«… dann kommt mir das schon verrückt vor»

Von wegen besinnlich: Der Advent ist für den Münster-Pfarrer Beat Allemand die stressigste Zeit des Jahres. Auch er kann dem Weihnachtsrummel kaum entfliehen.

Bärnerbär: Beat Allemand, was ist das schönste Geschenk, das Sie je zu Weihnachten erhalten haben?
Etwas vom schönsten war, wenn ich kurz vor Weihnachten mit meinem Vater den Weihnachtsbaum im Wald holen durfte. Ich bin im Jura aufgewachsen. Damals durfte man das noch (lacht). Wir haben den Baum gemeinsam aufgestellt und etliche Male gedreht und gedreht, bis wir die attraktivste Seite ausfindig gemacht hatten. Später, beim Fest, leuchtete der Weihnachtsbaum und darunter lagen Geschenke. Aber das schönste Geschenk war das Dazugehören, die Zusammengehörigkeit.

Sollte man an Weihnachten überhaupt schenken?
Ja, Schenken ist etwas Schönes. Weihnachten ist Zeit zum Schenken: uns selbst, einander. Schenken hat etwas damit zu tun, was andere Menschen einem bedeuten. Selbst wenn mittlerweile eine Industrie daraus entstanden ist und der Kern häufig etwas zu kurz kommt.

Industrie ist noch nett ausgedrückt das hat ja teilweise kaum mehr etwas mit Weihnachten zu tun.
Nun, so ist das halt. Die Weihnachtszeit braucht ihre Inszenierung. Beleuchtete Strassen, Weihnachtsmärkte, Glühweingeruch, geschmückte Schaufenster. Aber diese Inszenierungen können kippen, ins Triviale, ins Kitschige, ins Kommerzielle. Wenn es im Dezember oder schon im November oder schon im Oktober losgeht, wenn die Schaufenster von Geschenkartikel überquellen, wenn man die allgemeine Hektik in der Luft mit dem Messer abschneiden kann, dann kommt mir das verrückt vor. Die Weihnachtsgeschichte hat in Betlehem angefangen in der Kälte einer Nacht und mit dem Gesicht eines Kindes. Ich persönlich möchte versuchen, dem tiefen Sinn des Advents und von Weihnachtens auf den Grund zu kommen.

Sind wir uns der Menschen zu wenig bewusst, denen es schlecht geht?
Ich glaube, wir wissen, dass es Menschen gibt, die einsam sind, traurig, unglücklich. «Ja, ja, die heilige Zeit», sagen die Leute manchmal und meinen damit nichts Schönes. Sie meinen damit, dass es mehr Betrunkene gibt in der Beiz, dass die Leute unfreundlich werden, unfriedlich. Vielleicht sind wir in der Weihnachtszeit dünnhäutiger als sonst im Jahr. Es wird viel gespendet; die Heilsarmee spielt und richtet eine Topfkollekte ein. Und es gibt Besuche und das Zusammenkommen mit Menschen, denen es nicht so gut geht.

Dauerberieselung, viele Tannenbäume stehen oft schon im Oktober im Schaufenster – da kann man doch nicht mehr von Besinnlichkeit reden.
Ja, einerseits der helle Vorausklang von Weihnachten, eine Ahnung von Frieden, eine Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit. Andererseits eben auch Einkäufe und die Umstände und das Gedränge im Warenhaus, was uns in der Weihnachtszeit so stresst. Für mich ist es eine hektische Zeit. Viele Termine, Verpflichtungen, Gottesdienste. Seit Wochen suche ich den Weg in die Stille. Aber auch mir gelingt es nicht

Man merkt: Selbst der Pfarrer kann sich dem Weihnachtsstress offenbar nicht entziehen.
Bis zum 25. Dezember ist viel los. Die vorweihnächtlichen Wochen sind intensiv, aber auch schön. Manchmal nehme ich mir Zeit, durch die Altstadt zu spazieren, um die Lichter zu sehen das hat etwas Wohltuendes. Gerade im Winter, wenn es dunkel ist und manchmal etwas melancholisch. Und dann die Erfahrung, im Münster Weihnachtslieder zu singen, umgeben von flackernden Kerzen. Da ist eine Sehnsucht.

Eine Sehnsucht nach?
Eine Sehnsucht, dass die Dissonanzen und Dunkelstellen in unserem Leben vom hellen Klang von Weihnachten berührt werden. Wir leben ja in einer Welt, wo es auch Trauer, finanzielle Sorgen, Arbeitslosigkeit und Kriege gibt. In den Wochen des Advents spüren viele, dass etwas besser werden möge.

Diese Sehnsucht haben Sie wohl nicht erst seit gestern. Wenn Sie die Medien verfolgen, dürften Sie aber immer wieder aufs Neue enttäuscht werden.
Ja, es ist manchmal bitter, dass die Realität eine andere ist. Glauben heisst meist nichts anderes, als wider besseres Wissen sich Versprechungen offenhalten. Und es braucht den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann.

Yves Schott

Teil 2 des Interviews lesen Sie nächste Woche im Bärnerbär

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge