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«Die Werkstatt erlebte einen kleinen Tsunami»

Kaum hatten die Geschwister Nina und Samuel Klötzli die Leitung der gleichnamigen Messerschmiede übernommen, kam der Lockdown. Seit zwei Wochen ist das Geschäft wieder geöffnet, doch der Alltag ist jetzt ein anderer.

Wohl allen Bernerinnen und Bernern ist die Messerschmiede Klötzli an der oberen Rathausgasse vertraut. Es ist, obwohl räumlich klein, eines der bekanntesten Geschäfte der Bundesstadt. Der Familienbetrieb mit 20 Mitarbeitenden stammt aus Burgdorf und besteht seit 1846. In der Burgdorfer Altstadt befinden sich das Mutterhaus und die Werkstatt. Die Klötzli Messerschmiede verfügt wohl schweizweit über das grösste Qualitätssortiment an Messern, Scheren und Küchenutensilien.

Ihr führt die Klötzli Messerschmiede mit den Geschäften in Bern und Burgdorf und der Werkstatt in sechster Generation, doch ihr hattet keinen Märchenstart, oder?
Samuel Klötzli (SK): Wir haben das Glück, ein hervorragend eingeführtes Geschäft zu führen, mit welchem wir seit Kindesbeinen bestens vertraut sind. In diesem Sinne war die Übernahme der Verantwortung Anfang Jahr bestens vorbereitet und problemlos.

Nina Klötzli (NK): Doch bei aller Solidität: Was wir am 16. März mit der Verkündigung des Lockdowns erlebten, traf uns völlig unvorbereitet! Ich weiss noch, es war am Vorabend meines Geburtstags. Die Botschaft des Bundesrats stellte uns mit einem Schlag vor Herausforderungen, für die wir, wie alle Detailisten, über keine Erfahrungen verfügten. Nein, ein Traumstart sieht definitiv anders aus.

Wie seid ihr mit der Situation umgegangen?
SK: Wir mussten uns an allen Fronten neu organisieren. Das betraf die Mitarbeitenden in der Werkstatt, die Teams in den Läden, die Kommunikation mit der Kundschaft, das Vorgehen mit dem Webshop und die Administration, Stichwort: Kurzarbeit.

NK: Während in der Werkstatt mit abnehmender Intensität weitergearbeitet wurde, war das Verkaufsteam von einem Tag auf den andern zum Nichtstun verknurrt. Wir meldeten Kurzarbeit an, sind aber in der glücklichen Lage, dass wir keinen Bundeskredit beantragen mussten.

SK: Ich erinnere mich noch gut an das mulmige Gefühl, als wir die Ladengeschäfte abschliessen mussten, ohne zu wissen, wann wir wieder werden öffnen können.

Wie ging es weiter?
NK: Die Werkstatt lebt zu einem bedeutenden Teil vom Schleif- und Schärfservice für die Gastronomie, doch da alle Restaurants schliessen mussten, versiegte diese Arbeitsquelle weitgehend. Gleichzeitig erlebten wir eine Solidaritätswelle der Privatkundschaft, die vermehrt diesen Service auch in Anspruch nahm.

SK: Im Büro ging das Leben mit neuen Aufgaben weiter. Während Nina mit dem Lohnwesen und der administrativen Bewältigung der Kurzarbeit beschäftigt war, begann ich mir im Büro und Archiv mehr Übersicht zu verschaffen. 174 Jahre Firma bedeutet auch, dass es viel Historisches zu entdecken und manch Überflüssiges zu entsorgen gab.

Wie ist die Situation seit der Wiedereröffnung?
NK: Die Werkstatt erlebte in den ersten Tagen einen kleinen Tsunami an Servicearbeiten von Privaten. Mittlerweile kommen auch die Aufträge aus der Gastronomie wieder rein. Daneben läuft die Produktion unserer Eigenprodukte im High-EndSektor, für die Küche und die Klötzli Taschenmesser.

SK: In den Läden spüren wir die Folgen der Schutzmassnahmen sehr. Da sich nur eine beschränkte Anzahl Kunden im Laden aufhalten darf und unsere Kunden länger im Laden verweilen, sind die Umsätze noch weit weg vom gewohnten Niveau. Was wir auch noch nicht abschätzen können, sind die Umsatzeinbussen für uns Detaillisten aufgrund der Verkäufe der Grossverteiler während des Lockdowns.

NK: Insgesamt sind wir aber erst mal froh, dass es wieder vorwärtsgeht. Und hoffen, dass Berns Bevölkerung jetzt noch «Lieber in Bärn» einkauft!

Lahor Jakrlin

PERSÖNLICH
Nina Klötzli, 37, absolvierte eine Lehre im Gastgewerbe, besuchte die Hotelfachschule Thun und bildete sich als Messerschmiedin weiter. Sie ist seit 2012 in der Firma und Verantwortlich für das Personal und die Werkstatt. Samuel Klötzli, 35, ist ausgebildeter Dekorationsgestalter. Er arbeitet seit 2008 im Betrieb und leitet den Verkauf und das Marketing.

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