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«Das wäre ein Riesenschritt – vor allem für viele Kinder!»

Kann die Spitzenmedizin sicher und innovativ sein? Der Herzchirurg Thierry Carrel bejaht dies und begründet im Bärnerbär-Interview auch, weshalb er wie ein Skirennfahrer agiert und wieso ein neuartiges Herzklappen-Implantat künftig vor allem bei Kindern viele Herzoperationen überfüssig machen könnte.

Kursaal Bern. Donnerstag, 27. Februar 2020: Am diesjährigen Spirit of Bern widmen sich führende Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler und Politiker eingehend der Frage, ob und wie die Medizin zugleich sicher und innovativ sein kann. Prof. Thierry Carrel, Spitzenherzchirurg und Direktor der Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie des Inselspitals Bern, hat bald seinen Auftritt als Redner. Die Fragen beantwortet er dennoch in aller Ruhe.

Wären ohne Restrisiken in der Medizin Innovationen überhaupt möglich?
Nein, dann wäre kein Fortschritt mehr möglich. Die Restrisiken sind in der modernen Medizin zum Glück extrem gering. Nicht zuletzt, weil wir sehr viele Voruntersuchungen machen, im Labor ausserhalb des menschlichen Körpers und bei Tierexperimenten. Es gibt hier sehr viele Tests und Sicherungen, die Standard sind und von den Behörden kontrolliert werden.

Setzen Sie auf Evolution oder Revolution?
Beides ist denkbar. Evolutive Forschung basiert auf Vorarbeiten und Erfahrung. Und trotzdem bedeutet gelegentlich Evolution eine Revolution.

Haben Sie uns ein Beispiel?
Wir forschen zum Beispiel an einer neuen, mechanischen Herzklappe aus Peek, einem nicht abnützbaren Kunststoff. Diese funktioniert derart ähnlich wie die menschliche Klappe, so dass sie mit grösster Wahrscheinlichkeit keine Blutverdünnung benötigt: für Patienten eine klare Revolution, da zuvor undenkbar. Hinter der Entwicklung steht ein holländisches Unternehmen. Dieses wurde in Zürich als Start-up gegründet. Die Universität Bern und die Herzchirurgie des Inselspitals sind an dieser Forschung wesentlich beteiligt. An den Implantaten aus Peek bleiben vom Blut transportierte Zellen hängen. Diese Zellen bauen die Implantate ab, währendem neues Gewebe gebildet wird. Im Laufe der Zeit entstehen so neue, körpereigene Herzklappen. Diese Innovation ist in der Prüfphase. Die ersten Operationen haben sehr vielversprechende Resultate ergeben, so dass die amerikanische Behörde FDA grünes Licht für weitere Untersuchungen gegeben hat, an denen wir uns auch beteiligen können. Falls die Untersuchungen erfolgreich verlaufen, könnten wir künftig auf viele Reoperationen verzichten, da die vom Körper wiederhergestellten Herzklappen nicht, wie bei den heutigen Implantaten der Fall, nach einer Verschleisszeit erneuert werden. Bei den Kindern würden die Herzklappen mitwachsen. Wir könnten also auch auf die wachstumsbedingten Operationen verzichten. Das wäre ein Riesenschritt -– vor allem für viele Kinder!

Wie gehen Sie vor, um während der Operationen kritische Situationen möglichst verhindern zu können?
Herzchirurgie ist Teamarbeit, vor allem mit den Anästhesisten und Kardiotechnikern, die die Herz-Lungenmaschine während des Eingriffs bedienen. Dennoch liegt die Verantwortung in den Händen des Operationsleiters. Ich vergleiche mich dabei mit einem Ski- oder Formel-1-Rennfahrer, der die Piste respektive die Strecke auswendig im Kopf haben muss. Ich muss mit dem Team die Situation jederzeit im Griff haben und das Risiko der nächste Kurve im Voraus beurteilen, damit ich sie perfekt erwische. Präzis und auch schnell operieren sind zwei wichtige Voraussetzungen, damit der Eingriff gelingt und der Patient sich schnell erholt.

Dominik Rothenbühler

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