken vorweisen konnte. War diese Meldung das Highlight Ihrer bisherigen Legislatur?
Ehrlich gesagt: begrenzt. Es ist toll, mit einem solchen Jahresabschluss vor die Öffentlichkeit treten zu dürfen. Bloss war dieses Resultat ja nicht alleine mein Verdienst, deshalb hat mich dieses Thema auch nicht am stärksten beschäftigt.
Viele fordern nun Steuersenkungen.
Wir werden im Regierungsrat im Verlauf des Monats eine Auslegeordnung vornehmen. Es stehen Lohnforderungen im Raum, eine Petition der Personalverbände dürfte eingereicht werden – in Anbetracht der Gesamtsituation müssen wir dann entscheiden, ob eine Steuersenkung drin liegt.
Bleiben wir bei den Zahlen: Welchen Einfluss hat das «Grounding» der Credit Suisse auf den Kanton Bern?
Eine direkte Auswirkung hat das Ende der CS nicht, da der Kanton keine Aktien besitzt. Unklar ist hingegen, was mit den Arbeitsplätzen passiert.
Wer nach News von Ihnen googelt, stösst schnell auf den 350-Millionen-Überschuss, danach folgt bereits die Bestätigung Ihrer Wahl Ende März 2022. Dazwischen? Praktisch keine Treffer.
In meinem ersten Jahr lief extrem viel, doch als Finanzdirektorin ist man naturgemäss froh, nicht zu häufig in den Klatschspalten zu landen (lacht laut). Ernsthaft: Fast jedes politische Geschäft geht zwar über unseren Tisch, weil Geld im Spiel ist. Wenn allerdings nicht gerade eine Steuergesetzrevision oder Ähnliches geplant ist, sorgen wir kaum für die grossen Schlagzeilen. Bei einer Baudirektion mit ihren millionenschweren Bauprojekten sieht das natürlich ganz anders aus: Für solche Themen interessieren sich die Medien klar mehr.
Ihre Partei, Die Mitte, hievte in den letzten Monaten gleich diverse Frauen in hohe Ämter – darunter auch Sie. Die Mitte, die neue Frauenpartei?
Eine spannende Frage, denn diese Entwicklung ist tatsächlich augenfällig. Wir legten bereits bei der BDP Wert darauf, Frauen zu fördern. Doch wir sagten stets, es bringt wenig, vor Wahlen kurzfristig Frauen zu rekrutieren, um auf den Listen eine Quote von 50 Prozent zu erreichen und damit dann gegen aussen gut dazustehen. So funktioniert das nicht. Frauen sollen bereits innerhalb der Parteigremien zu einer Kandidatur ermuntert werden, was insbesondere die bürgerlichen Parteien lange vernachlässigt haben.
Mittlerweile sind die Mitte-Frauen also deutlich aktiver als früher?
Definitiv. Stichwort Vernetzung: Wenn politisch bereits aktive und erfolgreiche Frauen potenziellen Kandidatinnen erklären, wie es später wirklich läuft, wirkt das motivierend. Deshalb können wir nicht kurz vor wichtigen Entscheidungen einfach jemand Weibliches auf eine Liste setzen. Frauen lassen sich selten kurzfristig zu etwas überreden. Abgesehen davon, dass sich eine politische Karriere kaum planen lässt.
Was ist mit Quoten?
Wir streben auf den Listen jeweils eine paritätische Vertretung an. Damit ist es aber nicht gemacht, denn die Frauen müssen ja – wie gesagt – auch noch gewählt werden. Und das gelingt nur, wenn die betreffenden Personen das wirklich wollen. Daher sind Alibi-Kandidaturen kaum zielführend.
Was beschäftigt Sie derzeit am meisten?
Dass wir jetzt schon seit einigen Jahren von einer Krise in die nächste schlittern. Der Krieg in der Ukraine ist einerseits eine menschliche Tragödie und leider fast schon zur Normalität geworden. Andererseits werde ich auch beruflich damit konfrontiert. Als Finanzdirektorin befinde ich mich zudem in einem Spannungsfeld zwischen steigendem Bedarf und nicht unendlich verfügbaren Ressourcen.
Was tun Sie, um zu entspannen?
Ich reite nach wie vor mein Pferd Java d’Oro aus, obwohl seltener als früher – sie ist ja schon eine ältere Dame. Und ich gehe gerne zu Fuss kurz mal eine Viertelstunde den Kopf lüften. Was daran liegt, dass ich weniger Zeit für Sport habe. Mein Körper braucht mehr Unterhalt als früher (lacht).
Yves Schott